Brüssel bleibt gelassen
Belgische Hauptstadt entgeht knapp einem Terroranschlag – Attentäter stand nicht auf Gefährderliste
BRÜSSEL - Es ist ein lauer Dienstagabend in Brüssel, überall im historischen Stadtzentrum genießen Menschen in Straßencafés den Ausklang des Tages – da bricht Unruhe aus. Der Schrecken, den die Brüsseler von den Terroranschlägen im vergangenen Jahr noch gut in Erinnerung haben, kehrt plötzlich für einen Moment zurück. Gebracht hat ihn ein Mann mit offensichtlich islamistischen Motiven und einem Koffer voller Nägel und Gasflaschen.
Erneut hat ein Bewohner des Stadtteils Molenbeek die belgische Hauptstadt in Angst versetzt. Allerdings zeigt die seit den Pariser Attentaten vom Herbst 2015 und den Anschlägen in Brüssel im März 2016 verstärkte Polizei- und Militärpräsenz Wirkung: Es kam am Dienstagabend im Brüsseler Zentralbahnhof zu zwei kleineren Explosionen, bei denen niemand verletzt wurde.
Ein Soldat schoss auf den 36-jährigen Attentäter mit marokkanischem Pass, dessen Namen die Behörden mit Oussama Z. angaben. Er starb wenig später an den Schussverletzungen. Erst viele Stunden später wurde er aus dem Gebäude gebracht. Die Staatsanwaltschaft wertete den Vorfall als „versuchten terroristischen Mord“. Es gebe „Hinweise“darauf, dass der Täter IS-Anhänger gewesen sei.
Massive Militärpräsenz
„Ich bin froh, dass wir die Soldaten auf den Straßen gelassen haben“, sagte Innenminister Jan Jambon. „Leider braucht es Ereignisse wie dieses, um sich klar zu werden, dass es eine gute Entscheidung war“, erklärte er, auf die Kritik an der massiven Militärpräsenz in der Brüsseler Innenstadt anspielend. Die Bürgermeisterin von Molenbeek, Francoise Schepmans sagte, der Attentäter sei 2016 wegen eines Drogendelikts in den Fokus der Behörden geraten. Mit Terrorplänen sei er nicht in Verbindung gebracht worden. Er stand auch nicht auf der Gefährderliste des Terrorabwehrzentrums Ocam.
Bei einer Pressekonferenz schilderte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Eric Van Der Sypt, wie Augenzeugen die Vorgänge erlebt haben. Der Angreifer habe „Allahu akbar“(Gott ist groß) gerufen und versucht, eine improvisierte Bombe zu zünden. Dabei habe es sich nicht wie anfangs angenommen um einen Sprengstoffgürtel gehandelt. Vielmehr habe Z. den aus Gasflaschen und Nägeln gebauten Sprengsatz in einem Koffer transportiert.
Offensichtlich funktionierte der Sprengsatz jedoch nicht richtig und fing Feuer, bevor sich eine Druckwelle entwickeln konnte. „Er wollte mehr Schaden anrichten als er es getan hat“, sagte Van der Sypt. „Die Schäden hätten viel schlimmer ausfallen können.“Ein Foto macht später in sozialen Netzwerken und Medien die Runde: Ein leuchtend heller Feuerschein in der Bahnhofshalle, offensichtlich ist der brennende Koffer zu sehen. Etwa 100 Männer und Frauen, so schätzt später eine Mitarbeiterin der belgischen Bahn, waren zu dem Zeitpunkt im Bahnhof. Sie retteten sich aus der Station oder wurden ins Freie geführt.
Brüssel reagierte nach dem ersten Schrecken gelassen. Rund um den Zentralbahnhof war am Dienstagabend alles abgesperrt, Polizeiwagen und Ambulanzen waren aufgefahren. Uniformierte baten Passanten, sich zu entfernen. Möglichst sollte man geschlossene Räume aufsuchen. Doch kaum einer leistete dem Folge – und es wurde auch niemand gedrängt. Nur wenige Hundert Meter entfernt vom Tatort schien die Brüsseler Innenstadt unberührt vom Geschehen. Alles wirkte sehr unaufgeregt. Das lag wohl auch daran, dass die Polizei kaum eine halbe Stunde nach der Tat schon per Twitter die Bevölkerung mit den Worten „Situation unter Kontrolle“beruhigt hat.
Der belgische Premierminister Charles Michel lobte am Mittwoch den Einsatz von Soldaten, Polizei, Sanitätern und Mitarbeitern des öffentlichen Nahverkehrs. Sie alle hätten professionell und effizient reagiert. Die zweithöchste Terrorwarnstufe bleibt unverändert in Kraft, wie Ocam gestern bestätigte. Die Ermittler scheinen also nicht zu fürchten, dass es Nachahmungstäter oder Komplizen geben könnte.
Allerdings werden Bahnhöfe, öffentliche Veranstaltungen und UBahn-Stationen verstärkt überwacht. Das Konzert der britischen Band Coldplay im größten Brüsseler Stadion stand am Mittwochabend unter besonderer Beobachtung. Für diese Veranstaltung war eine Verstärkung „der Maßnahmen, der Präsenz und der Kontrollen“vorgesehen.
Finanzmittel aufgestockt
Nach den Pariser Anschlägen vor 18 Monaten, bei denen Attentäter aus Molenbeek eine entscheidende Rolle gespielt hatten, war ein Fußballspiel in diesem Stadion aus Sicherheitsbedenken abgesagt worden. Damals stand der belgische Sicherheitsapparat stark unter Kritik. Durch zunehmende Verlagerung von Kompetenzen in die verfeindeten Regionen Flandern und Wallonie blute die föderale Ebene personell und finanziell aus, beklagten Insider. Seither sind die Mittel aufgestockt worden.
Die Datenbank von Terrorverdächtigen und und potentiellen Syrienkämpfern mit Wohnsitz in Belgien wurde überarbeitet. Jedem Namen ist eine ständig aktualisierte Notiz beigefügt, die anzeigt, wie der nationale Antiterror-Stab Ocam die Gefährdung durch diese Person einschätzt. Oussama Z. allerdings stand nicht auf dieser Liste.