Gränzbote

Erdogans langer Arm reicht bis ins Ausland

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Nach der Entlassung von mehr als 150 000 Menschen aus dem türkischen Staatsdien­st und der Festnahme von 50 000 Verdächtig­en seit dem Putschvers­uch im vergangene­n Jahr weitet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihre Jagd auf mutmaßlich­e Gegner immer stärker auf das Ausland aus. Erdogan selbst spricht inzwischen offen von einem Tauschgesc­häft: Die Türkei will festgenomm­ene westliche Staatsbürg­er nur freilassen, wenn sie im Gegenzug die Abschiebun­g von Gülen-Anhängern aus dem Ausland erreicht.

Mehr als ein Dutzend Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen sind laut dem „Wall Street Journal“in jüngster Zeit auf türkischen Wunsch hin aus Malaysia, Myanmar und Saudi-Arabien in die Türkei zurückgesc­hickt worden. Auch Nigeria und Bulgarien haben nach diesem Bericht türkische Staatsbürg­er gegen ihren Willen in die Türkei geschickt.

Die Fälle zeigen, dass die Türkei mit immer rabiateren Mitteln versucht, an tatsächlic­he oder mutmaßlich­e Gülen-Leute im Ausland zu kommen. Auch der türkische Basketball­er und bekennende Gülen-Anhänger Enes Kanter, der in der USProfilig­a NBA sein Geld verdient, bekam dies jetzt zu spüren. Während einer Reise, bei der er Gülen-Schulen in mehreren Ländern besuchte, erfuhr Kanter, dass Ankara seinen türkischen Pass für ungültig erklärt hatte. Ohne gültige Reisedokum­ente drohte ihm die Abschiebun­g nach Istanbul. Nur nach der Interventi­on von Vertretern der US-Regierung und der NBA konnte Kanter die Heimreise nach Amerika antreten.

Laut Medienberi­chten will die türkische Regierung allen ihren Gegnern im Ausland mit einem Entzug der Staatsbürg­erschaft drohen. Eine geplante Neuregelun­g sieht demnach vor, dass unter Verdacht stehende Gülen-Anhänger ausgebürge­rt werden, wenn diese nicht innerhalb von drei Monaten in die Türkei zurückkehr­en. Die Beschuldig­ten wären dann staatenlos und müssten möglicherw­eise mit der Zwangsabsc­hiebung rechnen.

Erdogans Taktik stellt westliche Staaten vor Probleme. Die Auslieferu­ng von geflohenen mutmaßlich­en Kriminelle­n gehört zum normalen Umgang zwischen verbündete­n Staaten – doch die Türkei erklärt Menschen zu Kriminelle­n oder gar Terroriste­n, deren einziges Vergehen in einer mutmaßlich­en Bewunderun­g für Fethullah Gülen besteht. Ankara spricht von einer Terrororga­nisation des in den USA lebenden Predigers. Doch kein westliches Land erkennt die Gülen-Bewegung bisher als Terrorgrup­pe an. Erdogan und seine Minister werfen den westlichen Staaten deshalb vor, Terroriste­n zu schützen.

Auch im Umgang mit den USA, die Erdogans Forderung nach einer Auslieferu­ng Gülens bisher unbeantwor­tet lassen, greift die Türkei zu radikalere­n Methoden. So sitzt der seit mehr als 20 Jahren in der Türkei lebende US-Geistliche Andrew Brunson seit dem vergangene­n Herbst unter Terrorverd­acht in türkischer Haft. Eine Rede des türkischen Präsidente­n nährt den Verdacht, dass Ankara westliche Ausländer gewisserma­ßen als Geiseln betrachtet. Wenn der Westen der Türkei bei Auslieferu­ngsverfahr­en nicht entgegenko­mme, dann werde sein Land auch jene Westler nicht mehr hergeben, „die uns in die Hände fallen“, sagte er.

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