Grün welkt
Wie die Grünen wieder aufblühen wollen – Parteitag in Berlin
BERLIN - Es grünt nicht so richtig bei den Grünen. Sie sind einfach nicht im Gespräch. Seit Wochen und Monaten welken sie in den Umfragen dahin, im Saarland sind sie aus dem Landtag geflogen, in NordrheinWestfalen aus der Regierung. Dass sie in Kiel jetzt statt Rot-Grün in einem Jamaika-Bündnis weiterregieren können, ist eine Art Trostpreis. Und wenn Parteichef Cem Özdemir jetzt twittert, dass er mit einem Jamaika-Duschgel geduscht hat, weil nichts anderes da war, dann finden das durchaus nicht alle Parteifreunde lustig.
Schon seit Längerem gibt es bei den Grünen nur wenig überraschende Ansätze, keine bundesweiten Schlagzeilen. Dafür aber erste Kritik am Spitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt. Sie stehen für viele für Schwarz-Grün und gelten als zu glatt. „Lebendig und kräftig und schärfer“wolle man werden, hat Katrin Göring-Eckardt nach der verlorenen NRW-Wahl versprochen.
Schärfer? Der Kurs der Grünen ist eher unscharf. Wenn die schleswigholsteinischen Grünen die Abschiebung nach Afghanistan verhindern, sieht Winfried Kretschmann darin ein Verliererthema.
Wollen die Grünen ihr Umweltprofil wieder auf Hochglanz polieren, dann verhindert der einzige grüne Ministerpräsident im Autoland Baden-Württemberg, dass im ZehnPunkte-Plan der Ausstieg aus Verbrennungsmotoren konkret auf das Jahr 2030 festgelegt wird. Im ZehnPunkte-Plan der beiden Spitzenkandidaten heißt es bislang nur: „Wir beenden die Ära des fossilen Verbrennungsmotors mit klaren ökologischen Leitplanken.“Aber wann, das steht nicht in den Zielen. Die linken Grünen wollen auf dem Parteitag in Berlin darauf drängen, dass es wenigstens einen Beschluss zum Ausstieg aus Verbrennungsmotoren bis 2030 gibt. Dass Gigaliner versuchsweise durchs grün regierte BadenWürttemberg rollen, ist erklärungsbedürftig nicht nur für grüne Fundis. Aber für sie besonders.
Dabei ist Umweltschutz mittlerweile das einzige Thema, das die Wähler überhaupt noch bei den Grünen ansiedeln. 81 Prozent der Wähler in Nordrhein-Westfalen gaben an, sie wüssten nicht, wofür die Grünen eigentlich stünden – außer für Umweltschutz.
Zu den inhaltlichen Fehlstellen kommt die strategische Zwickmühle. Die Aussicht auf Rot-Rot-Grün verflüchtigt sich zunehmend, der Schulz-Hype der SPD ist verflogen, die Linken schrecken Sozialdemokraten und Grüne gleichermaßen ab.
Opposition betreiben die Grünen im Bund jetzt seit 2005, doch wenn sie wieder regieren wollen, bleiben ihnen nur Bündnisse wie SchwarzGrün in Hessen oder Baden-Württemberg, die Ampel (Rot-GelbGrün), die in Rheinland-Pfalz praktiziert wird, oder das neueste Modell: Jamaika. Ein solches Bündnis wurde gerade in Kiel geschmiedet. Der Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan Korte, streut kräftig Salz in die Wunden der Nord-Grünen. „Gestern mit SPD und SSW die Wahl verloren, heute mit CDU und FDP in der Landesregierung von Schleswig-Holstein: Wer so glatt ins andere Lager wechselt wie die Grünen, hat eine sehr beliebige politische Agenda. Angela Merkel und Horst Seehofer können sich schon heute auf zuverlässige Juniorpartner nach der Bundestagswahl freuen.“Auch in Berlin schaut man eher verlegen nach Schleswig-Holstein, Jamaika wird nicht groß thematisiert, und Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner stellt klar: „Für den Bundestagswahlkampf verändert sich nichts.“
2200 Anträge
In dieser Situation besinnen sich die Grünen auf ihre Stärke: das Ringen um Inhalte. 2200 Anträge auf dem Parteitag, der am Freitagnachmittag begonnen hat, zeugen davon, dass viel Diskussionsbedarf besteht.
Die 850 Delegierten wollen sich gegen Umweltzerstörung und für eine ökologische Modernisierung der Marktwirtschaft einsetzen. Strittige Themen wie die Vermögensteuer wurden bereits beim letzten Parteitag in Münster abgeräumt, indem man sie hinreichend unklar ließ („nur für Superreiche“).
„Soziale Gerechtigkeit ist die DNA unserer grünen Politik“, sagte damals die linke Parteichefin Simone Peter. Winfried Kretschmann erinnerte daran, dass der Mittelstand das Rückgrat der Wirtschaft ist.
Dieses Mal sprach Kretschmann gleich zu Beginn des Parteitags. Der baden-württembergische Ministerpräsident machte den Grünen Mut. „Wir Grüne werden mehr gebraucht als je zuvor“war der Titel seiner Rede. Die Grünen wollen erklärtermaßen um den dritten Platz bei der Bundestagswahl kämpfen. Frei nach einem alten Nena-Song heißt das Motto des Grünen-Parteitags denn auch: „Zukunft wird aus Mut gemacht.“