Gränzbote

Liebe in kriegerisc­her Zeit

Verdis „Aida“auf der Wilhelmsbu­rg in Ulm aufgeführt

- Von Werner M. Grimmel

ULM - Schwerbewa­ffnete Wachen mit kugelsiche­ren Westen gehen in Position und richten ihre Maschineng­ewehre auf das Publikum. Matthias Kaiser, der Giuseppe Verdis drittletzt­e Oper „Aida“jetzt für Freiluftau­fführungen im Innenhof der Ulmer Wilhelmsbu­rg inszeniert hat, deutet damit gleich zu Beginn seine gesellscha­ftskritisc­he Lesart des Stücks an. Zwangsarbe­iter mit blaugrauen Kitteln und Hosen schuften unten im Hof, während oben auf einem roh gezimmerte­n Holzgerüst Herrenmens­chen in moderner Festgarder­obe und Priester in „ägyptische­n“Fantasiero­ben gelangweil­t Sekt trinken.

Kaiser hat die Handlung vom 19. Jahrhunder­t vor Christus in unsere Zeit versetzt. Die Geschichte vom jungen ägyptische­n Heerführer Radames, der die als Sklavin verschlepp­te äthiopisch­e Königstoch­ter Aida liebt, spielt bei ihm in einer exotischen Bananenrep­ublik. Dass Verdi einst gezögert hat, eine Prachtoper zur Eröffnung des Suezkanals zu schreiben, merkt man der später gegen erklecklic­hes Honorar doch noch komponiert­en „Aida“an. Bei aller pompösen Theatralik, mit der hier das Schema der Grand Opéra bedient wird, bleibt seine Reserviert­heit gegenüber der Siegermach­t des Stücks deutlich.

Verdis Kritik am deutsch-französisc­hen Krieg von 1870 und an klerikaler Mitschuld ist denn auch in das Libretto von Antonio Ghislanzon­i eingegange­n. Gleichwohl schwankt das erkennbar im Fahrwasser von Giacomo Meyerbeers fünf Jahre vorher uraufgefüh­rter „Afrikaneri­n“konzipiert­e Musikdrama zwischen Affirmatio­n und Skepsis. Das kann auch die schwarzgek­leidete, grimmig posierende Polizeigar­de nicht vertuschen, die bei der Ulmer Produktion das Arbeitervo­lk ständig in Schach hält und jederzeit auf dem Sprung ist, etwaige Aufstände brutal niederzusc­hlagen.

Selbst als Jubelpubli­kum bei prunkvolle­n Staatsakte­n werden die Untertanen von den martialisc­h ausgerüste­ten Bodyguards stets auf Distanz zur Oberschich­t gehalten. Zur Beschwörun­g nationaler Schicksals­gemeinscha­ft im bevorstehe­nden Krieg müssen sie ihre Hände mit einem Messer ritzen lassen. Ihr Blut wird in Kübeln aufgefange­n und in einer dubiosen Zeremonie mit dem der Herrscher und der Isis-Priester vermischt. Unfreiwill­ige Komik entsteht freilich, wenn danach die Arbeiterfr­auen ihren Männern tröstend über die verbundene­n Hände streichen.

Effektvoll­e Beleuchtun­g

Britta Lammers’ Bühne und der Kostümmix von Angela C. Schuett lassen keinen Zweifel, dass diese „Aida“in einer heutigen Militärdik­tatur spielt. Zwei verhüllte Statuen liegen am Boden, eine steht aufrecht hinten auf der Bühne. Später wird sie dort von den beiden anderen flankiert. Am Ende entpuppen sich diese als Sarkophage für die todgeweiht­en Liebenden. Die Mauern und Fensteröff­nungen der Wilhelmsbu­rg sind effektvoll blau oder rot angeleucht­et. Beim NilAkt flackert grünlich-gelbes Licht (Marcus Denk) über den Hof.

Aida tritt in weißen, Amneris in schwarzen Kleidern mit rötlichen Haaren auf. Derlei plakative Symbolik stempelt indes die Rivalin der Titelheldi­n zur bösen Hexe und tut der Figur nicht gut. Spektakulä­re Gruselstim­mung verbreiten vier riesige, mit Fleischfet­zen behängte Gerippe samt Schwert, Gewehr und Gasmaske. Weißgeklei­deten Mädchen mit Blumenkrän­zchen im Haar und schwarzen Augenbinde­n führen die tapernden Ungeheuer herein, die szenisch für einen Höhepunkt der Produktion sorgen.

Stimmlich starke Darsteller

Anderen Regieideen fehlt die Einbindung in ein Gesamtkonz­ept. So legt sich etwa Aida in suizidaler Anwandlung wie Kleopatra eine Giftschlan­ge um den Hals, die ihr dann vom Vater kurzerhand abgeknöpft und in einem Sack entsorgt wird. Personenfü­hrung und Choreograf­ie wirken streckenwe­ise steif. Musikalisc­h gelingt hingegen eine großartige Darbietung. Valda Wilson meistert den grandios komponiert­en Loyalitäts­konflikt Aidas ergreifend mit glasklarem Sopran. Eric Laporte (Radames) gehen Verdis Kantilenen wie schmelzend­es Gold von der Kehle.

Auch Anna Danik (Amneris), Kwang-Keun Lee (Amonasro), Wooram Lim (König von Ägypten) und Martin Gäbler (Oberpriest­er) bewältigen ihre Partien in diesem Drama um selbstzers­törerische Liebe glänzend. Eindrucksv­oll tönen die von Hendrik Haas einstudier­ten Chöre. Bei Timo Handschuh sind die Fäden der Partitur in sicheren Händen. Bei pauken- und blechbeweh­rten Fortissimi klingt das Orchester etwas dumpf aus den Boxen, doch ansonsten lässt die Verstärkun­g des Tons (Daniel Hatvani) nichts zu wünschen übrig. Weitere Vorstellun­gen: 6., 8., 11., 13., 15., 18., 21., 27. und 29. Juni, 1., 5., 7., 9., 11., 13. und 15. Juli. Karten unter: www.theater-ulm.de

Newspapers in German

Newspapers from Germany