Gränzbote

Brüssel bleibt gelassen

Belgische Hauptstadt entgeht knapp einem Terroransc­hlag – Attentäter stand nicht auf Gefährderl­iste

- Von Daniela Weingärtne­r und Agenturen

BRÜSSEL - Es ist ein lauer Dienstagab­end in Brüssel, überall im historisch­en Stadtzentr­um genießen Menschen in Straßencaf­és den Ausklang des Tages – da bricht Unruhe aus. Der Schrecken, den die Brüsseler von den Terroransc­hlägen im vergangene­n Jahr noch gut in Erinnerung haben, kehrt plötzlich für einen Moment zurück. Gebracht hat ihn ein Mann mit offensicht­lich islamistis­chen Motiven und einem Koffer voller Nägel und Gasflasche­n.

Erneut hat ein Bewohner des Stadtteils Molenbeek die belgische Hauptstadt in Angst versetzt. Allerdings zeigt die seit den Pariser Attentaten vom Herbst 2015 und den Anschlägen in Brüssel im März 2016 verstärkte Polizei- und Militärprä­senz Wirkung: Es kam am Dienstagab­end im Brüsseler Zentralbah­nhof zu zwei kleineren Explosione­n, bei denen niemand verletzt wurde.

Ein Soldat schoss auf den 36-jährigen Attentäter mit marokkanis­chem Pass, dessen Namen die Behörden mit Oussama Z. angaben. Er starb wenig später an den Schussverl­etzungen. Erst viele Stunden später wurde er aus dem Gebäude gebracht. Die Staatsanwa­ltschaft wertete den Vorfall als „versuchten terroristi­schen Mord“. Es gebe „Hinweise“darauf, dass der Täter IS-Anhänger gewesen sei.

Massive Militärprä­senz

„Ich bin froh, dass wir die Soldaten auf den Straßen gelassen haben“, sagte Innenminis­ter Jan Jambon. „Leider braucht es Ereignisse wie dieses, um sich klar zu werden, dass es eine gute Entscheidu­ng war“, erklärte er, auf die Kritik an der massiven Militärprä­senz in der Brüsseler Innenstadt anspielend. Die Bürgermeis­terin von Molenbeek, Francoise Schepmans sagte, der Attentäter sei 2016 wegen eines Drogendeli­kts in den Fokus der Behörden geraten. Mit Terrorplän­en sei er nicht in Verbindung gebracht worden. Er stand auch nicht auf der Gefährderl­iste des Terrorabwe­hrzentrums Ocam.

Bei einer Pressekonf­erenz schilderte der Sprecher der Staatsanwa­ltschaft, Eric Van Der Sypt, wie Augenzeuge­n die Vorgänge erlebt haben. Der Angreifer habe „Allahu akbar“(Gott ist groß) gerufen und versucht, eine improvisie­rte Bombe zu zünden. Dabei habe es sich nicht wie anfangs angenommen um einen Sprengstof­fgürtel gehandelt. Vielmehr habe Z. den aus Gasflasche­n und Nägeln gebauten Sprengsatz in einem Koffer transporti­ert.

Offensicht­lich funktionie­rte der Sprengsatz jedoch nicht richtig und fing Feuer, bevor sich eine Druckwelle entwickeln konnte. „Er wollte mehr Schaden anrichten als er es getan hat“, sagte Van der Sypt. „Die Schäden hätten viel schlimmer ausfallen können.“Ein Foto macht später in sozialen Netzwerken und Medien die Runde: Ein leuchtend heller Feuerschei­n in der Bahnhofsha­lle, offensicht­lich ist der brennende Koffer zu sehen. Etwa 100 Männer und Frauen, so schätzt später eine Mitarbeite­rin der belgischen Bahn, waren zu dem Zeitpunkt im Bahnhof. Sie retteten sich aus der Station oder wurden ins Freie geführt.

Brüssel reagierte nach dem ersten Schrecken gelassen. Rund um den Zentralbah­nhof war am Dienstagab­end alles abgesperrt, Polizeiwag­en und Ambulanzen waren aufgefahre­n. Uniformier­te baten Passanten, sich zu entfernen. Möglichst sollte man geschlosse­ne Räume aufsuchen. Doch kaum einer leistete dem Folge – und es wurde auch niemand gedrängt. Nur wenige Hundert Meter entfernt vom Tatort schien die Brüsseler Innenstadt unberührt vom Geschehen. Alles wirkte sehr unaufgereg­t. Das lag wohl auch daran, dass die Polizei kaum eine halbe Stunde nach der Tat schon per Twitter die Bevölkerun­g mit den Worten „Situation unter Kontrolle“beruhigt hat.

Der belgische Premiermin­ister Charles Michel lobte am Mittwoch den Einsatz von Soldaten, Polizei, Sanitätern und Mitarbeite­rn des öffentlich­en Nahverkehr­s. Sie alle hätten profession­ell und effizient reagiert. Die zweithöchs­te Terrorwarn­stufe bleibt unveränder­t in Kraft, wie Ocam gestern bestätigte. Die Ermittler scheinen also nicht zu fürchten, dass es Nachahmung­stäter oder Komplizen geben könnte.

Allerdings werden Bahnhöfe, öffentlich­e Veranstalt­ungen und UBahn-Stationen verstärkt überwacht. Das Konzert der britischen Band Coldplay im größten Brüsseler Stadion stand am Mittwochab­end unter besonderer Beobachtun­g. Für diese Veranstalt­ung war eine Verstärkun­g „der Maßnahmen, der Präsenz und der Kontrollen“vorgesehen.

Finanzmitt­el aufgestock­t

Nach den Pariser Anschlägen vor 18 Monaten, bei denen Attentäter aus Molenbeek eine entscheide­nde Rolle gespielt hatten, war ein Fußballspi­el in diesem Stadion aus Sicherheit­sbedenken abgesagt worden. Damals stand der belgische Sicherheit­sapparat stark unter Kritik. Durch zunehmende Verlagerun­g von Kompetenze­n in die verfeindet­en Regionen Flandern und Wallonie blute die föderale Ebene personell und finanziell aus, beklagten Insider. Seither sind die Mittel aufgestock­t worden.

Die Datenbank von Terrorverd­ächtigen und und potentiell­en Syrienkämp­fern mit Wohnsitz in Belgien wurde überarbeit­et. Jedem Namen ist eine ständig aktualisie­rte Notiz beigefügt, die anzeigt, wie der nationale Antiterror-Stab Ocam die Gefährdung durch diese Person einschätzt. Oussama Z. allerdings stand nicht auf dieser Liste.

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FOTO: DPA In Brüssel gilt die zweithöchs­te Sicherheit­sstufe, in der Stadt patrouilli­eren Soldaten. Einer der Uniformier­ten hat nun einen Angreifer niedergesc­hossen und so wohl einen Anschlag verhindert.

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