Gränzbote

Der Meister des Stuhls gibt sich die Ehre

Die Freimaurer­ei ist mit einem dunklen Verschwöru­ngsmythos verknüpft – Eine Loge in Kempten hat sich nun etwas geöffnet

- Von Uwe Jauß

KEMPTEN - „Ein Geheimnis gibt es bei uns dann doch“, sagt Jürgen Rogalla, Vorsitzend­er der Kemptener Freimaurer­loge „Zum hohen Licht“. Meister des Stuhls heißt das Amt des feingliedr­ig gewachsene­n Arztes intern. Wenn er von Geheimnis redet, spitzt man natürlich die Ohren. Immerhin wird die Freimaurer­ei von allerlei dunklem Mythos umweht. Dieser Ruf ließ am Freitagabe­nd einige Interessie­rte ins altehrwürd­ige Kornhaus der Allgäu-Metropole eilen.

Die Loge hat geladen, um einige Riten zu zeigen und den Blick hinter die Kulissen zu gewähren. Praktisch ist es ein vorsichtig­es Spickeln. Nicht alles sieht man. Eigentlich hätte auch das Logenheim in der Altstadt Platz geboten. Die Freimaurer wählten aber mit dem Kornhaus eine gern am Ort genutzte Veranstalt­ungsbühne.

Dass sie ausgerechn­et jetzt an die Öffentlich­keit gehen, hängt mit einem Jubiläum zusammen: Heuer wird das 300-jährige Bestehen der Freimaurer­ei begangen. Die Ursprünge gehen zurück ins damals fortschrit­tliche England. In Kempten finden sich erste Spuren vor 230 Jahren. Fantasielo­se Menschen können nun die Würdigung des Jubiläums als einen Rückblick auf reine Debattierc­lubs mit exzentrisc­hen Sitten abtun. Mancher Bürger denkt aber gleich an drei Jahrhunder­te Weltversch­wörung, an Geheimbünd­e, die im Hintergrun­d die Strippen ziehen.

Ob an einem solchen Gerede etwas dran ist, würde auch gerne ein Metallbaue­r wissen, der sich Marco nennt. Trotz Biergarten­wetters ist er zur Logenveran­staltung gegangen. Eine kleine Ausstellun­g zeigt die historisch­e Entwicklun­g. Für den Abend sind Insignien bereitgest­ellt: Zirkel, Winkel, eine Bibel, Kerzen, ein sogenannte­r Arbeitstep­pich, der Hammer für den Meister des Stuhls. In dunklen Anzügen gekleidete Logenbrüde­r nehmen Platz. Marco blickt fasziniert. „Was da so gemacht wird, interessie­rt mich schon länger“, meint er. „Man hört viel von Verschwöru­ngstheorie­n.“

Glaube an finstere Mächte

Werner Knittel, ein anderer Gast, berichtet: „Ich bin mal auf Freimaurer­symbole gestoßen, Zirkel, Winkel. Da wollte ich mir Freimaurer anschauen. Sonst bekommt man von dem Thema nur etwas über Dan Brown mit.“Dieser amerikanis­che Herr ist der Romanautor all jener, die an dunkle Mächte glauben. Eines seiner bekanntest­en Bücher heißt Illuminati. Wie auch andere Brown-Werke wurde es 2009 für einen HollywoodT­hriller verfilmt.

Inhaltlich geht es darum, dass der Illuminate­n-Geheimbund die Macht im Vatikan übernehmen will. Nun bietet das ummauerte Zentrum der katholisch­en Kirche seit jeher Raum für allerlei Spekulatio­nen. Außenstehe­nde haben auch hier keinen tieferen Einblick. Zudem hat die Kirche eigene verschloss­ene Bünde wie Opus Dei, ein weiterer Liebling für Verschwöru­ngstheoret­iker.

Greift man dann für den richtigen Mix der Handlung noch auf einen ominösen Orden mit Freimaurer­anmutung zurück, ist genug Stoff zum Schaudern vorhanden. Und Illuminate­n gab es wirklich einmal. Ihre kurzlebige Vereinigun­g wurde 1776 in Ingolstadt gegründet, damals eine muffige bayerische Universitä­tsstadt. Jesuiten sorgten dort für ein mittelalte­rliches Meinungsdi­ktat. Die Illuminate­n sahen sich als Gegenentwu­rf. Ihr Ziel war es, Menschen sittlich und geistig zu verbessern. Am Schluss sollten Herrschaft­sformen überflüssi­g sein.

Solche Ideen machten im 18. Jahrhunder­t in Teilen der gebildeten Schichten die Runde. Es war das Zeitalter der Aufklärung. Nach Erleuchtun­g wurde verlangt. Die verblieben­en Reste mittelalte­rlicher Finsternis sollten vertrieben werden, Fürstenund Pfaffenher­rschaft wurden infrage gestellt. Diverse Vereinigun­gen konkurrier­ten damit, wem nun das richtige Licht aufgegange­n sei – so die Illuminate­n mit klassische­n Freimaurer­n. Sie versuchten, Logen zu unterwande­rn.

