Fabelzeit für den Skeptiker
Philip Heintz sorgt mit seinem Rekord über 200 Meter Lagen für einen Paukenschlag
BERLIN (SID/sz) - Als er nach seinem sensationellen Doppelrekord aus dem Berliner Becken stieg, wollte Philip Heintz im Scherz seine Schwimmhose an den Nagel hängen. „Eigentlich müsste ich jetzt meine Karriere beenden. Ich habe immer gesagt, wenn ich mal eine 1:55 schwimme, dann hör' ich auf“, sagte der Heidelberger nach seinem grandiosen 200-Meter-Lagenrennen bei der deutschen SchwimmMeisterschaft.
Nur sieben Stunden nach seinem deutschen Rekord im Vorlauf setzte Heintz noch einen drauf und war bei seinem überragenden Finalsieg in Weltjahresbestzeit von 1:55,76 Minuten noch mal um acht Zehntel schneller. „Das war einer der seltenen Tage, an denen einfach alles klappt. Ich bin am Ende einfach nicht gestorben“, sagte der Kurzbahn-Vizeweltmeister, der fünf Sekunden vor Jacob Heidtmann aus Elmshorn lag. Seine alte Marke lag bei 1:57,48 Minuten, der Weltrekord von Ryan Lochte seit 2011 bei 1:54,00 Minuten.
Wäre Heintz auch bei Olympia so schnell unterwegs gewesen, hätte er in Rio klar Silber gewonnen. Nur US-Superstar Michael Phelps war damals schneller. „Das wird ihn irgendwann motivieren, aber im Moment findet er das sicher tierisch ärgerlich“, sagte Bundestrainer Henning Lambertz, der von seinem zweiten Vorschwimmer neben Weltmeister Marco Koch schwärmte: „Chapeau, das war ganz großer Sport! Die Zeit ist natürlich 'ne Bombe. Damit kann er bei der WM um die Medaillen mitkämpfen.“
Heintz hatte sich das eigentlich gar nicht zugetraut. „Ich habe mir ehrlich gesagt Sorgen gemacht, dass ich die Vorlaufnorm für die WM nicht schaffe, weil ich mich so schlecht gefühlt habe“, sagte der 26-Jährige. Sein fast traditionell schlechtes Gefühl täuschte den Kurzbahn-Vizeweltmeister auch diesmal. Jetzt will Heintz mehr, nämlich bei Olympia 2020 aufs Treppchen. Vor allem auf der Rückenstrecke hat er sich verbessert.
Kritik am Fördersystem
Lange hatte Heintz überlegt, ob er überhaupt weitermachen soll. Nachdem der BWL-Fernstudent aber einen Arbeitgeber im Finanzwesen fand, der ihm alle Freiheiten für das intensive Training lässt und nach der Karriere übernehmen will, war der Weg für Tokio 2020 frei. Auch die höchst erfolgreiche Kurzbahn-Saison im Winter überzeugte ihn. Dort war Heintz konstant Weltklasse, obwohl er sich „dauerhaft schlecht gefühlt“habe.
In Berlin schwamm Heintz auch aus dem Schatten von Brust-Weltmeister Marco Koch, der aufgrund einer Trainingsumstellung zurzeit etwas schwächelt. Einen zweiten Vorschwimmer kann das deutsche Team nach dem Rücktritt von Weltrekordler Paul Biedermann und der Biberacher Deibler-Brüder gut gebrauchen.
Auch abseits des Beckens taugt Heintz zum Vorbild. Der gebürtige Mannheimer ist offen, selbstbewusst und mitunter auch kritisch. Nach Olympia rechnete er mit dem deutschen Sportsystem ab. Aufgrund der schlechten Bedingungen fühle er sich im internationalen Vergleich wie „ein Kreisligist gegen einen ChampionsLeague-Teilnehmer“, sagte Heintz: „Vier Jahre lang interessiert sich keiner für uns, und bei Olympia müssen wir plötzlich Medaillen holen. Wo sollen die denn herkommen? Mir tut dieses System weh.“
Neben Heintz lösten am Freitag auch Damian Wierling (50 Meter Freisitl) und Florian Wellbrock (1500 Meter Freistil) über die U23-Norm ihr Ticket für die WM im Juli in Budapest.