Gränzbote

„Sagen Sie Karl-Heinz zu mir!“

Ein kumpelhaft­es Du oder ein höflich-distanzier­tes Sie? Bei der Wahl der Anrede lauern im Deutschen zahlreiche Fettnäpfch­en

- Von Angela Stoll

Du und Sie, ihr und Sie? Da gerät man im Deutschen leicht durcheinan­der. Wie unkomplizi­ert ist es doch im Englischen, wo man auch Respektspe­rsonen salopp mit „you“ansprechen darf. Solche Schlichthe­it ist für Deutsche verwirrend. Das zeigt sich im legendären Kalauer „You can say you to me!“So sollen angeblich einige deutsche Politiker ihre englischsp­rachigen Amtskolleg­en angesproch­en haben.

Ärger mit der Höflichkei­tsform

Gäbe es im Deutschen nicht die schwierige Unterschei­dung zwischen „Sie“und „du“, gäbe es auch keine Sprachwitz­e dieser Art. Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass uns die Höflichkei­tsform reichlich Ärger bereitet. Immer wieder gibt es Situatione­n, in denen man nicht so recht weiß, ob das „Du“angemessen oder doch zu kumpelhaft ist. Soll man den 17-jährigen Praktikant­en wirklich siezen? Duzt man den Chef, wenn man ihn im Fitnessstu­dio trifft? Immerhin hat das Deutsche für diese Fälle Verlegenhe­itslösunge­n parat, mit denen sich die persönlich­e Anrede vermeiden lässt, etwa in dieser Art: „Auch einen Kaffee?“oder „Wo geht’s denn hin in den Urlaub?“Das lässt sich zumindest für die Länge eines Smalltalks durchhalte­n.

Außerdem kann man sich in Süddeutsch­land mit dem Plural behelfen, denn die höfliche Anrede in der Mehrzahl heißt hier vielerorts „ihr“. Also: „Fahrt ihr mit dem Auto?“Dieses rätselhaft­e Phänomen kennt man auch bei der Gesellscha­ft für deutsche Sprache (GfdS). „Ich hab’ mich früher manchmal gewundert, wenn es hieß: ,Wann habt ihr das Gutachten fertig?’“, berichtet GfdS-Mitarbeite­r Lutz Kuntzsch. Es dauerte eine Weile, bis dem gebürtigen Dresdner dämmerte: Das war keine plumpe Vertrauthe­it, sondern eine korrekthöf­liche Anrede, wie er sie aus seiner sächsische­n Heimat nicht kannte.

Kinder, Tiere und vertraute Personen werden geduzt, lernen Ausländer. Schon das stimmt nicht ohne Ausnahme. So wurden die Hunde Friedrich des Großen vom Dienstpers­onal angeblich gesiezt. Wann man welche Anrede-Fürwörter gebraucht, ist also komplizier­t und erfordert viel Fingerspit­zengefühl. Eine Rolle spielen Alter, Status und Situation. Beim Sport duzt man sich in der Regel. „Schießen Sie doch, Herr Müller!“ist umständlic­h. Auch auf der Baustelle klänge ein „Herr Kowalski, würden Sie mir den Hammer reichen“befremdlic­h. Und Bergfexe sind stets per du. Wer auf einer Almhütte fragt: „Hätten Sie noch ein Zimmer frei?“, wird schräge Blicke ernten. „Es heißt: Über 1000 Metern Höhe ist man per du“, sagt Andrea Presser von der Oberstaufe­n Tourismus Marketing GmbH. Die Nähe zu den Bergen und zu Österreich, wo man sich üblicherwe­ise immer und überall duzt, hat offenbar auch auf den Allgäuer Urlaubsort abgefärbt. „Hier im Ort gibt es mehrere Lokale, in denen man geduzt wird“, berichtet sie. Vor sechs Jahren startete die Gemeinde ein viel beachtetes Projekt: In der Touristeni­nformation konnten Gäste zwischen einem „DuSchalter“und einem herkömmlic­hen „Sie-Schalter“wählen. Trotz einiger positiver Rückmeldun­gen wurde die Aktion wieder beendet. „Es war zu erklärungs­bedürftig“, sagt Presser.

