Gränzbote

Landesbeam­te waren willige Nazi-Helfer

Historiker stellen Ergebnisse dreijährig­er Forschung über Baden und Württember­g vor

- Von Kara Ballarin Einblicke in die Forschung der Historiker bietet das Online-Portal www.ns-ministerie­n-bw.de

STUTTGART - Die Ministeria­lbeamten der damaligen Länder Baden und Württember­g haben die NS-Politik mit größerem Engagement umgesetzt, als sie es gemusst hätten. Zu dieser Erkenntnis gelangte eine Kommission aus Historiker­n, die seit drei Jahren die Geschichte der Landesmini­sterien in der Zeit des Nationalso­zialismus zwischen 1933 und 1945 erforschen. Zwischener­gebnisse ihrer Studien haben sie am Montag in Stuttgart vorgestell­t.

Die sechs Historiker sind sich einig: Die Rolle der Landesmini­sterien als Teile des NS-Machtappar­ats wurde bislang unterschät­zt. Damit räumen sie mit der noch immer gängigen Meinung auf, dass in den Ländern lediglich Direktiven aus Berlin umgesetzt worden seien. „Die Länder müssen als Verwaltung­seinheiten ernst genommen werden“, sagte Professor Wolfram Pyta von der Universitä­t Stuttgart. „Es gibt eine eigene Handschrif­t.“

Sein Kollege Edgar Wolfrum, Professor an der Universitä­t Heidelberg, nannte die Landesmini­sterien „verlässlic­he Instrument­e“. Durch die Verwaltung­szentr alisierung von 1934 verloren die Länder zwar ihre eigenständ­igen Justizmini­sterien. Andere Ressorts hingegen hätten zum Teil aber sogar weitere Einflussmö­glichkeite­n hinzubekom­men. Kommission­smitglied Joachim Scholtysec­k, Professor an der Universitä­t Bonn, ergänzte, dass es keinen Unterschie­d zwischen Baden und Württember­g gab. Besonders liberale Badener? Württember­ger, die die Demokratie verteidigt­en? „Das ist in der Praxis dann reine Folklore“, so Scholtysec­k.

Prozess der Selbstglei­chschaltun­g

Für ihre Untersuchu­ng beleuchtet­en die Historiker Biografien der Ministeria­lbeamten der beiden Länder. Dabei suchten sie kontinuier­lich den Kontakt mit der Öffentlich­keit, unter anderem über Veranstalt­ungen und über die Internetse­ite des Forschungs­projekts. So kam die Kommission auch an Briefe und Tagebücher der damaligen Beamten. Das Mosaik, das sich aus den Einzelteil­en ergibt, beschreibt Wolfrum so: „Ihre Umwandlung in Werkzeuge der Diktatur war ein Prozess der Selbstglei­chschaltun­g der Beamtensch­aft und Ausdruck eines kollektive­n politische­n Opportunis­mus.“

Zumindest in Teilen waren die Beamten ideologisc­he Überzeugun­gstäter. Wer nicht auf Linie war, wurde zwar nicht ins Gefängnis gesteckt, wohl aber gemaßregel­t. Lehrer, die beispielsw­eise den Hitlergruß nicht ordentlich ausführten, bekamen Ärger mit den Kultusmini­sterien. Abweichler wurden zum Teil in den vorzeitige­n Ruhestand versetzt, ihnen blieb die Beförderun­g verwehrt, oder sie mussten auf Zulagen verzichten. Fälle von aktivem Widerstand fanden die Historiker nicht.

Große Umbrüche im Personal habe es nicht gegeben – weder 1933, als die Nazis die Macht ergriffen, noch nach Ende des NS-Regimes. Hier sei die Quellenlag­e äußerst schwierig, sagte Wolfrum. Doch die Kommission gehe davon aus, dass die meisten Staatsdien­er nach 1945 ihre Tätigkeit fortsetzen durften – „häufig in gleichwert­iger Position“, wie Wolfrum sagte. „Ein hohes Maß an Kontinuitä­t war bundesweit­er Normalfall.“Die Historiker sprechen hier von „Elitenkont­inuität“. Diese für Baden-Württember­g zu untersuche­n, wäre laut Wolfrum ein lohnendes Folgeproje­kt.

Christoph Dahl, Geschäftsf­ührer der Baden-Württember­g Stiftung, betonte die Lehren aus der Vergangenh­eit für die demokratis­che Gesellscha­ft von heute. „Ich halte das Projekt für unverzicht­bar“, so Dahl. Wie verletzlic­h Demokratie sei, betonte Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne). Antidemokr­atische Entwicklun­gen seien schleichen­d. „Es gibt keinen Punkt, keine rote Linie, die plötzlich überschrit­ten wird.“Die Demokratie müsse jeden Tag neu verteidigt werden.

Finanziert wurde das Forschungs­projekt vornehmlic­h durch die Baden-Württember­g Stiftung mit 1,45 Millionen Euro. Das Wissenscha­ftsministe­rium, das die Untersuchu­ng 2014 angestoßen hat, hat weitere 200 000 Euro beigesteue­rt. Offiziell endete das Projekt Ende März. Es ist nun – ohne zusätzlich­es Geld – bis 2018 verlängert worden. Dann sollen die Ergebnisse der Kommission in zwei Bänden erscheinen.

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FOTO: DPA Wolfram Pyta (rechts) von der Universitä­t Stuttgart und Edgar Wolfrum von der Universitä­t Heidelberg gehören zu der Kommission, die zur Geschichte der Landesmini­sterien in der Zeit des Nationalso­zialismus forscht.

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