Unstillbare Sehnsucht
„Born to be blue“ist ein Filmporträt über Chet Baker
Ein Film über den Jazzmusiker Chet Baker, der angenehm weit entfernt ist von einer gängigen Filmbiografie: Das ist „Born to be blue“mit Ethan Hawke in der Hauptrolle. Vielmehr ist es ein Film über Sucht geworden – nach Nähe, Musik und Heroin.
Jazz ist Improvisation und Variation und mit dieser Methode hat sich der kanadische Regisseur und Drehbuchautor Robert Budreau auch dem Leben von Chet Baker genähert. Künstlerische Freiheiten sind erlaubt, solange sie dabei helfen, die Essenz des Musikers zu erfassen. So plante Produzent Dino De Laurentiis einst wohl tatsächlich, einen Film über Bakers Leben zu drehen, in dem dieser sich selbst spielen sollte. In der Realität kam das Projekt allerdings nie zustande – in „Born to be blue“markiert es dagegen den Auftakt des Films und zeigt Dreharbeiten zu Stationen aus der Karriere des Jazztrompeters.
Durch den Kniff erscheint es dann auch plausibel, dass der 46-jährige Ethan Hawke in diesen Szenen einen wesentlich jüngeren Baker verkörpert. Seine Film-im-FilmPartnerin Jane (Carmen Ejogo) spielt hier einen Zusammenschnitt mehrerer Frauen aus dem Leben des Musikers. Und auch wenn sie jenseits des Drehs entgegen aller Warnungen mit dem drogensüchtigen Musiker eine Beziehung beginnt, basiert diese Figur auf mehreren realen Vorbildern.
Mit dieser Doppelbödigkeit ist es allerdings recht schnell vorbei, als Drogendealer Baker die Zähne einschlagen. Das Filmprojekt wird gestoppt, und es ist fraglich, ob der einst als „King of Cool“gefeierte Star je wieder Trompete spielen kann. Hier setzt nun die Haupthandlung des Films ein: Von seinem sozialen und professionellen Umfeld als hoffnungsloser Junkie abgetan, versucht Baker, nur mit Jane an seiner Seite auf ein Comeback hinzuarbeiten. Der lange Weg umfasst schmerzhaft anzusehende Szenen, etwa wenn der Musiker mit seinen Zahnprothesen wieder zu üben beginnt und ihm Blut aus dem Mund läuft.
Hervorragender Ethan Hawke
Dennoch gibt er nicht auf und fängt wieder ganz unten an, etwa mit Sessions in einem Pizza-Restaurant. In dieser Zeit haust er mit Jane, deren schauspielerische Karriere nicht vom Fleck kommt, in einem Wohnmobil an der Küste. Dabei verleiht der hervorragend spielende Hawke seiner Figur nicht nur den unbekümmerten Charme, sondern auch die Ichbezogenheit und den Trotz eines kleinen Jungen. Rückblenden zeigen einige der Ursachen für die Unsicherheit des Musikers: Als einer der wenigen Weißen in der Jazz-Szene der 1950er-Jahre suchte er nach der Anerkennung von Größen wie Dizzy Gillespie (Kevin Hanchard) und Miles Davis (Kedar Brown). Doch der große Miles empfand sein Spiel als arg „süß“und riet Baker, erst einmal noch mehr vom Leben zu erfahren.
Gelebt hat der Trompeter dann tatsächlich reichlich, als er nach dem Absturz mit Hilfe seines alten Produzenten Dick Bock (Callum Keith Rennie) in einem kleinen Tonstudio ein Konzert für Vertreter der Plattenund Konzertindustrie gibt und seinen großen Erfolg „My Funny Valentine“ins Mikrophon haucht. Mittlerweile in einem Methadon-Programm, verspürt er aber immer noch Sehnsucht nach Heroin, dass ihm nicht nur Selbstbewusstsein verleiht, sondern auch das Gefühl, sich in jede Note hineinversetzen zu können.
Eine Beziehung lässt sich mit solch einem Menschen nur schwerlich aufrechterhalten, und es ist das Verdienst des Films wie der Darstellerin Ejogo, dass ihre Jane keine reine Staffage an der Seite des großen Musikers bleibt, sondern als eigenständige Figur Form annimmt. Umso schmerzlicher wirkt dann ihre Erkenntnis, die sie im Finale des Films bei Bakers Auftritt im legendären New Yorker Jazzclub Birdland überkommt: Wem oder was gilt wirklich Bakers große Liebe?
„Born to be blue“ist bereits 2015 entstanden, kommt aber erst jetzt in die deutschen Kinos; nicht nur für Jazzfans hat sich das Warten gelohnt. Born to be blue. Mit Ethan Hawke, Carmen Ejogo, Callum Keith Rennie. Regie: Robert Budreau. Kanada, Großbritannien 2015. 97 Minuten.