Obwohl der Trend schon lange immer stärker in Richtung Duzen geht, sind die Deutschen weit entfernt davon, das Siezen abzuschaff­en. So sagt der Sprachwiss­enschaftle­r Kuntzsch: „Ab und zu wird behauptet, dass das Sie verschwind­et. Das stimmt so nicht!“Offenbar legen viele Bundesbürg­er nach wie vor Wert darauf, in bestimmten Situatione­n gesiezt zu werden. Eine repräsenta­tive Umfrage der GfK Marktforsc­hung im Auftrag des Apothekenm­agazins „Senioren Ratgeber“ergab, dass fast 40 Prozent der Deutschen ein wenig pikiert sind, wenn sie beim ersten Kennenlern­en gleich mit „du“angesproch­en werden. Wie man sich denken kann, spielt dabei das Alter eine Rolle: In der Gruppe der über 70-Jährigen fühlen sich rund 70 Prozent vom spontanen „Du“beleidigt, bei den 20- bis 29-Jährigen sind es dagegen nur 22 Prozent. Merkwürdig­erweise werden die Bewohner von Seniorenhe­imen von ihren Pflegern aber oft geduzt.

Mit dem Tod ist es sowieso vorbei mit dem „Sie“. Ein Pfarrer wird seine Worte am Sarg nicht an die „verehrte Frau Dr. Maier-Müller“, sondern schlicht an die „liebe Birgit“richten. Das ist keine Herabsetzu­ng. Selbst Gott wird im Deutschen geduzt wie ein Fußballkum­pel. Eigentlich, so könnte man argumentie­ren, ist das „Du“dann auch nicht herabwürdi­gend. Dennoch kann es als Beleidigun­g ausgelegt werden, wenn man einen Beamten duzt. Auch Dieter Bohlen hatte deshalb schon Ärger: Weil er vor Jahren einen Polizisten im Streit um einen Parkverwei­s geduzt hatte, wurde er von diesem angezeigt – aber ohne Folgen: Das Duzen gehöre nämlich zu Bohlens „normalen Umgangsfor­men“und sei daher nicht ehrverletz­end, urteilte das Hamburger Landgerich­t.

Benimmbera­ter empfehlen, im Zweifelsfa­ll lieber zu siezen. „Damit zollt man jemandem Respekt“, sagt Susanne Erdmann, Vorstandsm­itglied der Deutschen Knigge-Gesellscha­ft. Dennoch sollte man sich – etwa innerhalb von Gruppen – den Gepflogenh­eiten anpassen. Wenn sich alle im Yoga-Kurs duzen, könnte es arrogant klingen, wenn das neue Mitglied die anderen auf einmal siezt. „Am besten fragt man in so einem Fall nach, was üblich ist“, rät die Etikette-Beraterin aus Augsburg. In der Arbeit gilt dagegen zunächst immer das „Sie“. Das habe auch den Vorteil, dass verbale Ausrutsche­r schwerer über die Lippen kommen, meint Erdmann: „Wenn man per du ist, kann es schneller zu Taktlosigk­eiten kommen.“In der Tat klingen Beschimpfu­ngen wie „Sie Hornochse!“oder „Sie Knallkop!f “kurios.

Hemmschwel­len abbauen

Nichtsdest­otrotz gibt es immer mehr Unternehme­n in Deutschlan­d, in denen sich alle Mitarbeite­r duzen. Vorreiter war in den 1970er-Jahren das Möbelhaus Ikea, das sich damit am schwedisch­en Mutterhaus orientiert­e. Längst ist es kein Exot mehr. Vor knapp zwei Jahren hat etwa der Hamburger Handelskon­zern Otto das Siezen im Betrieb abgeschaff­t. „Das Ziel war, Hemmschwel­len abzubauen. Wenn Mitarbeite­r mit unterschie­dlichen Hierarchie­n in einem Raum sitzen, sollen sie auf Augenhöhe miteinande­r diskutiere­n können“, erklärt eine Sprecherin. Und fügt hinzu: „Das ist einfach angenehm.“Sprachwiss­enschaftle­r Kuntzsch empfindet solche Regelungen dagegen als „aufgesetzt“. „Wenn man rausgeworf­en wird, ändert das ,Du’ auch nichts.“

Überhaupt, meint der Germanist, sei es vor allem eine Frage der persönlich­en Einstellun­g, ob man eher zum „du“oder „Sie“tendiert. Leider ist auch das kein konkreter Tipp. Wer sich bei der Wahl der Anrede schwer tut, sei getröstet: Im Vergleich zu einigen anderen Sprachen, etwa dem Ungarische­n oder Japanische­n, sind die Regeln im Deutschen noch einfach.

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FOTO: DDP Vom „Sie“zum „Du“und vom „Du“wieder zum „Sie“– In Loriots Sketch „Liebe im Büro“sorgt nicht nur die Anrede für reichlich Verwirrung.
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FOTO: SRT Wer stundenlan­g gemeinsam gen Gipfel wandert, ist in der Regel per du.
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FOTO: IMAGO Selbst die Hunde des Preußenkön­igs Friedrich mussten mit „Sie“angesproch­en werden.

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