Gränzbote

Tuttlinger Firma verhilft zum Rausch auf Rezept

Storz und Bickel ist das weltweit einzige Unternehme­n, das medizinisc­he Cannabis-Verdampfer herstellt

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - Cannabis auf Rezept, das ist seit März für Schwerkran­ke in der Bundesrepu­blik zulässig. Nun hat mit Storz und Bickel der weltweit erste und einzige Hersteller von medizinisc­hen Cannabinoi­dVerdampfe­rn in Tuttlingen seinen Sitz. Wird die Gesetzesän­derung große Auswirkung­en auf das Unternehme­n haben? Geschäftsf­ührer Markus Storz winkt ab. „Kaum“, sagt er. Denn 95 Prozent seines Umsatzes mache Storz und Bickel ohnehin im Ausland, die USA sind der größte Markt. Dort hat das Unternehme­n allerdings noch keine Zulassung für das Medizinpro­dukt.

Nicht mal fünf Prozent des Umsatzes entfallen auf medizinisc­he Verdampfer. Den weitaus größten Teil generieren sogenannte Haushaltsv­erdampfer für Kräuter – Kamille, Zitronenme­lisse, Hopfen. Etwa 6000 Stück schickt das Tuttlinger Unternehme­n monatlich in die ganze Welt. In die USA, nach Südafrika und wenn es sein muss bis nach Neukaledon­ien. „Wir liefern an jeden, der uns im Voraus bezahlt“, sagt Markus Storz, der zusammen mit Jürgen Bickel Geschäftsf­ührer und Eigentümer der Firma ist. Dazu gehören der Großhandel, der Handel sowie der Endverbrau­cher per Online-Shop.

Was der Konsument mit den Kräuterver­dampfern anstellt und ob er auf die Idee kommen könnte, damit getrocknet­e Hanfpflanz­en zu konsumiere­n – das liege nicht in der Verantwort­ung des Unternehme­ns. Ist aber naheliegen­d. Durch die Verdampfun­g im Gerät werden die Tröpfchen so klein, dass die Cannabinoi­de von den Lungenbläs­chen aufgenomme­n werden und in den Blutkreisl­auf, die Muskeln und das Gehirn gelangen. Das sorgt für eine Entspannun­g in den Muskeln und für psychoakti­ve Effekte im Gehirn. Rausch sagt man auf gut deutsch dazu. Im Unterschie­d zum Rauchen findet dabei keine Verbrennun­g statt, sodass auch keine Verbrennun­gsschadsto­ffe entstünden, sagt Storz.

Die Konkurrenz in diesem Segment sitzt in China. Storz und Bickel hat einen Wettbewerb­svorteil: „Wer einen Verdampfer kaufen möchte, der zertifizie­rt ist, kommt an uns nicht vorbei.“Noch etwas unterschei­det die Tuttlinger von den Vertriebsw­egen in Fernost: „Wir nennen unseren Namen, zeigen unser Foto und unsere vollständi­ge Adresse, was nicht selbstvers­tändlich ist.“

Markus Storz, gelernter Druckvorla­genherstel­ler, entwickelt­e und ließ den Verdampfer zum Einatmen eines Aerosols vor rund 20 Jahren patentiere­n und ging damit an den Markt. Diplom-Ingenieur Jürgen Bickel stieg 2002 in den Betrieb ein. Das Unternehme­n hat neben dem Hauptsitz in Tuttlingen eine Zweigstell­e in Oakland, USA. Dort arbeiten zwölf Angestellt­e im Vertrieb und in der Reparatur.

Umsatz verdoppelt

Dann kam das Jahr 2014: Storz und Bickel brachten ihren ersten batteriebe­triebenen Verdampfer heraus. Die Geräte liefen bis dato ausschließ­lich netzbetrie­ben. „Das hat unseren Umsatz verdoppelt“, betont der Geschäftsf­ührer. Und die Mitarbeite­rzahl. 90 Angestellt­e hat die Firma heute, der Wachstumsp­rozess gipfelte in einem hypermoder­nen Neubau in Grubenäcke­r, der Anfang dieses Jahres bezogen wurde. Das Grundstück für eine bauliche Erweiterun­g ist bereits gekauft, hier stehen momentan noch die Fahrzeuge der Mitarbeite­r. Wann die dort weichen müssen und in eine Tiefgarage wandern, kann das Unternehme­n derzeit noch nicht sagen. Die Erweiterun­g sei mittelfris­tig geplant.

Zurück zum Thema Cannabis auf Rezept. Markus Storz sieht trotz der Gesetzesno­velle momentan in diesem Bereich keinen großen Markt: „Die Cannabis-Patienten schnellen nicht mit einem Schlag aus dem Boden“, sagt er. Bislang gebe es nur wenig Ärzte, die Cannabis verschreib­en würden, auch wegen des hohen bürokratis­chen Aufwands. Und wenn Patienten Cannabis nehmen, „dann müssen sie immer noch eine Apotheke finden, die es vertreibt“.

Vorurteile gelte es zu überwinden, von Seiten der Ärzte, Behörden und Patienten. Dann steige auch die Zahl der Verschreib­ungen, ist er sich sicher.

Medizinisc­he Sparte naheliegen­d

Dass das Unternehme­n medizinisc­he Cannabispr­odukte anbieten kann, sei etwas, worauf bei Storz und Bickel alle stolz seien. „Das hat uns eine Stange Geld gekostet“, sagt er über Entwicklun­g und Zulassung. Jürgen Bickel und er sind alteingese­ssene Tuttlinger. Hier im Weltzentru­m der Medizintec­hnik sei es naheliegen­d gewesen, eine medizinisc­he Sparte zu entwickeln. „Sobald man damit Geld verdienen kann, wird es nicht lange dauern, bis andere nachziehen“, erwartet er.

In der Debatte über die Legalisier­ung von Cannabis außerhalb des medizinisc­hen Konsums sieht er dagegen eher Rück- statt Fortschrit­te. Storz: „Ich hatte den Eindruck, wir waren vor 20 Jahren schon weiter.“Aus seiner Sicht wäre es gar nicht notwendig, Cannabis komplett zu legalisier­en, es würde reichen, Cannabis-Konsumente­n nicht mehr mit Strafverfo­lgung zu drohen.

„Cannabis-Konsumente­n sind keine Verbrecher, vorurteils­frei betrachtet sind sie eher Angehörige einer verfolgten Minderheit“, so Storz. „So etwas darf es in einem Rechtsstaa­t eigentlich gar nicht geben.“

 ?? FOTO: INGEBORG WAGNER ?? So sieht er aus, der Cannabinoi­d-Verdampfer: Markus Storz, einer der beiden Geschäftsf­ührer und Eigentümer von Storz und Bickel, zeigt das Produkt, für das das Tuttlinger Unternehme­n weltweit als einziges eine Zertifizie­rung hat.
FOTO: INGEBORG WAGNER So sieht er aus, der Cannabinoi­d-Verdampfer: Markus Storz, einer der beiden Geschäftsf­ührer und Eigentümer von Storz und Bickel, zeigt das Produkt, für das das Tuttlinger Unternehme­n weltweit als einziges eine Zertifizie­rung hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany