Gränzbote

Tinder und Feminismus

Mutige Frauen in Afghanista­n bringen das erste Frauenmaga­zin in ihrem Land heraus

- Von Christine-Felice Röhrs

KABUL (dpa) - Drei Freundinne­n, die zu Feministin­nen wurden, machen Afghanista­ns erstes Hochglanzm­agazin für Frauen. Dass viele ihrer Themen ihnen und den Lesern gefährlich werden können im muslimisch-konservati­ven Land, das kümmert sie nicht sehr.

Es ist sogar ein ganz klein wenig nackte Haut zu sehen. Eine Hand drückt eine Brust. Es ist ein Artikel über Brustkrebs. Die neue Zeitschrif­t möchte ihren Leserinnne­n erklären, wie man Brustkrebs­vorsorge betreibt und dass man sich anfassen dürfe, ohne ein loses Mädchen zu sein.

„Gellarah“, was „sehr schöne Frau“bedeutet, soll „das Image der afghanisch­en Frau, aber auch im Ausland von schwarz-weiß zu bunt ändern“, sagt Fatana Hassansada (23), die Chefredakt­eurin. Sie macht das Magazin zusammen mit ihren zwei besten Freundinne­n und einer Riege von Helferinne­n in Kabul.

„Was wir in den letzten 15 Jahren über afghanisch­e Frauen gelesen haben“, sagt Hassansada, „das waren Geschichte­n über Mädchen, die das Haus nicht verlassen dürfen, die zu jung verheirate­t werden oder die das Opfer von bad dadan wurden.“„Bad dadan“heißt „fürs Schlechte geben“. Nach dieser Praxis dürfen Familien, die ein Kind wegen einer anderen Familie verlieren, ersatzweis­e ein Kind aus der „Täter“-Familie einfordern.

„Gellarah“hingegen bietet jetzt Artikel an über eine erfolgreic­he Yoga-Lehrerin in Kabul, afghanisch­e Mode, die Pille und Kosmetik.

In Deutschlan­d würde jeder sagen, das Übliche eben. In Afghanista­n ist vieles davon unüblich. Zum Beispiel, dass die Frau auf dem Titel kein Kopftuch trägt. Dass afghanisch­e Frauen darauf verzichten können sollen, das ist eine Lieblingst­irade von Hassansada, die selber keins trägt.

„Wir wollen eben auch Tabuthemen anfassen“, sagt Hassansada beim Gespräch in ihrem Mini-Büro mit ein paar Schreibnis­chen aus orangefarb­enem Plastik. Geplant sind zum Beispiel Artikel zu Abtreibung­en – heikel im muslimisch-konservati­ven Land.

Auf Seite 2 sticht das Logo von „Tinder“heraus, die Dating-App, die Leute für unverbindl­ichen Sex zusammenbr­ingt. Die Autorin beschreibt die App als Mittel, um Freunde zu finden und das Selbstvert­rauen zu fördern, hält aber mit dem ursprüngli­chen Zweck nicht hinterm Berg. Es gibt auch in Kabul Väter, die ihre Töchter töten würden, sollten sie mit solchen Gedanken erwischt werden. Fatana Hassansada zuckt mit den Schultern. Wenn sie spricht, glaubt man etwas von ihren Heldinnen herauszuhö­ren. Denn das Magazin ist aus einem Lesezirkel entstanden, den Hassansada und ihre Freundinne­n gegründet hatten. Sie haben Simone de Beauvoir gelesen, Virginia Woolf oder Oriana Fallaci. Die Lektüre hat aus einer Gruppe von ehrgeizige­n jungen Afghaninne­n Feministin­nen gemacht.

In gewisser Weise sind Hassansada und ihre Freundinne­n das Resultat von 15 Jahren internatio­naler Frauenförd­erung in Afghanista­n. Vieles ist schiefgela­ufen, anderes ist Fassade geblieben, und Resultate haben sich vor allem auf dem Land oft wieder zersetzt. Dort, wo der neue Krieg mit den radikalisl­amischen Taliban tobt, geben weibliche Journalist­en ihre Jobs auf, machen Frauenmärk­te dicht, gibt es wieder mehr Berichte über Steinigung­en von Mädchen für „unmoralisc­hes Benehmen“.

Ungewisse Zukunft

Aber in den urbanen Zentren durften Zehntausen­de von Mädchen zur Schule, sogar zur Universitä­t gehen, haben Welten jenseits des Heims kennengele­rnt. Das scheint in Nischen zu münden, in denen Frauen wie Hassansada sich trauen, etwas Unkonventi­onelles auszuprobi­eren.

Es ist nicht sicher, wie lange das gut gehen wird. Verdient ist damit noch längst nichts. Ein Magazin kostet etwa 1,30 Euro. 500 Exemplare haben die Macherinne­n verkauft. Es habe auch schon Drohungen gegeben, sagt Hassansada. Noch wirken sie gelassen. Sie gehen selber herum und verkaufen das Magazin, klopfen an Türen und suchen das Gespräch mit den Frauen. Sie wollen vor allem an die heran, denen der Zugang zur Außenwelt verwehrt ist. Ihnen soll „Gellarah“zeigen, wie groß die Welt für Frauen sein kann.

 ?? FOTO: MOHAMMAD JAWAD ?? Sie machen „Gellarah“, die erste Frauenzeit­schrift in Afghanista­n: Chefredakt­eurin Fatana Hassansada (links) und ihr Team.
FOTO: MOHAMMAD JAWAD Sie machen „Gellarah“, die erste Frauenzeit­schrift in Afghanista­n: Chefredakt­eurin Fatana Hassansada (links) und ihr Team.
 ?? FOTO: MOHAMMAD JAWAD ?? Ein Blick in die erste Ausgabe von „Gellarah“mit Artikeln über eine afghanisch-kanadische Sängerin (Mitte, oben), Brustkrebs (Mitte, unten), Geburtenko­ntrolle oder die Dating-App Tinder.
FOTO: MOHAMMAD JAWAD Ein Blick in die erste Ausgabe von „Gellarah“mit Artikeln über eine afghanisch-kanadische Sängerin (Mitte, oben), Brustkrebs (Mitte, unten), Geburtenko­ntrolle oder die Dating-App Tinder.

Newspapers in German

Newspapers from Germany