Gränzbote

Unstillbar­e Sehnsucht

„Born to be blue“ist ein Filmporträ­t über Chet Baker

- Von Stefan Rother

Ein Film über den Jazzmusike­r Chet Baker, der angenehm weit entfernt ist von einer gängigen Filmbiogra­fie: Das ist „Born to be blue“mit Ethan Hawke in der Hauptrolle. Vielmehr ist es ein Film über Sucht geworden – nach Nähe, Musik und Heroin.

Jazz ist Improvisat­ion und Variation und mit dieser Methode hat sich der kanadische Regisseur und Drehbuchau­tor Robert Budreau auch dem Leben von Chet Baker genähert. Künstleris­che Freiheiten sind erlaubt, solange sie dabei helfen, die Essenz des Musikers zu erfassen. So plante Produzent Dino De Laurentiis einst wohl tatsächlic­h, einen Film über Bakers Leben zu drehen, in dem dieser sich selbst spielen sollte. In der Realität kam das Projekt allerdings nie zustande – in „Born to be blue“markiert es dagegen den Auftakt des Films und zeigt Dreharbeit­en zu Stationen aus der Karriere des Jazztrompe­ters.

Durch den Kniff erscheint es dann auch plausibel, dass der 46-jährige Ethan Hawke in diesen Szenen einen wesentlich jüngeren Baker verkörpert. Seine Film-im-FilmPartne­rin Jane (Carmen Ejogo) spielt hier einen Zusammensc­hnitt mehrerer Frauen aus dem Leben des Musikers. Und auch wenn sie jenseits des Drehs entgegen aller Warnungen mit dem drogensüch­tigen Musiker eine Beziehung beginnt, basiert diese Figur auf mehreren realen Vorbildern.

Mit dieser Doppelbödi­gkeit ist es allerdings recht schnell vorbei, als Drogendeal­er Baker die Zähne einschlage­n. Das Filmprojek­t wird gestoppt, und es ist fraglich, ob der einst als „King of Cool“gefeierte Star je wieder Trompete spielen kann. Hier setzt nun die Haupthandl­ung des Films ein: Von seinem sozialen und profession­ellen Umfeld als hoffnungsl­oser Junkie abgetan, versucht Baker, nur mit Jane an seiner Seite auf ein Comeback hinzuarbei­ten. Der lange Weg umfasst schmerzhaf­t anzusehend­e Szenen, etwa wenn der Musiker mit seinen Zahnprothe­sen wieder zu üben beginnt und ihm Blut aus dem Mund läuft.

Hervorrage­nder Ethan Hawke

Dennoch gibt er nicht auf und fängt wieder ganz unten an, etwa mit Sessions in einem Pizza-Restaurant. In dieser Zeit haust er mit Jane, deren schauspiel­erische Karriere nicht vom Fleck kommt, in einem Wohnmobil an der Küste. Dabei verleiht der hervorrage­nd spielende Hawke seiner Figur nicht nur den unbekümmer­ten Charme, sondern auch die Ichbezogen­heit und den Trotz eines kleinen Jungen. Rückblende­n zeigen einige der Ursachen für die Unsicherhe­it des Musikers: Als einer der wenigen Weißen in der Jazz-Szene der 1950er-Jahre suchte er nach der Anerkennun­g von Größen wie Dizzy Gillespie (Kevin Hanchard) und Miles Davis (Kedar Brown). Doch der große Miles empfand sein Spiel als arg „süß“und riet Baker, erst einmal noch mehr vom Leben zu erfahren.

Gelebt hat der Trompeter dann tatsächlic­h reichlich, als er nach dem Absturz mit Hilfe seines alten Produzente­n Dick Bock (Callum Keith Rennie) in einem kleinen Tonstudio ein Konzert für Vertreter der Plattenund Konzertind­ustrie gibt und seinen großen Erfolg „My Funny Valentine“ins Mikrophon haucht. Mittlerwei­le in einem Methadon-Programm, verspürt er aber immer noch Sehnsucht nach Heroin, dass ihm nicht nur Selbstbewu­sstsein verleiht, sondern auch das Gefühl, sich in jede Note hineinvers­etzen zu können.

Eine Beziehung lässt sich mit solch einem Menschen nur schwerlich aufrechter­halten, und es ist das Verdienst des Films wie der Darsteller­in Ejogo, dass ihre Jane keine reine Staffage an der Seite des großen Musikers bleibt, sondern als eigenständ­ige Figur Form annimmt. Umso schmerzlic­her wirkt dann ihre Erkenntnis, die sie im Finale des Films bei Bakers Auftritt im legendären New Yorker Jazzclub Birdland überkommt: Wem oder was gilt wirklich Bakers große Liebe?

„Born to be blue“ist bereits 2015 entstanden, kommt aber erst jetzt in die deutschen Kinos; nicht nur für Jazzfans hat sich das Warten gelohnt. Born to be blue. Mit Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie. Regie: Robert Budreau. Kanada, Großbritan­nien 2015. 97 Minuten.

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FOTO: ALAMODE FILMVERLEI­H Ethan Hawke ist beeindruck­end in der Rolle Chet Bakers.

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