Versorgt für ein Jahr
Zum siebten Mal bietet das Maifeld Derby Musikliebhabern anspruchsvolle Unterhaltung
MANNHEIM - Sie zittert nicht nur, sie bebt. Während die britische SpokenWord-Künstlerin/Rapperin Kate Tempest auf der Open-Air-Bühne des Maifeld Derby wortgewaltig ihre Sozialkritik übt („Europe is lost“), würde sie wohl am liebsten einen Boxsack bearbeiten. In gefühlten 234 Zeichen pro Sekunde bleibt dem Hörer kaum Zeit, den Text zu verarbeiten, bevor Tempest die nächsten 234 Zeichen absetzt.
Und das Publikum? Dankt es ihr mit ohrenbetäubendem Applaus. Tempest wäre bei jedem anderen Festival an diesem prominenten Samstagabend-Platz als Fehleinkauf durchgegangen. Bei der siebten Auflage des Festivals auf dem Mannheimer Maifeld-Gelände ist sie jedoch so richtig wie Mahagoni-Leisten im Baumarkt.
Es sind Momente wie diese, die das Festival einzigartig machen. Wenn sich Musikliebhaber und Presse genreübergreifend auf einen Konsens einigen können, dann darauf, dass das Maifeld Vorbildcharakter hat – beziehungsweise eine alte Idee wiederaufleben lässt.
Die Ursprungsidee des Musikfestivals – der Besucher sieht Lieblingsbands und entdeckt neue – wird beim Maifeld Derby hochgehalten wie bei kaum einem anderen. Das FestivalLebensgefühl mit Campen, Trinkspielen, Dixieklos gibt es in Mannheim selbstverständlich auch. Doch ist das Beiwerk zum WochenendPauschalpaket. Die Musik – worum es bei einem Festival gehen sollte – ist magnetischer Pol beim Maifeld Derby. Bei anderen Festivals ist sie für viele Beiwerk zu Campen, Trinkspielen, Dixieklos.
Eine Band wie die überaus erfolgreichen österreichischen Falco-Revenanten Bilderbuch fallen als Headliner am ersten Festivaldrittel Freitag eher durchs Raster. Wirkliche Radiobands gibt es kaum beim Maifeld Derby, keine ganz großen Namen, die anderswo die Hörer in Scharen ziehen sollen. Bilderbuch zeigen aber, warum Organisator Timo Kumpf ein glückliches Händchen bei der Programmauswahl hat. Mit einem furiosen, ekstatischen Auftritt begeistern sie auch jene, die vorher eher skeptisch waren.
Fans mit Gänsehaut
Weniger als für solch großen Headliner steht das Maifeld Derby jedoch eher für ein gut kuratiertes Liebhaberprogramm. Für Bands wie Zeal & Ardor, die Black-Metal-Blastbeats zwischen Neo-Gospel hämmern. Die beim Schlussbeifall gar nicht von der Bühne wollen, weil sie sich so sehr über den Zuspruch freuen. Die Band, die sich wenige Augenblicke vorher noch diabolisch gab, scheint vor Freude auf der Stelle hüpfen zu wollen. Es steht für Gruppen wie das Electro-/Housetrio Moderat, das das Bühnenzelt mit seinem Bass fast zum Platzen bringt und die Gänsehaut der Fans zum Wabern.
Die Hörer sind dankbar für jeden Ton, der an diesen drei Tagen erklingt. Selbst die jüngeren Zuschauer honorieren Bands, deren Karriere so alt ist wie sie selbst. Die Indie-Rocker Spoon (gegründet 1994), die Briten von Primal Scream (mittlerweile seit 1982 aktiv) oder das Emo-Quartet American Football (21 Jahre alt) werden abgefeiert, als seien sie aktuelle Senkrechtstarter – obwohl letztere einen eher meditativen Auftritt absolvieren.
Apropos Senkrechtstarter: Von denen gibt es auch genug beim Maifeld Derby. Kumpf weiß einfach, was gut ist, gut bleibt und groß wird. Die Songs des elektrisierenden Balthazar-Sängers J. Bernardt, der am Freitagnachmittag das Festival quasi eröffnete, werden ziemlich bald ziemlich sicher irgendeine hippe Werbung musikalisch untermalen. Der Elektro-Kleriker-Sohn, der 2014 das letzte Mal in Mannheim gastierte, ist mit dem Festival quasi groß geworden – was sich am Freitagabend auch an der doppelten Zuschauerzahl zeigte. Zum ersten Mal hat das Festival der kleinen Wege es übrigens geschafft, mit dem Samstag einen Tag komplett auszuverkaufen.
Das haben die Organisatoren sich auch redlich verdient. Irgendwann ist der Gast so gesättigt, dass er sich einfach in den Schatten setzen möchte. Man ist für ein Jahr versorgt mit Konzerten und neuer Musik.