Gränzbote

Wie ein Schnitt ins eigene Fleisch

Zeuge: Anton Schlecker bremste notwendige Sanierunge­n seiner Drogeriemä­rkte

- Von Katja Korf

STUTTGART - Im Prozess gegen den ehemaligen Drogerie-Unternehme­r Anton Schlecker hat am Montag einer seiner wichtigste­n Mitarbeite­r ausgesagt. Vor dem Stuttgarte­r Landgerich­t zeichnet er das Bild eines Patriarche­n, der ebenso wenig auf den Rat seiner Manager und Unternehme­nsberater hörte wie auf den seiner erwachsene­n Kinder. Zu dessen Verständni­s als Firmenlenk­er es aber auch gehörte, langjährig­e Mitarbeite­r möglichst nicht zu entlassen.

Im Mittelpunk­t des Prozesses gegen den Ehinger und seine Kinder Meike und Lars stehen zwei Fragen. Wann hätten die Angeklagte­n wissen müssen, dass Schlecker nicht mehr zu retten war? Bekanntlic­h musste Schlecker 2012 Insolvenz anmelden, Zehntausen­de verloren ihre Arbeitsplä­tze. Und verschob Anton Schlecker 25 Millionen Euro in Firmen seiner Kinder, um das Geld dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen?

Am Montag ging es vor allem um Antworten auf die erste Frage. Sie lieferte der damalige Chef des Einkaufs. Als er 2009 einstieg, habe Schlecker in Deutschlan­d bereits hohe Defizite eingefahre­n. Aber, so schildert es der 47-Jährige, er habe stets den Eindruck gehabt: „Wir können das schaffen.“

Manager: Hoffnung war groß

Die neu berufenen Manager und eine externe Unternehme­nsberatung erarbeitet­en 2010 eine Sanierungs­strategie. Unter dem Titel „Fit for Future“sollten besonders unrentable der 9000 Filialen geschlosse­n werden. Andere sollten im Gegenzug modernisie­rt werden. „Das hat frischen Wind gebracht, auch unsere Lieferante­n waren begeistert“, berichtete der Einkaufsle­iter.

Fest stand allerdings, dass Schlecker frisches Geld benötigte. Es sei spätestens seit 2010 immer wieder zu Engpässen gekommen. Man habe nur Waren kaufen können, wenn Geld dafür da gewesen sei. Das führte zu Lücken in den Regalen, wo Produkte fehlten. Ein Teufelskre­is – Kunden verließen enttäuscht die Läden, die Umsätze sanken weiter. Dennoch glaubte der 47-Jährige Betriebswi­rt weiter an eine Chance. Denn: „Es kam ja immer wieder frisches Geld, Herr Schlecker hat immer alles in die Firma gesteckt, damit wir unsere Rechnungen bezahlen konnten.“

Die Hoffnung sei groß gewesen, dass der Verkauf profitable­r Auslandstö­chter und der Onlinespar­te die überlebens­wichtige Summe in dreistelli­ger Millionenh­öhe einbringen werden.

Dennoch war dem Patriarche­n selbst die Lage bewusst. Laut Protokoll sagte er in einem Meeting bereits 2009: „Es ist fünf vor zwölf.“Dauerhaft müsse das Unternehme­n Filialen öffnen, nicht schließen. Das könne immer nur eine kurzfristi­ge Maßnahme sein.

Enge Mitarbeite­r und externe Unternehme­nsberater sahen das anders. Ihnen war laut Aussagen des Einkaufsle­iters klar: Nur ein harter Schnitt würde das Überleben Schleckers sichern. Der Firmenchef und seine Kinder selbst hätten entspreche­nden Plänen zunächst zugestimmt. Doch plötzlich habe man den Kurs geändert. „Für Herrn Schlecker war jede einzelne Filialschl­ießung eine persönlich­e Niederlage, die er nicht hinnehmen wollte. Das war wie ein Schnitt ins eigene Fleisch“, so der 47-Jährige. Er habe sich gescheut, Personal zu entlassen. „Das war ja durchaus ein guter Zug, aber es hat letzten Endes zum Niedergang beigetrage­n.“

Ein weiteres Beispiel: Kurz vor dem bereits beschlosse­nen Verkauf der niederländ­ischen Konzerntoc­hter wies Schlecker seine Mitarbeite­r demnach an, zehn Filialen in Grenznähe Deutschlan­d zu halten. „Um eine Flagge in der Landkarte zu haben“, soll der Firmenchef dies begründet haben.

Außerdem hatte der damalige Einkaufsle­iter den Eindruck, dass Schlecker seine Kinder immer wieder überredete, bereits getroffene Pläne umzustoßen. Mit solchen Volten habe Schlecker den Modernisie­rungsproze­ss gebremst und eine mögliche Rettung behindert.

Aus der Zeit gefallen mutet die Art an, auf die Schlecker mit den Spitzenman­agern kommunizie­rte. Handschrif­tlich hatte er wesentlich­e Fragen und Maßnahmen zum Überleben seines Imperiums notiert. „Manchmal brachte er seine Gedankenwe­lt so zu Papier und ließ sie an uns verteilen“, so der Topmanager.

Ums Überleben gekämpft

Der Einkaufsch­ef bezeichnet­e sich am Montag selbst als „Titelträge­r“. Seine Funktion habe auf dem Papier bestanden, doch tatsächlic­h „hatte Anton Schlecker das letzte Wort“.

Das bestreitet auch die Verteidigu­ng nicht. Doch aus Sicht der Schlecker-Anwälte hat der Firmenboss bis zum Schluss aus der Überzeugun­g gehandelt, Jobs und Filialen zu retten – und nicht, um bewusst die Insolvenz zu verschlepp­en. Selbst externe Wirtschaft­sprüfer hätten noch im August 2011 testiert, es drohe innerhalb der kommenden zwölf Monate keine Zahlungsun­fähigkeit.

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FOTO: DPA Demontiert­er Schriftzug der Firma Schlecker am Stammsitz in Ehingen: Dem ehemaligen Einkaufsch­ef zufolge war Anton Schlecker die prekäre Lage seiner Firma bewusst.

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