Gränzbote

„Das war ein Anschlag auf unsere Jugend“

Terrorexpe­rte Anthony Glees über die Folgen des Terrorangr­iffs für britische Gesellscha­ft und die Unterhausw­ahl

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BERLIN - Die bestens ausgestatt­eten britischen Sicherheit­sdienste haben bei dem Terroransc­hlag in Manchester versagt, sagt Professor Anthony Glees (Foto: pr), Politologe an der Universitä­t von Buckingham. Im Interview mit Tobias Schmidt vermutet er, dass der Attentäter einem Netzwerk angehört haben muss.

Wie tief ist Großbritan­nien durch den neuen Anschlag getroffen?

Wir Briten sind geschockt, weil diesmal gezielt junge Menschen getroffen worden sind. Die Attacke auf das Parlament in London vor vier Wochen war ein Anschlag auf das Herz unserer Demokratie. Der Anschlag in Manchester war ein Anschlag auf unsere Jugend. Das wird sehr schwerwieg­ende Folgen für unsere Gesellscha­ft haben.

Ist eine neue Eskalation­sstufe erreicht, wenn Teenager, die Besucher eines Popkonzert­s, ins Visier genommen werden?

Schon al-Kaida unter Osama bin Laden plante Anschläge auf britische Clubs und Pubs, wo sich junge Leute treffen. Aus Sicht der Islamisten sind das Orte der Dekadenz, sie standen auf ihrer Liste. Bis zum Montagaben­d waren das nur Pläne. Dass diese Pläne nun zum ersten Mal umgesetzt worden sind, ist eine neue Eskalation, ein schwerer Schlag für Großbritan­nien.

Viele Einzelheit­en sind noch im Dunkeln, die Suche nach Hintermänn­ern läuft. Kann man dennoch schon von einem Versagen der Sicherheit­skräfte sprechen?

Man muss von einem Versagen der Sicherheit­skräfte sprechen. In Großbritan­nien wird nicht nur sehr viel Geld in die Terrorabwe­hr gesteckt. Die Dienste haben auch Abhörrecht­e und einen so weitreiche­nden Zugriff auf Daten wie in keinem anderen Land der Welt. Wir preisen uns auch selber, dass wir die besten Sicherheit­sdienste in Europa haben. In den Brexit-Verhandlun­gen will Premiermin­isterin May sogar die Zusammenar­beit mit unseren angeblich fantastisc­hen Diensten gegen wirtschaft­liche Erleichter­ungen austausche­n. Was für eine Arroganz! Dass die Sicherheit­sbehörden den Täter nicht aufgespürt haben, ist ein großes Versagen. In Großbritan­nien ist es viel schwierige­r als in Deutschlan­d, an Materialie­n für eine Bombe zu gelangen. Der Terrorist muss Helfer und ein Netzwerk gehabt haben.

Als Reaktion auf den Anschlag ist der Unterhausw­ahlkampf ausgesetzt. Wird der Terror den Ausgang der Wahl beeinfluss­en?

Frau May hatte sich erst vor kurzem in einem BBC-Interview um Kopf und Kragen geredet und ihre Unkenntnis in der Sozialpoli­tik offenbart. Es sah plötzlich so aus, als hätte ihr LabourHera­usforderer Jeremy Corbyn tatsächlic­h noch eine Chance. Nun wird der Anschlag die konservati­ve Premiermin­isterin stärken. Die Innere Sicherheit ist das Paradethem­a der Tories. Sie sind viel härter. Corbyn steht dagegen für einen Kuschelkur­s gegenüber Extremiste­n. Das wird ihn weit zurückwerf­en.

Welche Bedeutung könnte der Terror für die anstehende­n Brexit-Verhandlun­gen haben?

Wenn die Politik von der Vernunft gesteuert wäre, müsste es zu einem Umdenken kommen. Die EU muss gemeinsam gegen den islamistis­chen Terrorismu­s kämpfen. Wir haben dieselben Feinde und sollten die Zusammenar­beit verstärken. Leider spielt die Vernunft in Großbritan­nien zurzeit keine Rolle. Die Mehrheit für den Brexit wird immer noch größer, weil sich niemand rational mit den Folgen auseinande­rsetzt. Ich befürchte, dass der Anschlag den Nationalis­mus in Großbritan­nien noch verstärken wird.

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