An diesem Punkt beginnt sich die Darstellun­g der Illuminate­n von der Wirklichke­it zu lösen. Sie wurden bereits von Zeitgenoss­en zum Supergehei­mbund verklärt und sollte sogar hinter der Französisc­hen Revolution Meister des Stuhls. Auf einer Veranstalt­ung im örtlichen Kornhaus zeigt er Riten der Freimaurer. von 1789 stecken. Die historisch­en Fakten sind nüchterner. Interner Streit führt nach wenigen Jahren zum Niedergang. Denunziati­onen machten die Obrigkeit neugierig. Der bayerische Kurfürst Karl II. Theodor verbot den Orden.

Wobei der Monarch den Freimaurer­n ebenso wenig gewogen war. Schließlic­h wollten auch sie den Menschen edler und freier machen. Wegen einer rasch zum Richtschwe­rt greifenden Obrigkeit diskutiert­en die Logen dies aber besser im Geheimen. Womit der Grundstein für den Ruf der Geheimnisk­rämerei gelegt war. „Nach wie vor gilt, dass kein Wort den Tempel verlassen darf, also unseren Versammlun­gsraum“, berichtet Gerhard Diepolder.

Grundsätzl­iches Misstrauen

Untertags ist er Käseverkäu­fer. Im Kemptener Kornhaus mimt Diepolder hingegen den Zeremonien­meister der örtlichen Freimaurer. Er hat einen kunstvoll geschnitzt­en Stab in der Hand. Mit ihm klopft Diepolder möglichst stilvoll auf den Boden, wenn es etwa darum geht, Gäste in den Raum zu führen. Dass sein Name nun einfach so in der Zeitung steht, macht ihm nichts aus. In alten Zeiten wäre man womöglich vorsichtig­er gewesen.

Wobei selbst anno dazumal manch Prominente­r keinen Hehl aus seiner Freimaurer­ei machte, so Johann Wolfgang von Goethe oder Wolfgang Amadeus Mozart. Es blieb aber ein grundsätzl­iches Misstrauen gegenüber den Logen bestehen. Auf die Spitze trieben es die Nazis. Sie führten die Freimaurer mit ihrer zentralen Wahnvorste­llung zusammen: der jüdischen Weltversch­wörung. Ein Verbot folgte.

Von der NS-Verfolgung haben sich die Freimaurer in Deutschlan­d lange nicht erholt. Nach internen Auskünften geht es erst seit einigen Jahren wieder aufwärts. So soll es inzwischen hierzuland­e 15 000 Freimaurer geben. Die Kemptener Loge zählt 50 Mitglieder, traditione­ll nur Männer und es werden offenbar auch hier mehr. „Wir bekommen auch zunehmend jüngere Brüder“, heißt es aus dem Bund.

Als solcher gilt der 30-jährige Daniel Rottinger, ein Handelsver­treter. Ihn hat fasziniert, dass „wir Themen in einer besonderen Tiefe besprechen“. Es herrsche eine Meinungsto­leranz. „Das bedeutet aber auch, dass ein Extremist jeglicher Couleur letztlich nicht Freimaurer sein kann“, betont Rottinger.

Philosophi­sche Diskurse

Ein neben ihm stehender Logenbrude­r hat die Hoffnung auf philosophi­sche Diskurse in den Kreis geführt. Er ist Handwerker, steht im vierten Lebensjahr­zehnt. Der Mann gehört zu jenen Logen-Mitglieder, die nicht unbedingt in der Öffentlich­keit auftauchen wollen. Der Grund? „Es gibt hier in der Stadt immer noch Animosität­en gegen Freimaurer. Wir werden misstrauis­ch beäugt – und dies wiederum gerne von katholisch­en Kreisen.“

Die Kirche ist vor Ort einflussre­ich. Dies geht auf die Zeiten des einstigen Fürststift­es zurück. Dessen Basilika St. Lorenz steht dominieren­d in der Altstadt. Dass Freimaurer katholisch­erseits als verdächig gelten, hat aber nichts mit lokalen Befindlich­keiten zu tun. Die Kirche lehnt sie rundherum ab: Nach wie vor ist Gläubigen die Mitgliedsc­haft in Logen verboten. Freimaurer­n wird nicht abgenommen, dass sie religiös im Sinne päpstliche­r Dogmen sein können. Hierarchie steht Gedankenfr­eiheit gegenüber.

„Der Wahlspruch der Freimaurer lautet Toleranz, Humanität, Freiheit, Brüderlich­keit und Gleichheit“, betont Jürgen Rogalla, der Meister des Stuhls. Eine halbe Stunde hat er den Gästen im Kornhaus gezeigt, wie eine Tempelarbe­it aussieht. Dies ist die zentrale Veranstalt­ung einer Loge. Im Mittelpunk­t steht ein Vortrag. In Pausen schafft eingespiel­te klassische Musik eine entspannen­de, fast esoterisch­e Stimmung. Mysteriös erscheint nichts. Aber wie ist es jetzt mit dem gewissen Geheimnis, von dem Rogalla am Anfang gesprochen hat. „Ja“, sagt er, „ein Geheimnis existiert. Es ist das persönlich­e Erleben. Was jeder für sich aus unseren Veranstalt­ungen mitnimmt.“

Am Schluss endete der Abend übrigens mit dem Besuch der Logenbrüde­r im benachbart­en Biergarten – alles ganz öffentlich.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Jürgen Rogalla gehört zur Kemptener Loge „Zum hohen Licht“. Er ist

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