NSU-Ausschuss beharrt auf Ermittlungen
Bundesanwälte halten Kiesewetter für Zufallsopfer, Landtagsgremium vermutet Helfer
STUTTGART - Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags ist unzufrieden mit den Ermittlungen des Generalbundesanwalts im Fall der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter. Nach Ansicht der Abgeordneten haben Deutschlands oberste Ermittler nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Deshalb erwägt der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) sogar, den zuständigen Bundesanwalt vorzuladen. Das sagte er am Montag am Rande der Ausschusssitzung. Das Gremium untersucht, ob die rechtsextremistischen Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“(NSU) Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe Helfer in Baden-Württemberg hatten – besonders an jenem Tag im April 2007, als Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen wurde.
Blutspuren an der Kleidung
Als sicher gilt, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in den Mord verwickelt waren. Darauf deuten unter anderem Blutspuren hin, die an der Kleidung der Männer gefunden wurden. Außerdem wurde ein Wohnmobil, das die beiden gemietet hatten, kurz nach der Tat in der Nähe von Heilbronn gesichtet.
Nach der Theorie der Bundesanwälte waren Kiesewetter und ihr angeschossener Kollege Zufallsopfer der beiden mutmaßlichen Terroristen, die für weitere neun Morde an Migranten verantwortlich sein sollen. Die Motive: Hass auf die Staatsmacht und die Hoffnung, die Dienstwaffen der Beamten erbeuten zu können. Doch zahlreiche Ungereimtheiten und vermeintliche Zufälle rund um die Tat lassen Drexler und den Ausschuss an dieser Theorie zweifeln. Auch der Vorsitzende des NSUUntersuchungsausschusses des Bundestages, Clemens Binninger (CDU), hält es für wahrscheinlicher, dass der NSU Hilfe aus Baden-Württemberg bekam.
Deswegen geht das Landtagsgremium seit Jahren möglichen Hinweisen auf Helfer nach, bislang jedoch ohne Erfolg. Im Frühjahr hatten Medien dann über eine Auswertung der Mobilfunkdaten aus Heilbronn berichtet. Die Polizei hatte diese direkt nach dem Mord von den Netzanbietern angefordert.
Laut Berichten waren bei dem Abgleich zwei Handynummern aufgetaucht, die zuvor auch bei Ermittlungen zu islamistischen Gruppierungen auffielen. Bereits 2015 hatte der NSU-Ausschuss selbst erfahren, dass die Bundesanwälte nur einen Teil der gespeicherten Verbindungen durchforstet hatten. Zum einen wurden nur die Stunden kurz vor und kurz nach der Tat betrachtet. Zum anderen glichen die Ermittler die gespeicherten Verbindungen nur mit den Nummern von Mundlos und Böhnhardt ab, nicht aber mit denen anderer bekannter Rechtsextremen in der Region.
Dass es zu diesen Kontakte gab, steht fest. Allerdings gibt es keine Belege dafür, dass es nach dem Abtauchen der Terroristen Ende der 1990er-Jahre noch engere Beziehungen nach Baden-Württemberg gab. In seinem Abschlussbericht hatte der Ausschuss deswegen den Generalbundesanwalt gebeten, die Telefondaten erneut auszuwerten. Doch das geschah bisher nicht.
Daraufhin schrieb Drexler der Generalbundesanwaltschaft einen Brief. Seit Montag ist klar: Der oberste Ermittler will dieser Bitte aus Stuttgart nicht nachkommen. Aus seiner Sicht gebe es dafür keinen Grund, zitierte Drexler aus dem Antwortbrief. Die Ermittler sind so fest davon überzeugt, die Tat vollständig aufgeklärt zu haben, dass sie keinen Anlass für weitere Untersuchungen sehen. Diese Haltung hatten bereits andere Ermittler vor dem Ausschuss skizziert.
Wegen des hohen öffentlichen Drucks und der Versäumnisse der Behörden vor dem Auffliegen des NSU hatten die Ermittler offenbar ab einem gewissen Zeitpunkt den Schwerpunkt auf die Vorbereitung der Anklage gegen Beate Zschäpe gelegt. Anderen Fragen, etwa nach Netzwerken in Baden-Württemberg, schenkte man weniger Aufmerksamkeit. Deswegen kritisierte der Ausschussvorsitzende Drexler am Montag die Antwort des Generalbundesanwaltes. „Diese Haltung ist für den Ausschuss nicht nachvollziehbar", so Drexler.
Deswegen lädt er nun zwei Beamte vor, die an der Auswertung der Heilbronner Handydaten beteiligt waren. Sie sollen berichten, wie sie auf die Telefonnummern aus der islamistischen Szene stießen und warum man dem nicht nachging.
Offene Fragen
„Wir können uns einfach nicht vorstellen, dass die NSUler einfach durch die Gegend gefahren sind, zufällig auf zwei Polizisten in Heilbronn stießen und zuschlugen, um die Waffen zu erbeuten“, so Drexler. Warum fuhren die NSU-Terroristen nach der Tat nicht direkt zur Autobahn und nahmen stattdessen eine Route, an der bekannte Rechte wohnen? Für den Ausschuss wäre eine neue Auswertung der Mobilfunkdaten wohl die einzige Chance, noch Beweise für Helfer aus dem Südwesten zu finden.
Das liegt vor allem daran, dass mögliche Zeugen aus der rechten Szene im Ausschuss stets nach demselben Muster aussagen: Sie berichten von gemeinsamen Besäufnissen, wollen nicht politisch aktiv gewesen sein und können sich an Details nicht erinnern.