Ein Sieg, der den Nahen Osten verrückte
Der Sechstagekrieg vor 50 Jahren zählt zu Israels größten Triumphen – Aber Frieden ist zum Fremdwort geworden
JERUSALEM - Sechs schicksalhafte Tage im Juni 1967 – für die Israelis schlugen in dieser kurzen Zeitspanne Existenzängste in Siegestaumel um. Für die Palästinenser und die arabische Welt brach eine Welt zusammen. Dass Krieg in der Luft liegt, haben damals alle gespürt. Aber keiner vermochte die Kettenreaktion aufzuhalten.
Palästinensische Freischärler hatten in den Tagen vor Kriegsbeginn wiederholt versucht, über die syrische Grenze nach Israel einzudringen. Bei einem Zwischenfall in der Luft schoss Israel ein Dutzend syrischer Kampfflieger ab. Kairo warnte die Israelis, die Syrer in Ruhe zu lassen, für Ägyptens Staatschef Gamal Abdel Nasser eine willkommene Gelegenheit, sich als panarabischer Führer zu profilieren.
Er erließ einen folgenreichen Befehl. Die Nachricht, Nasser schicke ägyptische Truppen in den Sinai, erreichte Israels Regierung während einer Feierstunde zum nationalen Unabhängigkeitstag im Mai. Eine Provokation – nicht nur in israelischen Augen. Die ägyptische Halbinsel ist nach internationalem Übereinkommen demilitarisiert, seitdem Israel sie 1956 eingenommen, aber auf Druck aus Washington und Moskau wieder verlassen hat. Eingeschüchtert von Nassers Säbelrasseln zog UN-Generalsekretär U-Thant die dort stationierten Blauhelme ab. Die Spannung stieg. Nasser drohte, die Seestraße von Tiran zu sperren, eine Meeresenge an der Südspitze des Sinai, die auch Öltanker und israelische Handelsschiffe passieren müssen. Er drohte, Ziel sei „die Vernichtung Israels. Das arabische Volk will kämpfen“.
Überraschung für Nasser
Unter den Israelis machte sich Panik breit. Es wurde gemunkelt, die Regierung treffe bereits logistische Maßnahmen, um in Parkhäusern massenweise Leichen aufbewahren zu können. „Wir waren nicht sicher, ob Israel überleben würde“, erinnert sich Ex-Verteidigungsminister Mosche Jaalon, damals 17 Jahre jung. Alle Reservisten waren mobilisiert. Die wenigsten konnten erahnen, was die israelischen Militärs vorhatten. Der linke Friedensvordenker Uri Avnery war seinerzeit Knesset-Abgeordneter. Veteranen hatten ihm gesteckt, die Befehlshaber der Streitkräfte hätten eine böse Überraschung für Nasser vorbereitet.
Und die gelingt. Im Morgengrauen des 5. Juni 1967 flog die israelische Luftwaffe unter dem feindlichen Radar zum Präventivangriff. Binnen Stunden zerstörte sie nahezu sämtliche ägyptische Flugstaffeln noch am Boden. Auch den israelischen Panzertruppen hatte die jordanische Armee im Westjordanland wenig entgegenzusetzen. Am dritten Kriegstag rollten sie in Ost-Jerusalem ein und eroberten die Altstadt samt Klagemauer. Das Bild dreier israelischer Fallschirmjäger, die tief ergriffen zu dem jüdischen Heiligtum aufblicken, ging um die Welt. Es wird zur Ikone des Sechstagekrieges.
Die Araber waren fassungslos. Sie hatten den Propagandalügen des ägyptischen Radios geglaubt. Der frühere PLO-Diplomat Nasser Kidwa, ein Neffe von Jassir Arafat, beschreibt das Wechselbad der Gefühle, das er als 14-Jähriger im libyschen Exil mitverfolgt hat, so: „Eben dachten wir noch, wie können die Israelis so verrückt sein, die großartige ägyptische Luftwaffe anzugreifen. Wir sahen uns schon in unsere Heimat zurückkehren. Am Tag darauf fühlten wir uns niedergeschmettert wie nach einem Absturz aus dem sechsten Stock.“
Der nächste palästinensische Schock folgt, als Israel das MugrabiViertel einriss, um vor der Klagemauer Platz zu schaffen. „Die Bewohner mussten sofort ihre Sachen zusammenraffen“, entsinnt sich Haifa Khalidi, 67, die als Mädchen im muslimischen Altstadtviertel zusah, wie Bulldozer alles plattmachten.
Derweil schlug die israelische Armee, die sich auf die Nordfront konzentrieren konnte, die Syrer zurück. In sechs Tagen eroberte Israel den Sinai, Gaza, die Westbank und den Golan und herrschte damit über ein Territorium, das dreimal so groß war wie sein anerkanntes Staatsgebiet. „Dieser unerwartet schnelle Sieg war wie ein Wunder“, meint Avi Primor, früher Botschafter in Deutschland. „Und die Welt hat uns zugejubelt, Amerikaner, Europäer, alle.“Die Israelis bewunderten ihre Helden, allen voran Verteidigungsminister Mosche Dajan und Generalstabschef Jitzhak Rabin. Dabei „wusste zunächst keiner, was man mit den eroberten Gebieten machen sollte“, sagt Primor. Der Gedanke, über sie zu verhandeln, um Frieden zu schließen, sei da gewesen, habe aber nicht lange angehalten. Aus dem Hochgefühl entwickelte sich ein „Riesenappetit, mehr zu schlucken als man kann“, so Primor.
Stunde der religiösen Zionisten
Es war die Stunde der religiösen Zionisten. Sie feierten den Sieg als „Erlösung des jüdischen Volkes“, weil es nach 2000 Jahren an die Schauplätze biblischer Geschichten, nach Judäa und Samaria zurückkehren konnte. „Dass Juden auf einmal die Klagemauer besuchen, ja sogar nach Hebron, in die Patriarchenstadt Abrahams, fahren konnten, verschaffte messianischen Gruppen wie Gusch Emunim eine Relevanz, die sie zuvor nie besaßen“, meint der Politologe Shlomo Avineri. Ihr Anführer Moshe Levinger quartierte sich mit seinen Anhängern am Passahfest 1968 im Park Hotel in Hebron ein. Sie verließen es erst, als die Armee ihnen ersatzweise Unterkunft in einem Militärlager anbot. Noch belächelte die säkulare Mehrheit in Israel den fanatischen Levinger. Aber die Siedlerbewegung hat ihren ersten Grundstein gelegt.
Erst zwei Jahrzehnte später, mit Ausbruch der ersten Intifada, des palästinensischen Aufstands der Steine, zerplatzte die israelische Illusion von einer „friedlichen Besatzung“. 50 Jahre nach dem Sechstagekrieg hält Israel weite Teile des Westjordanlandes mit einem rigiden Kontrollsystem noch immer besetzt. Dort und in Ost-Jerusalem leben heute eine halbe Million jüdischer Siedler. Zwei Generationen in Israel und Palästina sind in dieser Realität aufgewachsen. Für sie ist Frieden heute ein Fremdwort.