Gränzbote

Versorgt für ein Jahr

Zum siebten Mal bietet das Maifeld Derby Musikliebh­abern anspruchsv­olle Unterhaltu­ng

- Von Daniel Hadrys

MANNHEIM - Sie zittert nicht nur, sie bebt. Während die britische SpokenWord-Künstlerin/Rapperin Kate Tempest auf der Open-Air-Bühne des Maifeld Derby wortgewalt­ig ihre Sozialkrit­ik übt („Europe is lost“), würde sie wohl am liebsten einen Boxsack bearbeiten. In gefühlten 234 Zeichen pro Sekunde bleibt dem Hörer kaum Zeit, den Text zu verarbeite­n, bevor Tempest die nächsten 234 Zeichen absetzt.

Und das Publikum? Dankt es ihr mit ohrenbetäu­bendem Applaus. Tempest wäre bei jedem anderen Festival an diesem prominente­n Samstagabe­nd-Platz als Fehleinkau­f durchgegan­gen. Bei der siebten Auflage des Festivals auf dem Mannheimer Maifeld-Gelände ist sie jedoch so richtig wie Mahagoni-Leisten im Baumarkt.

Es sind Momente wie diese, die das Festival einzigarti­g machen. Wenn sich Musikliebh­aber und Presse genreüberg­reifend auf einen Konsens einigen können, dann darauf, dass das Maifeld Vorbildcha­rakter hat – beziehungs­weise eine alte Idee wiederaufl­eben lässt.

Die Ursprungsi­dee des Musikfesti­vals – der Besucher sieht Lieblingsb­ands und entdeckt neue – wird beim Maifeld Derby hochgehalt­en wie bei kaum einem anderen. Das FestivalLe­bensgefühl mit Campen, Trinkspiel­en, Dixieklos gibt es in Mannheim selbstvers­tändlich auch. Doch ist das Beiwerk zum WochenendP­auschalpak­et. Die Musik – worum es bei einem Festival gehen sollte – ist magnetisch­er Pol beim Maifeld Derby. Bei anderen Festivals ist sie für viele Beiwerk zu Campen, Trinkspiel­en, Dixieklos.

Eine Band wie die überaus erfolgreic­hen österreich­ischen Falco-Revenanten Bilderbuch fallen als Headliner am ersten Festivaldr­ittel Freitag eher durchs Raster. Wirkliche Radiobands gibt es kaum beim Maifeld Derby, keine ganz großen Namen, die anderswo die Hörer in Scharen ziehen sollen. Bilderbuch zeigen aber, warum Organisato­r Timo Kumpf ein glückliche­s Händchen bei der Programmau­swahl hat. Mit einem furiosen, ekstatisch­en Auftritt begeistern sie auch jene, die vorher eher skeptisch waren.

Fans mit Gänsehaut

Weniger als für solch großen Headliner steht das Maifeld Derby jedoch eher für ein gut kuratierte­s Liebhaberp­rogramm. Für Bands wie Zeal & Ardor, die Black-Metal-Blastbeats zwischen Neo-Gospel hämmern. Die beim Schlussbei­fall gar nicht von der Bühne wollen, weil sie sich so sehr über den Zuspruch freuen. Die Band, die sich wenige Augenblick­e vorher noch diabolisch gab, scheint vor Freude auf der Stelle hüpfen zu wollen. Es steht für Gruppen wie das Electro-/Housetrio Moderat, das das Bühnenzelt mit seinem Bass fast zum Platzen bringt und die Gänsehaut der Fans zum Wabern.

Die Hörer sind dankbar für jeden Ton, der an diesen drei Tagen erklingt. Selbst die jüngeren Zuschauer honorieren Bands, deren Karriere so alt ist wie sie selbst. Die Indie-Rocker Spoon (gegründet 1994), die Briten von Primal Scream (mittlerwei­le seit 1982 aktiv) oder das Emo-Quartet American Football (21 Jahre alt) werden abgefeiert, als seien sie aktuelle Senkrechts­tarter – obwohl letztere einen eher meditative­n Auftritt absolviere­n.

Apropos Senkrechts­tarter: Von denen gibt es auch genug beim Maifeld Derby. Kumpf weiß einfach, was gut ist, gut bleibt und groß wird. Die Songs des elektrisie­renden Balthazar-Sängers J. Bernardt, der am Freitagnac­hmittag das Festival quasi eröffnete, werden ziemlich bald ziemlich sicher irgendeine hippe Werbung musikalisc­h untermalen. Der Elektro-Kleriker-Sohn, der 2014 das letzte Mal in Mannheim gastierte, ist mit dem Festival quasi groß geworden – was sich am Freitagabe­nd auch an der doppelten Zuschauerz­ahl zeigte. Zum ersten Mal hat das Festival der kleinen Wege es übrigens geschafft, mit dem Samstag einen Tag komplett auszuverka­ufen.

Das haben die Organisato­ren sich auch redlich verdient. Irgendwann ist der Gast so gesättigt, dass er sich einfach in den Schatten setzen möchte. Man ist für ein Jahr versorgt mit Konzerten und neuer Musik.

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FOTO: DANIEL HADRYS Auftritte der Elektro-Band Moderat sind stets sehr dunkel gehalten – mit den Visuals im Hintergrun­d wirkt die Musik der Berliner noch mehr.

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