„Er war ein europäischer Visionär“
BERLIN - Theo Waigel (Foto: dpa), früherer CSU-Chef und Bundesfinanzminister, war ein langjähriger Wegbegleiter von Helmut Kohl. Andreas Herholz sprach mit Theo Waigel über Kohl.
Was bleibt vom politischen Vermächtnis Kohls für die Zukunft?
Er ist sicher der größte und erfolgreichste Politiker Deutschlands in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Wie er das schmale Zeitfenster genutzt hat, um die deutsche Einheit herbeizuführen, und wie es ihm damals gelungen ist, das Vertrauen von so wichtigen Staatsmännern wie dem amerikanischen Präsidenten George Bush und dem russischen Präsidenten Michail Gorbatschow zu gewinnen, und dies gegen den Widerstand unserer europäischen Freunde, das war eine einmalige historische Leistung. Das bleibt.
Europa und die europäische Integration standen stets im Mittelpunkt seiner Politik. Welchen Anteil hat er am Bau des Europäischen Hauses?
Er war ein europäischer Visionär. Helmut Kohl hat erfolgreich vollendet, was Konrad Adenauer begonnen hat. Das war eine gewaltige Leistung. Als er später die deutsche Einheit vorangebracht hat, hat er dennoch den Prozess der europäischen Einigung nicht gestoppt. Was für eine immense Herausforderung! Indem er die europäische Einigung vorangetrieben hat, wurde unseren europäischen Partnern das große Misstrauen genommen, das es gegen ein geeintes Deutschland gab. Dieser historische Prozess von 1990 bis 1998, das war eine historische Leistung.
Viele haben in ihm vor allem einen Machtmenschen gesehen, sich an ihm gerieben. Warum war Kohl auch so eine Reizfigur?
Jeder erfolgreiche Politiker ist ein Machtpolitiker. Viele, die sich für klüger gehalten haben, haben sich in ihm gewaltig getäuscht. Ob Helmut Schmidt, Franz Josef Strauß oder Richard von Weizsäcker – sie fühlten sich überlegen, dachten, sie wären klüger. Kohl hat mit seinem untrüglichen Gespür, mit seiner Verve und dann mit seinem unbeugsamen Willen mehr erreicht als alle anderen zusammen. Es hat ihn nicht immer gefreut, dass er unterschätzt wurde, wie die anderen mit ihm umgegangen sind. Zu Beginn der Karriere dachten noch viele, ihn nicht ernstnehmen zu müssen. Das hat ihn geärgert. Vielleicht waren andere die größeren Redner. Manche haben sich auch intellektuell ihm gegenüber als überlegen gesehen. Aber Kohls Mischung aus Machtgespür, politischem Instinkt und der Fähigkeit, notwendiges Vertrauen und Freundschaft aufzubauen, war etwas, was keiner so beherrschte wie er.
Wie haben Sie Helmut Kohl als Mensch und Freund erlebt?
Er war absolut zuverlässig und treu. Er hatte einen köstlichen Humor. Natürlich musste man mit manchen seiner Späße umgehen können. Auch in schwierigen Stunden stand er einem hundertprozentig bei.