„Die Freiheit zu tun, was nötig ist“
ZF-Chef Stefan Sommer über die neue Unternehmensführung in der alten Zahnradfabrik
FRIEDRICHSHAFEN - ZF, drittgrößter Autozulieferer der Welt, erfindet sich gerade neu: Einst ein Industrieunternehmen, das vor allem Getriebe gebaut hat, muss sich der Konzern nun in einer Welt zurechtfinden, in der sich die Geschwindigkeit vervielfacht hat, neue Wettbewerber angreifen und Megatrends wie Elektromobilität und autonomes Fahren alte Gewissheiten über den Haufen werfen. Hendrik Groth, Benjamin Wagener und Martin Hennings haben ZF-Chef Stefan Sommer gefragt, wo ZF steht, was noch zu tun ist und wie sich die Unternehmensführung verändern muss.
2012 haben Sie einen Zukunftsprozess für ZF angestoßen, lagen Sie mit Ihren Prognosen richtig?
In den Inhalten haben wir alles ziemlich genau getroffen. Die Geschwindigkeit haben wir allerdings völlig unterschätzt. Was wir für 2025 vorhergesagt haben, ist schon 2020 aktuell. Wir haben damals über Assistenzsysteme geredet, das autonome Fahren kam da noch gar nicht so richtig vor, die Apple- und Uber-Autos waren noch nicht so präsent. Wenn Sie sich heute die Kundenanforderungen anschauen, dann spezifizieren die Technologien für automatisiertes und autonomes Fahren schon heute die Autos von morgen. Wir müssen es können, wenn wir den Auftrag wollen.
Heißt das, dass die Autos 2020 autonom unterwegs sind?
Ich glaube kaum. Keiner weiß, wie viele Autos 2020 wirklich autonom auf den Straßen fahren werden, wir müssen die Technologie aber beherrschen, weil wir sonst das Volumengeschäft für die Autos von morgen nicht mehr bekommen. Auch die Elektromobilität hat sich rasanter entwickelt, wegen der Abgasdiskussion und der drohenden Fahrverbote ist das Thema viel schneller vorangekommen, als wir damals erwartet haben.
Wo steht ZF in diesem Prozess?
Wir sind mit einem Rückstand auf die Wettbewerber ins Rennen gegangen – und das Rennen ist nun noch einmal schneller geworden. Deshalb ist die große Herausforderung für uns, nicht an Geschwindigkeit zu verlieren und uns ganzheitlich aufzustellen.
Wie stellt sich ein Getriebebauer ganzheitlich auf?
Ganzheitlich heißt, wir haben eine Bremse, eine Lenkung, einen Antriebsstrang, dazu Elektronik, Sensorik, Kameras – und so können wir unseren Kunden Funktionen anbieten, die Wettbewerber eben nicht haben.
Was bedeutet der Wandel in der Autoindustrie und das Wachstum von ZF in den vergangenen Jahren für die Unternehmensführung der früheren Zahnradfabrik?
Wir brauchen eine klare, industriell und weltweit verstandene Unternehmensführung, etwas anderes können wir uns nicht erlauben – auch deswegen, weil wir Anleihen im Finanzmarkt begeben haben. Zudem ist klar, dass wir aufgrund der rasanten Entwicklung nicht mehr alle Herausforderungen mit Eigenentwicklungen lösen können. Vielmehr müssen wir Know-how über Zukäufe und Beteiligungen einsammeln. Damit entfernen wir uns inhaltlich und zum Teil geografisch von Friedrichshafen.
Die frühere Zahnradfabrik, am See liebevoll „Zacke“genannt, ist also erwachsen geworden.
Wir heißen ZF und nicht mehr Zahnradfabrik. Und wir sind schon lange erwachsen. Aber wir werden noch sehr oft als Zahnradfabrik bezeichnet. Leider wird die Zahnradfabrik in unserer Branche oft mit Strukturproblemen gleichgesetzt. Die Autokonzerne gehen davon aus, dass 20 bis 30 Prozent ihrer Flotte im Jahr 2025 mit Elektromotoren angetrieben werden, die keine Zahnräder mehr brauchen. Wir müssen also darauf schauen, dass man als Unternehmen nicht zu sehr an einer Technologie hängt, die in Zukunft vielleicht zum Strukturproblem wird. Wir müssen das Image des Unternehmens verändern, zeigen, dass ZF ein innovativer Technologiekonzern ist, der unter anderem exzellente Getriebe macht – aber aus dieser starken Kompetenz für Mechanik heraus auch die Zukunft mitgestalten kann.
Muss sich die Unternehmensführung also ändern?
