Debatte um diplomatische Immunität
Saudischer Diplomat könnte als Verursacher von tödlichem Unfall in Berlin Job verlieren
BERLIN - Michael E. hatte keine Chance. Als der 55-jährige Dachdecker am Dienstagabend von der Spätschicht nach Hause radelt, wird plötzlich die Fahrertür eines am Straßenrand geparkten Sportwagens aufgerissen. Er stürzt, wird schwer am Kopf verletzt und stirbt wenig später im Krankenhaus. Der Mann hinterlässt Frau und Kind. Der Autofahrer, ein saudischer Diplomat, hatte mit seinem Porsche-Geländewagen in Berlin-Neukölln auf dem Radweg im absoluten Halteverbot gestanden. Der tödliche Unfall wird für den Verursacher keine strafrechtlichen Folgen haben: Als Diplomat genießt er Immunität.
In solchen Fällen werden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen eingestellt. Normalerweise müsste er sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der Diplomatenpass schließt dies aus. Der Fall hat allerdings ein Nachspiel. Der 51-jährige Mann aus Saudi-Arabien droht seinen Job zu verlieren und abberufen zu werden, sollte seine Schuld an dem tragischen Unfall zweifelsfrei erwiesen werden, heißt es.
Das Auswärtige Amt schickte eine Verbalnote an die saudische Botschaft und bat um Stellungnahme. Eine offizielle Antwort lag am Freitag noch nicht vor. In einer Mitteilung der Botschaft heißt es jedoch: „Mit großer Bestürzung haben wir von dem tragischen Verkehrsunfall in Neukölln erfahren. Im Namen der saudisch-arabischen Botschaft möchten wir den Angehörigen des Verstorbenen unser tief empfundenes Beileid aussprechen.“Im konkreten Fall will das Auswärtige Amt nun erst einmal abwarten. Als mögliche Reaktionen nannte Ministeriumssprecher Martin Schäfer die Forderung nach Strafverfolgung in Saudi-Arabien oder die Bitte an den Diplomaten, Deutschland zu verlassen.
Was dürfen Diplomaten in Deutschland? Wie weit geht ihre Immunität? Falschparken, Temposünden oder Trunkenheit am Steuer – die Liste der Vergehen der Diplomaten, die folgenlos bleiben, ist lang. Der Diplomatenpass schützt vor Staatsanwalt und Richter, gilt als Lizenz zum Rasen und macht die Gesetzeshüter hilflos. 2016 waren es in der Hauptstadt 79 Unfälle mit 25 Verletzten, die von Diplomaten verursacht worden waren. In 50 Fällen flüchteten die Fahrer. Botschaftsmitarbeiter aus China, Saudi-Arabien, Russland, Ägypten, den USA und Griechenland sollen dabei am häufigsten beteiligt gewesen sein. Von 2006 bis 2016 hat sich die Zahl der von ausländischen Diplomaten begangenen Verkehrsdelikte in Berlin mehr als verdoppelt. Sie ist von 10 181 auf 22 880 gestiegen. Es gibt keine Bußgeldbescheide, jede Strafverfolgung ist ausgeschlossen.
Die Fahrer mit dem „CD“für „Corps Diplomatique“auf dem Heck des Autos genießen auf den Straßen geradezu Narrenfreiheit. Das war bereits zu Bonner Regierungszeiten am Rhein so. Die Adenauer-Allee im früheren Regierungsviertel galt als „Diplomatenrennbahn“. Um diplomatische Konflikte zu vermeiden, werden Straftaten von Diplomaten nicht nur schnell zu den Akten gelegt, sondern auch statistisch nur unzureichend erfasst. So wird nicht bekannt gegeben, wie viele Strafmandate welches Land bekommen hätte. Bekannt ist allerdings, dass Saudi-Arabien seit Jahren bei den Vergehen ganz weit oben liegt.
Ruf nach rechtlichen Änderungen
Schlagzeilen machte 2004 der bulgarische Botschafter, als er alkoholisiert einen Polizisten anfuhr und verletzte. Zwar kam er straflos davon, wurde aber später abberufen und musste in die Heimat zurück. Das Auswärtige Amt geht bei strafrechtlichen Ermittlungen, etwa bei Körperverletzung, Trunkenheit am Steuer oder Körperverletzungen Einzelfällen nach, kann zum Beispiel die Aufhebung der Immunität beantragen oder eine Abberufung fordern.
Nach dem tödlichen Unfall von Neukölln wird jetzt einmal mehr der Ruf nach rechtlichen Änderungen laut.