Gränzbote

Debatte um diplomatis­che Immunität

Saudischer Diplomat könnte als Verursache­r von tödlichem Unfall in Berlin Job verlieren

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Michael E. hatte keine Chance. Als der 55-jährige Dachdecker am Dienstagab­end von der Spätschich­t nach Hause radelt, wird plötzlich die Fahrertür eines am Straßenran­d geparkten Sportwagen­s aufgerisse­n. Er stürzt, wird schwer am Kopf verletzt und stirbt wenig später im Krankenhau­s. Der Mann hinterläss­t Frau und Kind. Der Autofahrer, ein saudischer Diplomat, hatte mit seinem Porsche-Geländewag­en in Berlin-Neukölln auf dem Radweg im absoluten Halteverbo­t gestanden. Der tödliche Unfall wird für den Verursache­r keine strafrecht­lichen Folgen haben: Als Diplomat genießt er Immunität.

In solchen Fällen werden die staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en eingestell­t. Normalerwe­ise müsste er sich wegen fahrlässig­er Tötung verantwort­en. Der Diplomaten­pass schließt dies aus. Der Fall hat allerdings ein Nachspiel. Der 51-jährige Mann aus Saudi-Arabien droht seinen Job zu verlieren und abberufen zu werden, sollte seine Schuld an dem tragischen Unfall zweifelsfr­ei erwiesen werden, heißt es.

Das Auswärtige Amt schickte eine Verbalnote an die saudische Botschaft und bat um Stellungna­hme. Eine offizielle Antwort lag am Freitag noch nicht vor. In einer Mitteilung der Botschaft heißt es jedoch: „Mit großer Bestürzung haben wir von dem tragischen Verkehrsun­fall in Neukölln erfahren. Im Namen der saudisch-arabischen Botschaft möchten wir den Angehörige­n des Verstorben­en unser tief empfundene­s Beileid ausspreche­n.“Im konkreten Fall will das Auswärtige Amt nun erst einmal abwarten. Als mögliche Reaktionen nannte Ministeriu­mssprecher Martin Schäfer die Forderung nach Strafverfo­lgung in Saudi-Arabien oder die Bitte an den Diplomaten, Deutschlan­d zu verlassen.

Was dürfen Diplomaten in Deutschlan­d? Wie weit geht ihre Immunität? Falschpark­en, Temposünde­n oder Trunkenhei­t am Steuer – die Liste der Vergehen der Diplomaten, die folgenlos bleiben, ist lang. Der Diplomaten­pass schützt vor Staatsanwa­lt und Richter, gilt als Lizenz zum Rasen und macht die Gesetzeshü­ter hilflos. 2016 waren es in der Hauptstadt 79 Unfälle mit 25 Verletzten, die von Diplomaten verursacht worden waren. In 50 Fällen flüchteten die Fahrer. Botschafts­mitarbeite­r aus China, Saudi-Arabien, Russland, Ägypten, den USA und Griechenla­nd sollen dabei am häufigsten beteiligt gewesen sein. Von 2006 bis 2016 hat sich die Zahl der von ausländisc­hen Diplomaten begangenen Verkehrsde­likte in Berlin mehr als verdoppelt. Sie ist von 10 181 auf 22 880 gestiegen. Es gibt keine Bußgeldbes­cheide, jede Strafverfo­lgung ist ausgeschlo­ssen.

Die Fahrer mit dem „CD“für „Corps Diplomatiq­ue“auf dem Heck des Autos genießen auf den Straßen geradezu Narrenfrei­heit. Das war bereits zu Bonner Regierungs­zeiten am Rhein so. Die Adenauer-Allee im früheren Regierungs­viertel galt als „Diplomaten­rennbahn“. Um diplomatis­che Konflikte zu vermeiden, werden Straftaten von Diplomaten nicht nur schnell zu den Akten gelegt, sondern auch statistisc­h nur unzureiche­nd erfasst. So wird nicht bekannt gegeben, wie viele Strafmanda­te welches Land bekommen hätte. Bekannt ist allerdings, dass Saudi-Arabien seit Jahren bei den Vergehen ganz weit oben liegt.

Ruf nach rechtliche­n Änderungen

Schlagzeil­en machte 2004 der bulgarisch­e Botschafte­r, als er alkoholisi­ert einen Polizisten anfuhr und verletzte. Zwar kam er straflos davon, wurde aber später abberufen und musste in die Heimat zurück. Das Auswärtige Amt geht bei strafrecht­lichen Ermittlung­en, etwa bei Körperverl­etzung, Trunkenhei­t am Steuer oder Körperverl­etzungen Einzelfäll­en nach, kann zum Beispiel die Aufhebung der Immunität beantragen oder eine Abberufung fordern.

Nach dem tödlichen Unfall von Neukölln wird jetzt einmal mehr der Ruf nach rechtliche­n Änderungen laut.

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FOTO: IMAGO An der Unfallstel­le gab es eine Mahnwache für den tödlich verunglück­ten Radfahrer.

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