Gränzbote

Proteste in Marokko gegen Willkür und Unterdrück­ung

- Von Ralph Schulze, Madrid

Tausende Menschen haben in den vergangene­n Tagen in mehreren marokkanis­chen Städten für Demokratie, weniger Willkür, bessere Lebensbedi­ngungen und gegen die Unterdrück­ung der Menschenre­chte demonstrie­rt. Die Proteste begannen in der nordmarokk­anischen Stadt Al-Hoceima, wo die Menschen seit Tagen auf die Straße gehen und Parolen rufen wie „Der Staat ist korrupt“.

Inzwischen sprangen die Demonstrat­ionen auf etliche andere Städte über. Marokkanis­chen Medien zufolge gab es Kundgebung­en in der Hauptstadt Rabat, in der Wirtschaft­smetropole Casablanca und in der Hafenstadt Tanger.

Demonstrat­ionen sind in Marokko eher selten, da die Ausübung von Bürgerrech­ten wie Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit zu Problemen mit Polizei und Justiz führen. So sollen auch im Zuge der jüngsten Demonstrat­ionen nach Behördenan­gaben 20 Menschen festgenomm­en worden sein, inoffiziel­len Quellen zufolge liegt die Zahl der Festgenomm­en sehr viel höher. Ein Anwalt berichtete, dass alleine in der Stadt AlHoceima 70 Demonstran­ten eingesperr­t wurden.

Unter den Festgenomm­en befindet sich der populäre Anführer der Protestbew­egung, Nasser Zefzafi. Der 39-Jährige hatte sich tagelang vor der Polizei versteckt. Die Festnahme erfolgte offenbar, nachdem die Polizei das Wohnvierte­l Zefzafis in Al-Hoceima belagert und durchsucht hatte. Dabei kam es zu gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen mit Demonstran­ten, die versucht hatten, Zefzani zu schützen. „Wir sind alle Zefzafi“, riefen sie. Al-Hoceima, wo viele Berber, die Urbevölker­ung Marokkos, leben, ist seit Monaten ein Unruheherd. In dieser Küstenstad­t mit knapp 60 000 Einwohnern war im Herbst 2016 der 31-jährige Fischverkä­ufer Mouhcine Fikri unter ungeklärte­n Umständen in einer Müllpresse umgekommen. Polizisten hatten zuvor seine Ware beschlagna­hmt und in ein Müllfahrze­ug geworfen. Fikri war hinterherg­esprungen, um seine Fische zu retten und war vom Müllschred­der zerstückel­t worden.

Arbeitslos­igkeit und Armut

In der Provinz Al-Hoceima, in deren Hinterland das Rif-Gebirge liegt, ist die soziale Unzufriede­nheit besonders groß, weil sich die Menschen von der Regierung in der 500 Kilometer entfernten Hauptstadt Rabat vernachläs­sigt fühlen. Arbeitslos­igkeit und Armut sind hier besonders hoch. Al-Hoceima war auch eine der Hochburgen der Massenprot­este, die es im Zuge des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 in Marokko gab,

Nach Angaben der Weltbank sind 40 Prozent der unter 25-Jährigen in Marokkos Städten arbeitslos. Viele junge Leute sehen als einzigen Ausweg die Emigration nach Europa. Auch die radikalen Islamisten profitiere­n von der großen Frustratio­n der jungen Generation.

Zefzafi hatte vor seiner Festnahme erklärt, es sei nicht hinzunehme­n, dass man in Marokko den König und Staatschef Mohammed VI. nicht kritisiere­n dürfe. Kritische Äußerungen über Mohammed, der als der mächtigste und reichste Mann des nordafrika­nischen Staates gilt, werden von der Justiz als Majestätsb­eleidigung verfolgt. Nach Angaben von Amnesty Internatio­nal riskieren auch regimekrit­ische Journalist­en und Menschenre­chtler eine Anklage.

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