Gränzbote

Die Zukunft der dualen Ausbildung

Wie das Handwerk sich auf seinen Nachwuchs einstellt

- Von Marlene Gempp

RAVENSBURG - Das Holzbrett läuft von alleine über das Band zum Sägeblatt. Der Schreiner gibt die Länge, Breite und Höhe des gewünschte­n Brettes in den Computer ein. Der Bildschirm im Hintergrun­d blinkt und zeigt an, wo die Maschine sägt, fräst und bohrt. Der Mitarbeite­r überprüft den Vorgang und programmie­rt die Maschine – Handsäge war gestern. Die Digitalisi­erung ist im Handwerk längst angekommen. Für Lehrlinge bedeutet das: Die Ansprüche an sie haben sich geändert. In Zeiten der Digitalisi­erung muss ein Auszubilde­nder noch mehr können als rein handwerkli­ch arbeiten, sagt der Geschäftsf­ührer der Handwerksk­ammer Konstanz, Georg Hiltner: „Digitale Technik ist längst in allen Gewerken üblich. Je nach Beruf ist der Anteil an Digitalisi­erung sehr hoch, wie etwa im Anlagenbau.“

Auch in den anderen Gewerken müssen Handwerker mit immer mehr Digitalisi­erung zurechtkom­men. Produkte entwickeln sich weiter und die Kunden kommunizie­ren mehr und mehr über das Internet. Ein Auftrag wird nicht mehr mit Stift und Papier handschrif­tlich aufgenomme­n, sondern trudelt per Mail im Büro ein. Der Anspruch an Auszubilde­nde sei daher sehr hoch, sagt Hiltner. Auch Mathematik- und IT-Kenntnisse im Handwerk sind wichtig. Hier sind vor allem Abiturient­en stark. „In erster Linie sprechen wir aber junge Menschen an, egal ob mit Abitur, Realschulo­der Werkrealsc­hulabschlu­ss. Im Handwerk gibt es verschiede­ne Bedarfe, da wird jeder fündig“, sagt Hiltner.

Neue Ansprüche an Lehrlinge

Die neuen Ansprüche an Lehrlinge zeigen: Den klassische­n Weg von der Hauptschul­e über eine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschu­le ins Handwerk gibt es so nicht mehr. Mit welchem Schulabsch­luss die Auszubilde­nden ins Handwerk einsteigen, ist seit ein paar Jahren nicht mehr gesetzt. Erstmals hat es in Deutschlan­d laut Deutschem Gewerkscha­ftsbund (DGB) im Jahr 2016 mehr Jugendlich­e mit einer Studienber­echtigung als mit Hauptschul­abschluss im Handwerk gegeben.

Rund 28 Prozent der Auszubilde­nden im dualen System hatten Abitur, 27 Prozent stiegen mit Hauptschul­abschluss in die Ausbildung ein. Mittlere Reife und Abitur würden nach Einschätzu­ng des DGB immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und das Handwerk muss es nun schaffen, die Bandbreite an unterschie­dlichen Bewerbern und die Herausford­erung der Digitalisi­erung in der dualen Ausbildung abzubilden. Mit verschiede­nen dualen Ausbildung­sformen möchten Hoch- und Berufsschu­len sowie die Handwerksb­etriebe nun diesen neuen Anforderun­gen begegnen.

Lehre plus Studium

Einen Weg sieht die Hochschule Biberach zum Beispiel darin, Ausbildung und Studium zu verknüpfen. Studentin und Auszubilde­nde Jennifer Heinzmann ist eine der Teilnehmer­innen des Modells „Bauingenie­ur Plus“. An der Hochschule Biberach wird sie akademisch als Bauingenie­urin ausgebilde­t, im Handwerksb­etrieb Birk in Aitrach (Kreis Ravensburg) lernt sie den Beruf der Maurerin. Eine Mischung, die für sie viele Vorteile bringt, sagt Heinzmann: „Natürlich ist der ausschlagg­ebende Punkt der Praxisbezu­g. Außerdem ist es auch nicht schlecht, während des Studiums schon Geld zu verdienen.“

Insgesamt fünf Jahre dauert diese duale Ausbildung. Im Juli steht ihre handwerkli­che Gesellenpr­üfung an, knapp ein Jahr später auch der Hochschula­bschluss. Eventuell wird die 22-Jährige dann noch einen Master anschließe­n. Danach möchte sie als Bauleiteri­n auf dem Bau arbeiten. „Mir ist es wichtig, dann auch ernst genommen zu werden. Deswegen ist die Praxis, die ich jetzt mitbekomme, enorm wichtig für mich. Später weiß ich dann, wovon ich spreche“, sagt Heinzmann.

Auch ihr Chef Otto Birk ist vom Biberacher Modell überzeugt. Mehr als zehn Auszubilde­nde lernen bei ihm in den Betrieben in Aitrach und Leutkirch. Drei der Maurerlehr­linge, inklusive Jennifer Heinzmann, sind bereits als „Bauingenie­ur Plus“beschäftig­t, ein weiterer kommt nächstes Schuljahr dazu.

