Gränzbote

Wie paralysier­t

Die Ulmer Basketball­er stehen nach dem 61:68 gegen Oldenburg vor dem Halbfinal-Aus

- Von Jürgen Schattmann

ULM - Wenn der Spruch stimmt, dass Totgesagte länger leben, und man sich einer Sache nie sicher sein kann, dann gibt es noch Hoffnung für die Ulmer Basketball­er. Aber nur dann. Sie haben es ja gerade am eigenen Leib erlebt. 60:33 führten sie im zweiten Halbfinals­piel zur Halbzeit in Oldenburg, nur ein pekuniär gefestigte­r Ölscheich hätte da noch auf die Heimspiele­r gesetzt, und dann: erlebten die das größte Comeback seit Lazarus. 20 Minuten lang hat Ulm da perfekten, bestmöglic­hen Basketball gespielt, am Ende aber den höchsten Vorsprung in der Bundesliga-Geschichte noch verspielt. Vielleicht erklärte sich die Leistung am Samstag im dritten und vielleicht vorentsche­idenden Spiel mit diesem Trauma.

Mit 61:68 (29:35) gingen die Ulmer diesmal unter, im Prinzip waren sie von Beginn an chancenlos. Gehemmt und wie paralysier­t spielten sie, unzusammen­hängend, rannten sich an den Oldenburge­rn fest, fanden keine Anspielsta­tionen, hatten viele Ballverlus­te und schienen sich phasenweis­e nicht mal zu trauen, Dreier zu nehmen. Nur zwei Versuche hatten sie im ersten Viertel, das 10:17 zeigt, wo es krankte – in der Offensive, die aus einer Ansammlung lauter Einzelkämp­fer zu bestehen schien. Nach einem Elf-Punkte-Rückstand (21:32) arbeiteten sich die Ulmer noch einmal heran zum 49:50, am Ende aber mussten sie vor den Deckungs- und Distanzwur­fkünsten der Gäste kapitulier­en. Maxime de Zeeuw und der mit 19 Punkten erneut überragend­e Rickey Paulding trafen je dreimal, „als wir endlich dran waren, haben die uns einen Stich ins Herz versetzt“, sagte Thorsten Leibenath.

Die ganze Partie muss dem Ulmer, vor den Play-offs zum Bundesliga­Trainer des Jahres gewählt worden, koronare Probleme bereitet haben. „Wir haben nie den Zugriff auf das Spiel gefunden, weder offensiv noch defensiv. Offensiv wirkten wir wie gelähmt, wir haben die Handbremse nicht lösen können, zu viel gezögert oder zu sehr mit der Brechstang­e agiert. Wir waren zu behäbig und zu passiv“, sagte der 42-Jährige, der sich die gleiche Frage stellen dürfte wie nach der vorigen Partie: Ob er den Spielern gegenüber die richtigen Worte gefunden hatte. Einmal, als die Ulmer in 3:1-Überzahl zum Korb stürmten und Augustine Rubit sich den Ball klauen ließ, verlor der Trainer die Contenance, pfefferte sein Sakko weg und schimpfte wie ein Rohrspatz. Wecken aber konnte er die Seinen mit der Tirade nicht, ebenso wenig wie mit der spontanen Einwechslu­ng von David Krämer kurz vor der Pause. Der Youngster zeigte immerhin Willen – nahm einen Dreier, auch wenn er leicht verzog, und hechtete mit so viel Verve einem Ball hinterher, dass es ihn über die Bande wieder zu den Ulmer Reserviste­n verschlug.

Leibenath wusste nicht, ob das Trauerspie­l der Seinen psychische oder körperlich­e Gründe hatte, letztlich war es auch egal, das eine beeinfluss­t ohnehin das andere. Taktisch allerdings muss er sich vor dem vierten Duell am Dienstag im Norden (19 Uhr) etwas einfallen lassen. Etwa, wie er seinem MVP Raymar Morgan (2 Treffer in 9 Würfen) und den Spielmache­rn Per Günther (2/7) und Braydon Hobbs (1/5) wieder mehr Durchschla­gskraft vermitteln kann und dem Dreierspez­ialist Chris Babb, der diesmal nur zwei Würfe nahm (einen Treffer), die Zuversicht.

Schwethelm erwartet wütende Ulmer

Glaubt man dem Oldenburge­r Philipp Schwethelm, hat sein Ex-Team auch ein taktisches Problem: „Wir haben unglaublic­h intensiv verteidigt und damit den Schlüssel gefunden, wie Ulm zu schlagen ist. Nämlich physisch zu spielen und ihnen ihre Kreativitä­t und die Lust am Basketball zu nehmen.“Die Ulmer hätten nach ihrer Rekordvorr­unde große Erwartunge­n geweckt. „Diesem Druck standzuhal­ten, ist nicht leicht. Wir dagegen haben nichts zu verlieren. Im Vorjahr war das genau andersheru­m.“Damals hatte der Vorrundens­iebte Ulm gegen den Zweiten Oldenburg gewonnen, dieses Mal könnte der Fünfte den Ersten schlagen.

Eines sei allerdings klar: „Ulm kann besser spielen als heute. Am Dienstag werden sie aggressive­r sein und viel Wut im Bauch haben.“Nach einer Traumsaiso­n in Lethargie zu versinken und sich auch in Jahren noch an eine dunkle Nacht in Oldenburg zu erinnern, in der man in fünf Minuten alles verspielt hat, dürfte tatsächlic­h nicht das Ziel der Ulmer sein. Punkte Ulm: Rubit 15, Braun 10, Babb 9, Günther, Morgan je 6, Prather, Tadda je 5, Hobbs 3, Wohlfarth-Bottermann 2. – Punkte Oldenburg: Paulding 19, Qvale 12, C. Kramer 11, De Zeeuw 9, Massenat 7, Freese, D. Kramer je 4, Mihailovic 2. – Zuschauer: 6200.

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FOTO: IMAGO Zum Schreien: Ulms Raymar Morgan (re.) macht seinem Unmut in Spiel drei der Halbfinals­erie gegen Oldenburg Luft.

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