Weniger Behandlungsfehler
Krankenkassen fordern Meldepflicht für ärztliche Pannen
BERLIN (dpa) - Die Zahl der medizinischen Behandlungsfehler ist nach Angaben der gesetzlichen Krankenkassen 2016 leicht zurückgegangen. Das bedeute jedoch nicht, dass sich das Risiko, einen Behandlungsfehler zu erleiden, generell verringert hätte, erläuterte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am Dienstag in Berlin seine Statistik für 2016. Danach wurden gut 15 000 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In knapp jedem vierten Fall, nämlich bei 3564 Behandlungen, bestätigten die Fachärzte des MDK den Verdacht der Patienten. Zwei Drittel der Vorwürfe betrafen demnach Behandlungen in der stationären Versorgung, ein Drittel Behandlungen durch niedergelassene Ärzte.
Der MDK kritisierte, dass konkrete Daten in Deutschland nur punktuell vorlägen und forderte deshalb eine konsequente Meldepflicht für Behandlungsfehler.
BERLIN (dpa) - Die Zahl der ambulanten Behandlungen liegt bei rund 700 Millionen, in Krankenhäusern bei 20 Millionen Fällen. Gleichzeitig registrieren die Krankenkassen seit Jahren um die 4000 Behandlungsfehler. „Jeder Fehler ist ein Fehler zu viel, doch wir sind hier im Promillebereich und in internationaler Spitzenposition“, sagt Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Aber trotz erkennbarer Fortschritte tun sich Ärzte nach Ansicht der Krankenkassen schwer mit der Fehlerforschung. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Was ist ein Behandlungsfehler?
Es gibt unterschiedliche Arten von ärztlichem Fehlverhalten. So kann ein Behandlungsfehler vorliegen, wenn eine Behandlung nicht den aktuellen medizinischen Standards entspricht, wenn eine eigentlich gebotene medizinische Behandlung unterlassen oder eine unnötige durchgeführt wird. Auch wenn eine Diagnose trotz eindeutiger Hinweise nicht gestellt wird, kann dies als Behandlungsfehler gewertet werden. Doch auch bei fehlerfreien Behandlungen können Nebenwirkungen und Komplikationen auftreten.
Wie entwickeln sich die Zahlen?
Im Vergleich zum Vorjahr hat die Zahl der Patientenbeschwerden und der anschließenden Begutachtungen leicht zugenommen: 2015 waren es 14 828, im vergangenen Jahr wurden 15 094 verzeichnet. Die Anzahl der vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) registrierten Behandlungsfehler lag 2015 bei 4064 Fällen, 2016 waren es 3564. Es ist jedoch unbekannt, wie viele Patienten sich bei einem solchen Verdacht direkt an Gerichte, Anwälte oder Versicherungen gewendet haben. Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Anzahl der erstellten MDK-Gutachten leicht ansteigt, während die Anzahl bestätigter Behandlungsfehler immer wieder leichte Schwankungen aufweist.
Was kann der Patient tun?
Hat ein Patient den Verdacht, dass bei ihm ein Behandlungsfehler passiert ist, und will er dann Schadenersatzansprüche geltend machen, sind die eigene Krankenkasse und der behandelnde Arzt erste Adressaten. Die Krankenkasse ist gesetzlich verpflichtet, Patienten im Falle eines solchen Verdachts zu unterstützen. In ihrem Auftrag erstellt der MDK ein fachärztliches Gutachten, das für Patienten kostenfrei ist. Kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass der Verdacht gerechtfertigt ist, hilft das dem Betroffenen, seine Ansprüche durchzusetzen. Aber auch Ärzte sind verpflichtet, Auskunft zu geben, wenn sie mit einem solchen Verdacht konfrontiert werden. Geht der Arzt von einem Fehler aus, der gesundheitliche Gefahren zur Folge hat, muss er den Patienten informieren. Grundsätzlich kommen gesetzliche Krankenkassen, ärztliche Schlichtungsstellen bei den Landesärztekammern, Anwälte für Medizinrecht, Unabhängige Patientenberatungen und Verbraucherzentralen sowie verschiedene Interessengemeinschaften Medizingeschädigter als Ansprechpartner infrage.
Wer muss den Fehler nachweisen?
Die Beweispflicht liegt grundsätzlich beim Patienten. Nur bei unterlassener Aufklärung, einem groben Behandlungsfehler oder einem Dokumentationsfehler kommt eine Beweislastumkehr infrage, dann muss der Arzt nachweisen, dass er nicht geschlampt hat. Geschädigte Patienten müssen sowohl die Pflichtverletzung des Arztes nachweisen als auch den Schaden an sich und die Pflichtverletzung als Ursache des Schadens. Angesichts der zahlreichen Juristen der Krankenhäuser und Versicherungen ist das allerdings eine große Hürde für die Patienten.
Was für Fehler sind in der Statistik erfasst?
Zwei Drittel der Vorwürfe betrafen den Angaben zufolge Behandlungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern. Ein Drittel bezog sich auf Behandlungen durch einen niedergelassenen Arzt oder eine niedergelassene Ärztin. 7765 Vorwürfe (51,4 Prozent) standen in direktem Zusammenhang mit der Behandlung im Operationssaal. In rund der Hälfte (51 Prozent) aller durch die Begutachtung bestätigten Fehler wurde eine medizinische Maßnahme nicht (40 Prozent) oder zu spät (11 Prozent) vorgenommen. In der anderen Hälfte bestand der Fehler zumeist darin, dass eine notwendige Behandlung nicht korrekt war (39 Prozent).
In welchem Fachbereich ist das Fehlerrisiko am größten?
In der Chirurgie und im Krankenhaus werden am meisten Vorwürfe erhoben. Hier wurden laut MDK 33 Prozent der Vorwürfe registriert. Zwölf Prozent waren es in der Inneren Medizin und der Allgemeinmedizin, weitere neun Prozent in der Allgemeinchirurgie, ebenfalls neun Prozent in der Zahnmedizin. Sieben Prozent entfielen auf die Frauenheilkunde und vier Prozent auf die Pflege.
Ist die jährliche Statistik über Behandlungsfehler aussagekräftig?
Sowohl der MDK als auch die Ärzteschaft selbst legen jährlich von einander abweichende Statistiken über Behandlungsfehler vor. Der MDK verlangt deshalb eine Meldepflicht für Behandlungsfehler und eine Vereinheitlichung der Statistiken. Auch der Chef der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, klagt, die Statistik sage wenig aus. „Wir brauchen endlich ein bundeseinheitliches Zentralregister für Behandlungsfehler.“Und: „Die Beweislast muss zugunsten der Opfer umgekehrt werden.“