Eine Leiche auf dem Thron
Hubert Wolf befasst sich mit der Papstwahl von den Anfängen bis heute
Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat ein neues Buch geschrieben: „Konklave – Die Geheimnisse der Papstwahl“. Und wie üblich setzt sich Wolf wieder einmal kritisch mit der Geschichte, den Gesetzen und Riten der katholischen Kirche auseinander.
Wie der Titel schon sagt, will das Buch die Regeln des für den Laien undurchsichtigen Konklaves, der Papstwahl, und der Position des Papstes erklären. Dass diese sich im Laufe der Jahrhunderte in vielen Belangen deutlich verändert und sich den zeitlichen Gegebenheiten angepasst haben, versteht sich von selbst. Und doch zeigt Wolf immer wieder Strukturen auf, in denen sich die Kirche stillschweigend über eigene Gesetze oder ehrwürdige Traditionen hinwegsetzt.
Geradezu subversiv wirkt die Behauptung, dass fast alle Päpste seit dem Hochmittelalter nicht regulär gewählt worden seien. Denn auf dem Konzil von Nicäa (325) wurde festgelegt, dass ein Bischof seine Diözese nie mehr aufgeben dürfe, analog zum Sakrament der Ehe. Da der Papst zugleich Bischof von Rom ist, hätte also niemand, der nicht römischer Bischof ist, zum Papst gewählt werden dürfen. Denn die Beschlüsse des Konzils von Nicäa wurden nie aufgehoben.
Diesen Regelverstoß illustriert Wolf durch die irrwitzige „Leichensynode von Rom“. Papst Stephan VI. ließ die Leiche seines Vorgängers Formosus exhumieren und den Leichnam auf den päpstlichen Thron setzen. Dort wird er angeklagt wegen Meineids, Unsittlichkeit und vor allem der Ungültigkeit seiner Wahl zum Papst, eben weil er vorher Bischof von Porto, nicht von Rom gewesen war. Ausgerechnet Formosus hatte Stephan zum Bischof von Rom ernannt, der nun feststellen ließ, dass allein er nach einem Umsturz der legitime Papst sei.
Wer nun aber ein Kaleidoskop kirchlicher Verfehlungen gegen eigene Gesetze erwartet, liegt falsch. Das Buch erklärt auch durchaus wertfrei die Vorgänge bei einer Papstwahl, die nicht immer in der Sixtinischen Kapelle stattfand und nach der dann weißer Rauch aufstieg.
Amtierende Päpste, zuletzt Johannes Paul II., haben immer wieder die Formalien und Wertungen geändert, auch die Zahl und Stellung der Wähler und damit die Mehrheitsverhältnisse wurden verändert. Das geschah auch, um ein dauerhaftes Patt unter den Wählerstimmen zu verhindern und damit die Gefahr der Ausrufung von Gegenpäpsten zu bannen. Beim Konzil von Konstanz mussten sich die Geistlichen unter drei Päpsten entscheiden, bis durch Kaiser Sigismunds Vermittlung ein neuer Papst gewählt wurde und das Große Abendländische Schisma beendet war.
Der Verlust der weltlichen Macht der Päpste und seit der Einigung des italienischen Staates (1871) auch der Territorien des Kirchenstaats haben die Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil endgültig auf eine rein kirchliche Rolle beschränkt. Die „imitatio imperii“als Nachfolge der Kaiserreiche Konstantins und Karls des Großen wurde aufgegeben. Als sichtbares Zeichen verzichtete Papst Paul VI. auf die Tiara mit ihren drei Kronen. Hubert Wolf: Konklave – Die Geheimnisse der Papstwahl. C.H. Beck-Verlag 2017, 224 Seiten mit 47 Abb., 19.95 Euro.