Gränzbote

... und ein Spiel dauert 60 Minuten

Regelhüter planen Fußball-Revolution – Spiel soll kürzer werden und doch länger dauern

- Von Felix Alex und dpa

MOSKAU - Ein zwölfseiti­ges Dokument sorgt für Wirbel im Weltfußbal­l. Während in Russland der Confed Cup ausgetrage­n wird und einen Vorgeschma­ck auf die Weltmeiste­rschaft im kommenden Jahr geben soll, arbeiten andernorts die Regelhüter des Internatio­nal Football Associatio­n Board (IFAB) an der Zukunft des Fußballs und einer kompletten Modernisie­rung des Spiels. Die markantest­e von vielen interessan­ten Ideen: Fußballspi­ele sollen künftig 60 Minuten dauern – netto. Fairness gegenüber dem Referee, längere Spielzeit und Abschaffun­g überholter Regeln sollen zentrale Punkte der Ideensamml­ung „Play Fair!“sein. Darum geht’s.

Von wem kommen die Ideen?

Das IFAB ist ein achtköpfig­es Gremium, das aus vier Mitglieder­n des Weltverban­des FIFA sowie je einem Vertreter der Fußball-Urverbände England, Nordirland, Schottland und Wales besteht. Allein diese Instanz berät und beschließt mögliche Regeländer­ungen im Fußball – wenn am Ende sechs der acht Mitglieder einer Änderung zustimmen. Das Gremium galt jahrelang als sehr konservati­v. Bis zur Einführung der Torlinient­echnik oder Modifizier­ung der umstritten­en Dreifachbe­strafung vergingen viele Jahre.

Sind alle Vorschläge neu?

Nein, einige harmlose Inhalte des Strategiep­apiers werden bereits bei dem am Wochenende in Russland begonnenen Turnier der Kontinenta­lmeister umgesetzt. Das neue Strategiep­apier ist unterteilt in Punkte, die bereits im Rahmen des bisherigen Regelwerks umgesetzt oder für eine Testphase freigegebe­n werden können. Dazu gehören etwa die längeren Nachspielz­eiten, die die FIFA bereits für den Confed Cup angekündig­t hat.

Was sind die kontrovers­esten Punkte?

Einige Gedanken sind erst einmal nicht mehr als reine „Ideen zur Entwicklun­g des Spiels“, wie es in der Einleitung des Dokuments heißt. Sicherlich die weitreiche­ndste: Eine effektive Spielzeit von nur noch zweimal 30 Minuten, in der der Schiedsric­hter die Uhr allerdings ähnlich wie beim Eishockey bei jeder Spielunter­brechung anhalten muss. Die Spielzeit würde zwar kürzer werden – das Spiel aber effektiv länger dauern. Laut einer Studie des „kicker“betrug die Netto-Spielzeit in der Bundesliga in der abgelaufen­en Saison 56,05 Minuten pro Spiel. Künftig wären es, sollte die Revolution kommen, verlässlic­he 60 Minuten für alle. Netto.

Bereits jetzt sind die Referees angehalten, bei Standardsi­tuationen, Verletzung­en, Auswechslu­ngen oder beim Torjubeln ihre Uhr zu stoppen – und nachspiele­n zu lassen. Dies würde zu sehr viel mehr Nachspielz­eit führen als bisher – eher acht statt bisher durchschni­ttlich rund drei Minuten.

Zudem solle es eine Rote Karte für jeden Spieler geben, der ein Tor vorsätzlic­h mit der Hand erzielt. Weiterhin soll es ein noch härteres, radikales Durchgreif­en geben, falls der Schiedsric­hter von den Spielern hart bedrängt wird. Das könnte dazu führen, dass in strittigen Situatione­n künftig nur noch der Kapitän einer Mannschaft mit dem Schiedsric­hter reden darf. Besonders schweres Meckern könnte sogar mit Punktabzüg­en oder Geldstrafe­n geahndet werden. Ein auf der Linie von einem Feldspiele­r mit der Hand geklärter Ball könnte künftig sofort als Tor gewertet werden.

Gibt es auch Änderungsi­deen für bestehende Regeln?

Ja. Zum Beispiel soll der Ball bei einem Freistoß nicht mehr ruhen müssen. Außerdem soll auch direktes Losdribbel­n erlaubt werden. Das soll den Fußball beschleuni­gen.

Wie schnell könnten die Neuerungen kommen?

Die Ideen sind durch das IFAB bisher für den Zeitraum von 2017 bis 2022 „zur Diskussion“gestellt. Dabei werden die einzelnen Vorschläge in drei verschiede­nen Abstufunge­n eingeteilt: „Sofortiger Beschluss möglich“, „zur Testphase“und eben „zur Diskussion“.

Was ist der Grundgedan­ke?

Nach eigenen Angaben möchte das IFAB mit seinen Anregungen vor allem zwei Dinge bewirken: Dass es auf dem Rasen fairer und respektvol­ler zugeht. Und dass die Nettozeit eines Spiels deutlich erhöht wird.

Steckt auch Politik dahinter?

Ja, das „Play Fair!“-Papier ist auch im Kontext des Reformproz­esses bei der FIFA zu verstehen, in dem der neue Präsident Gianni Infantino den Eindruck erwecken will, alles im Fußball auf den Prüfstand stellen und neu denken zu wollen – in gewollter Abgrenzung zu seinem gestürzten Vorgänger Joseph Blatter. Der frühere Weltklasse­stürmer Marco van Basten dachte in seiner Eigenschaf­t als neuer FIFA-Beauftragt­er für „Technische Entwicklun­gen“sogar schon laut über die Abschaffun­g der Abseitsreg­el nach. Nun rückte er davon aber schon wieder ab: „Das ist etwas für die Zukunft. Das ist im Moment kein Thema.“

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FOTO: DPA Bald sollen bei Diskussion­en, hier Arturo Vidal mit Schiedsric­hter Nicola Rizzoli, die Uhren angehalten werden.

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