Wir brauchen keine andere Art der Unternehmensführung, sie muss nur in einigen Bereichen präziser ausformuliert werden. Es muss einfach klar sein, welche Aufgaben und welchen Handlungsrahmen die einzelnen Gremien bei ZF haben. Es darf nicht sein, dass die Geschwindigkeit, die ZF am Markt und im Wettbewerb braucht, gebremst wird, weil bestimmte Notwendigkeiten in Friedrichshafen nicht nachvollzogen werden.
Wird ZF die mechanische Produktion aufgeben, in Zukunft kein „Heavy Metal“mehr machen?
Nein, denn strategisch haben wir klar entschieden, weiter auf die Mechanik zu setzen. Das ist sogar unserer Stärke. Die Wertschöpfung kommt aus mechanischen Produkten, die in unseren Fabriken hergestellt werden. Auf der anderen Seite brauchen wir vom Produktdesign die richtigen mechanischen Komponenten, die in der digitalen Welt als System funktionie- ren. Unser Ziel ist es, unsere traditionellen Komponenten intelligent und damit zukunftsfähig zu machen.
Ist den Gesellschaftern der ZF diese Situation bewusst?
Grundsätzlich schon, aber von den Vertretern der Stiftungen bekommen wir auch zurückgespiegelt, dass man zunehmend weniger versteht, wohin sich das Unternehmen entwickelt. Im Hinblick auf die revolutionären Veränderungen in der Autoindustrie wünschen wir uns jetzt die Freiheit, das tun zu können, was für das Unternehmen richtig und notwendig ist. Hier sind wir klar auf das Verständnis der Gesellschafter angewiesen.
Der Aufsichtsrat will die Unternehmensführung präzisieren. Was ist das Ziel dieser Initiative?
Die Rollen der Gesellschafter, des Aufsichtsrates und des Vorstandes müssen einfach klar sein. Der Vorstand macht die Strategie und führt sie aus, der Aufsichtsrat überwacht Vorstand und Strategie. Und in der Hauptversammlung kommen die Gesellschafter zusammen. Sie bestimmen die Dividendenpolitik, bestimmen den Aufsichtsrat auf der Kapitalseite und müssen das Vermögen des Unternehmens sicherstellen. Die Stadt führt ja nicht das Unternehmen, sondern sie soll das Vermögen der Stiftungen nach dem Ewigkeitsprinzip sichern. Die Stadt prüft, ob der Stiftungszweck erfüllt ist, und hat dabei nicht die Rolle zu bewerten, wie viele Software-Entwickler ZF in Indien einstellt. Von Friedrichshafen aus wird ZF heute und in Zukunft gesteuert, weshalb Friedrichshafen im Vergleich zu anderen Standorten ein deutlich höheres Gewicht hat. Aber die Gemeinde sollte auch verstehen, wie notwendig das Engagement von ZF in Indien, China und Amerika ist.
Fühlen Sie sich durch die Gesellschafter behindert?
Nein, ganz sicher nicht. Aber die Gesellschafterstruktur sollte das Unternehmen auch in Zukunft nicht in seiner Entwicklung einschränken. In dem Moment, in dem zum Beispiel lokalpolitische Erwägungen aus Friedrichshafen die Unternehmensstrategie bestimmen, wird es für den unternehmerischen Erfolg kritisch. Wir dürfen nicht vergessen, dass ZF heute zum größten Teil außerhalb von Friedrichshafen aufgestellt ist.
Die Grünen haben beschlossen, dass – wenn es nach Ihnen geht – von 2030 kein Verbrennungsmotor mehr zugelassen wird. Liegt die Partei damit richtig, weil so eine Diskussion in Gang kommt?
Grundsätzlich ist alles, was an Umweltzielen formuliert wird, richtig. Doch es muss auch einen ausformulierten Plan und die dafür nötigen Mittel geben, damit man die Ziele auch erreichen kann. Wir haben noch lange nicht die Infrastruktur, damit wir den Strom, den wir aus Wind und Sonne generieren, überall dort hinbringen können, wo wir ihn brauchen – und das wird auch 2030 nicht der Fall sein. Wir werden der Elektromobilität nicht zum Durchbruch verhelfen, indem wir Ladesäulen aufstellen, Förderprogramme schreiben und Verbote aussprechen.
Nein?
Nein. Beispiel Parkhaus: Natürlich kann man da noch fünf Ladesäulen aufstellen. Aber das Stromsystem in einem normalen Parkhaus ist für Licht und eine Sprinkleranlage ausgelegt, es reicht nicht, wenn an einem Samstagmorgen das Parkhaus rappelvoll ist und alle ihre Elektroautos einstöpseln. Wir werden 2030 nicht so weit sein, dass wir die hundertprozentige Elektromobilität eingeführt haben und das alte System einfach abknipsen können. Was der ZF-Chef noch zur Aufsichtsratsinitiative und zu den Grünen-Plänen sagt, lesen Sie unter www.schwaebische.de/sommer