„Für Europa kann eine Chance entstehen“
Sicherheitsexperte Jan Techau zur Unberechenbarkeit der USA unter Donald Trump
RAVENSBURG - Die EU muss von ihrem wichtigen sicherheitspolitischen Partner USA weniger abhängig werden – eine Schlüsselrolle dabei könnte Deutschland spielen. Das sagte der Politologe Jan Techau (Foto: pr) von der American Academy in Berlin im Gespräch mit Alexei Makartsev.
Angela Merkel drängt zum Umdenken: Man könne sich auf die USA nicht verlassen, die Europäer müssen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Hat die Kanzlerin recht?
Es ist seit Jahren klar, dass wir uns in einer ungesunden Abhängigkeit befinden von dem amerikanischen Willen, uns zu beschützen. Die Europäer haben aber nicht viel getan, um das zu ändern. Die Kanzlerin hat also recht, aber man muss auch offen sagen, dass die Europäer unter den besten Bedingungen und unter der perfektesten außenpolitischen Zusammenarbeit diese Abhängigkeit von Amerika nicht vollständig ablegen könnten. Wir sind weiter auf die US-Sicherheitsgarantie angewiesen, vor allem darauf, dass die Amerikaner weltweit Stabilität erzeugen.
Werden sie das weiter tun?
Das ist ungewiss. Der Zweifel besteht seit dem Wahlsieg Trumps, der den Nato-Beistand nach Artikel Fünf von Zahlungen abhängig macht. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass der wichtigste US-Politiker die Grundlogik der Sicherheitsgarantie für Europa versteht.
Was bedeutet das konkret: Europas Schicksal jetzt in die eigene Hand zu nehmen?
Die Europäer müssen selbst mehr für ihre militärische Sicherheit tun. Dazu gehören steigende Verteidigungsausgaben. Aber dazu gehört auch, strategisch zu denken. Etwa: Welche Ordnungsmodelle haben wir für die Türkei, den Balkan, den Nahen Osten? Welche Mittel brauchen wir dafür?
Dabei ist Europa gerade mit internen Problemen schwer beschäftigt, wie dem Brexit, den Rechtspopulisten und der Flüchtlingskrise …
… ja, der Druck von Innen ist groß, während die „Klebekraft“des Integrationsprozesses nachgelassen hat. Wir haben mehr Europagegner als früher, die Menschen haben das Gefühl, dass die EU den Kampf gegen den Terror nicht bewältigt. Zu diesen „Baustellen“kommen noch externe Probleme dazu, etwa der Druck durch Putin, die gefährdete Stabilität auf dem Balkan – und der Trump-Effekt. Für die EU, die eine globale Führungsrolle übernehmen muss, ist dies ein Worst-Case-Szenario.
Wäre eine gestärkte Achse BerlinParis ein guter Ersatz für Europa, die sich der Unterstützung der USA nicht länger sicher sein kann?
Diese Achse ist alleine nicht ausreichend, um Europa voranzutreiben. Aber ohne sie geht nichts. Bezogen auf die Außen- und Sicherheitspolitik kann eine enge deutsch-französische Partnerschaft Kraft entfalten, auch wenn beide Länder ihre Interessen unterschiedlich definieren. Noch wichtiger als diese Achse ist aber die Frage, welche sicherheitspolitische Rolle Berlin spielt. Es gibt in Europa ein Rest-Misstrauen gegenüber Deutschland, ob es im Ernstfall als militärischer Partner bereitstehen würde. Solange dieses Misstrauen nicht zerstreut ist, werden sich andere Europäer mit Deutschland nur unter Vorbehalt verbünden.
Manche Politiker werfen der Bundesregierung das „Duckmäusertum“gegenüber den USA vor. Sind wir als Juniorpartner zu wenig selbstbewusst aufgetreten?
Nein. Wir haben oft genug eine Gegenposition zu den USA eingenommen. Etwa im Irak-Krieg, in der Syrien-Frage oder im Verhältnis zu China. Ich finde es absurd, dass diejenigen jetzt über das vermeintliche „Duckmäusertum“schimpfen, die die deutschen Kapazitäten für Außenund Sicherheitspolitik vernachlässigt haben und die Nato auflösen wollen.
Ist eine Rückkehr der USA zu einer aktiveren außenpolitischen Rolle unter Trump vorstellbar?
Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Trump die USA in den Isolationismus treibt. Er will sich nicht zurückziehen, das sieht man daran, wie offensiv seine Politik gegenüber China ist. Amerika bleibt geopolitisch präsent, nur auf eine unberechenbare Art und Weise. Die Frage ist, ob Trump in der Lage ist, das komplexe Geflecht von strategischen Interessen und Notwendigkeiten zu durchschauen. Die Qualität seiner politischen Entscheidungen macht mir Sorge.
Sehen Sie in der außenpolitischen Schwäche der USA eher einen Fluch oder eine Chance für Europa?
Die Unberechenbarkeit ist immer schlecht. Wenn sie aber zu der Einsicht in Europa führt, dass man enger zusammenrücken und aktiver werden muss, dann kann daraus eine Chance entstehen.