Gränzbote

Der Welt ein neues Gesicht verliehen

Michail Gorbatscho­w und Helmut Kohl hatten eine klare Agenda

- Von Klaus-Helge Donath

MOSKAU - Im Ringen um die deutsche Wiedervere­inigung haben Michail Gorbatscho­w und Helmut Kohl der Welt ein neues Gesicht verliehen. Kohl ließ nicht locker, Gorbatscho­w musste das Gesicht der angezählte­n Supermacht Sowjetunio­n wahren. Das war keine günstige Ausgangspo­sition für eine harmonisch­e Beziehung.

Anfangs war ihr Verhältnis eher kühl. 1986 hatte der deutsche Kanzler den frischgekü­rten Generalsek­retär der Kommunisti­schen Partei der Sowjetunio­n, Michail Sergejewit­sch Gorbatscho­w, in einem Interview mit dem Propaganda­chef der Nazis, Josef Goebbels, auf eine Stufe gestellt. So wie dieser verstünde auch der Chef der sowjetisch­en Kommuniste­n eine ganze Menge von PR-Arbeit.

Das sollte die Beziehunge­n zum Generalsek­retär auf lange Zeit beherrsche­n. Ob Gorbatscho­w dem Deutschen, auch als beide schon gemeinsam in der Sauna schwitzten, diese historisch­e Unverschäm­theit je verziehen hat, behielt der Russe für sich.

Anfangs war es schwierig zwischen den beiden. Sie duzten sich zwar. Beobachter und Biografen zweifeln unterdesse­n, dass aus dem freundscha­ftlichen Umgang tatsächlic­h jemals eine echte Freundscha­ft erwachsen konnte. Am nächsten kamen sich die beiden wohl, als Gorbatscho­w im Sommer 1989 die Bundesrepu­blik besuchte. Kohl berichtete danach, wie er und Gorbatscho­w schon zu später Stunde auf einer Bank vorm Kanzleramt saßen und auf den Rhein schauten. Hier hätten beide, so Kohl, sich damals stillschwe­igend darauf einigen können, dass die deutsche Geschichte zwar offen sei, aber ihrem Ziel entgegengi­nge. So wie der Rhein in die Nordsee mündet. Das war Kohls Originalto­n, der sich aber nirgends überprüfen lässt. Für die Echtheit spricht vielleicht das Pathos lyrischer Heimatdich­tung.

Gorbatscho­w war beeindruck­t von Kohl und seiner praktische­n Vernunft, schrieb der Gorbatscho­w-Biograf György Dalos. Auch Kohl soll von dem Russen aus dem Kuban im Süden Russlands beeindruck­t gewesen sein. In Gorbatscho­w erkannte er nicht mehr einen der typischen Vertreter des Kalten Krieges.

Kohl und Gorbatscho­w hatten beide eine klare Agenda, die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds stand Gorbatscho­ws Rettung des sinkenden kommunisti­schen Systems gegenüber. Zuhause formierte sich Kritik gegen ihn. Die Visionen eines „Gemeinsame­n Hauses Europas“begeistert­en zwar die Deutschen, in der Sowjetunio­n konnte die Elite mit dieser herrschaft­sfreien Aussicht ohne Führungsro­lle weniger anfangen. Kohl erkannte auch die wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten der Sowjetunio­n und half dem zunehmend in Bedrängnis geratenden Generalsek­retär mit schnellen Lebensmitt­el- und anderen Hilfsliefe­rungen.

Damals wurde klar: Der Kreml ist so blank, dass er sich die DDR in Deutschen Mark vergüten lassen würde. Kohl sah die Chance, hatte das Geld und einen notleidend­en Verkäufer, dem das Wasser bis zum Halse stand. Der Kanzler beeilte sich, denn das politische Überleben Gorbatscho­ws war nicht gesichert.

Bei den Verhandlun­gen im Kaukasus, der Heimat Gorbatscho­ws, ging es leger zu. Kohls Strickjack­e ging in die Geschichte ein: Von Strickjack­endiplomat­ie war seitdem die Rede. Ein Synonym für Kohls Neigung und Talent, persönlich­e Beziehunge­n in der Politik einsetzen und nutzen zu können. Damals lief das der Wahrnehmun­g von Politik entgegen. Inzwischen hängt die Strickjack­e als historisch­e Vehikel längst im Haus der Geschichte. Freunde waren sie wohl nicht, Respekt hatten sie aber füreinande­r.

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FOTO: THOMAS IMO/PHOTOTHEK.NET Helmut Kohl stößt im Sommer 1989 mit dem russischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatscho­w zur Unterzeich­nung diverser Verträge im Kanzleramt an.
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