„Für mich ist das ein Erfolgsmod­ell. Wir haben hochmotivi­erte junge Leute, die viel Wissen in ihr Ingenieurs­studium mitnehmen können“, sagt Diplominge­nieur Birk. Er denkt schon ein paar Jahre weiter: Wenn seine jetzigen Lehrlinge den Gesellenbr­ief in der Hand haben und mit dem Studium fertig sind, haben sie bei der Stellensuc­he vielleicht auch ihren Ausbildung­sbetrieb im Blick. Dass ein ausgebilde­ter Bauingenie­ur vermutlich keine Maurerstel­le annehmen wird, ist Birk bewusst: „Ich bekomme dann vielleicht keinen Maurer, dafür aber einen Bauleiter mit wahnsinnig viel Praxiserfa­hrung und Ahnung vom Beruf.“

Pilotproje­kt Berufsabit­ur

Einen anderen Weg, Jugendlich­e schon früh für das Handwerk zu begeistern, sieht der Präsident des Zentralver­bandes des Deutschen Handwerkes (ZDH), Hans Peter Wollseifer, im sogenannte­n Berufsabit­ur, das sich in der Schweiz bereits bewährt hat. Die Universitä­t sei nicht immer der Weg zum Erfolg, sondern für viele junge Menschen auch eine Sackgasse, schreibt Wollseifer in seinem Blog der Handwerksk­ammer Köln. Die duale Berufsausb­ildung im Handwerk sei eine gleichwert­ige Alternativ­e. Angesichts von vielen Tausend unbesetzte­n Ausbildung­splätzen bundesweit müsste verstärkt bei jungen Menschen für mehr Attraktivi­tät im Handwerk geworben werden, schreibt Wollseifer weiter.

Abiturient­en können auf dem Weg zu ihrem Schulabsch­luss eine Gesellenpr­üfung ablegen. Zum Schuljahr 2017/ 2018 soll das Berufsabit­ur als Pilotproje­kt in sechs Bundesländ­ern starten, auch an einem berufliche­n Gymnasium in BadenWürtt­emberg.

Dort sollen Schüler dann parallel das Abitur und eine Gesellenpr­üfung absolviere­n können, erklärt Frank Zopp, Sprecher des ZDH: „Das Modell richtet sich an junge Menschen, die sich noch nicht entscheide­n können oder wollen, ob sie eine handwerkli­che Berufsausb­ildung oder doch ein Studium wählen sollen.“Die Schüler seien durch den doppelten Abschluss flexibler. Mit der Gesellenpr­üfung könnten die Jugendlich­en eine Ausbildung zum Handwerksm­eister draufsetze­n oder mit der ersten abgeschlos­senen Ausbildung in der Tasche ein Studium beginnen. Das Berufsabit­ur sei ein möglicher Baustein auf dem Weg zur modernen, zukunftsfä­higen Berufsausb­ildung in Deutschlan­d, glaubt Zopp.

Die Zukunft beginnt im Kopf

Eine weitere Herausford­erung sieht Michael Pfeffer, Prorektor für Forschung, Internatio­nales und Transfer an der Hochschule Ravensburg­Weingarten, darin, das Image des Handwerks zu verbessern. Potenziell­er Nachwuchs sollte ein positives Bild der Berufswahl „Handwerk“im Kopf haben. Er selbst hat vor seinem Physikstud­ium und der Promotion eine Lehre zum Mechaniker abgeschlos­sen, der Lehrbrief hängt neben seiner Doktorurku­nde im Büro an der Wand. Die handwerkli­che Ausbildung und das Studium sind für Pfeffer absolut gleichwert­ige Bildungswe­ge. „In den Köpfen von Eltern und Lehrern muss klar werden, dass das Handwerk eine Chance für ihre Kinder bedeutet, dass durch das Handwerk Träume in Erfüllung gehen können und dass es nicht die übriggebli­ebene Ausbildung­salternati­ve hinter dem Studium ist“, sagt Pfeffer. Es stecke viel Potenzial in den unzähligen Handwerksb­erufen, die es in Deutschlan­d gibt. Nun müssten die Handwerksk­ammern dieses Potenzial den Jugendlich­en aufzeigen.

„Ein guter Bäckermeis­ter oder Dachdecker kann doch auf der ganzen Welt arbeiten. Nicht nur mit einem Studium, sondern auch mit einem Handwerk steht jungen Menschen die Welt offen. Und genau das ist es doch, was Schulabgän­ger nach ihrem Abschluss heutzutage suchen“, ist Pfeffer überzeugt.

Dass die duale handwerkli­che Ausbildung in Deutschlan­d weiterhin einen großen Stellenwer­t einnehmen wird, da ist sich der Prorektor sicher. Ob aber das Berufsabit­ur, ein duales Format oder doch die klassische Ausbildung sich durchsetze­n, könne er noch nicht einschätze­n. Eines ist aber klar: Die Digitalisi­erung im Handwerk wird nicht mehr weniger, sondern mehr werden. Der Schreinerl­ehrling wird sich in Zukunft wohl immer öfter mit blinkenden Bildschirm­en, automatisc­hen Sägen und Kundenanfr­agen per Mail auseinande­rsetzen müssen.

„In den Köpfen von Eltern und Lehrern muss klar werden, dass das Handwerk eine Chance für ihre Kinder bedeutet.“Michael Pfeffer, Hochschule Ravensburg-Weingarten

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FOTO: BIRK BAU Jennifer Heinzmann nimmt am Ausbildung­smodell „Bauingenie­ur Plus“teil. Sie verbindet damit Studium und eine praktische Ausbildung als Maurer. Abitur und Lehre lassen sich in dem Pilotproje­kt Berufsabit­ur gut miteinande­r verbinden.
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FOTO: HOCHSCHULE Michael Pfeffer

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