„Jugendliche sind nicht logisch gesteuert“
Wenn Kinder Schäden anrichten: über Ursachen, Konsequenzen und Strafen
RAVENSBURG Wenn Kinder erheblichen Schaden anrichten, ist das eine Herausforderung für die Familie. Andrea Pauly hat nach einem Vorfall in Immenstaad am Bodensee mit Diplompsychologin und Familientherapeutin Bernadette Lembke (Foto: privat) über dieses Thema gesprochen. Lembke ist Leiterin der Psychologischen Familienberatungsstelle der Caritas in Überlingen.
Der Schaden im Kindergarten in Immenstaad geht weit über einen Streich hinaus. Warum machen Jugendliche so etwas?
In der Altersstufe 14, 15 ist es oft so, dass die Kinder und Jugendlichen die Konsequenzen ihres Handels nicht einkalkulieren, egal wie schwer die Folgen sind. Nichtsdestotrotz muss man ihnen zumuten, dass sie mit den Folgen zurechtkommen müssen. Da spielt der Aspekt der Wiedergutmachung eine wichtige Rolle. Handeln kommt in diesem Alter oft aus dem Affekt und ist nicht von Logik gesteuert, sondern impulsives Verhalten. Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Deshalb darf man die Kinder und Jugendlichen nicht erniedrigen, bestrafen oder beschimpfen. Einen Lerneffekt gibt es dann, wenn sie in das mit einbezogen werden, was sie verursacht haben: Sie könnten an den Reinigungsarbeiten beteiligt werden und Kontakt zu den Kindern und Erziehern haben.
Wie sollten die Eltern der Verursacher mit der Situation umgehen?
Die Altersstufe unter 14 Jahren ist die mit der höchsten Risikobereitschaft. Zugleich befindet sich in diesem Alter das Gehirn in einer Umstrukturierung. Da sind Kinder und Jugendliche einfach nicht logisch gesteuert. Außerdem gibt es in Gruppen in diesem Alter eine spezielle Dynamik. Es geht darum, in einer Gruppe zu agieren, in ihr eine bestimmte Stellung und Wirkung zu haben. Was ganz wichtig ist: Weil die Kinder die Folgen nicht absehen konnten, darf man jetzt nicht die Tür zuschlagen, sondern die Erwachsenen sollten im Gespräch mit ihnen bleiben.
Welche Rolle spielt der Vorfall für Kindergartenkinder und Erzieher?
Es ist wichtig, dass berücksichtigt wird, welche Unterstützung Eltern, Kinder und Erzieherinnen jetzt brauchen und welche Auswirkung das Geschehen auf sie hat. Für sie ist ein wesentliches Mehr an Arbeit entstanden, das kann in die Wiedergutmachung einbezogen werden.
Wenn Eltern erfahren, dass ihr Kind bei einer solchen Aktion beteiligt war, gibt es schnell Wut, Frust, aber auch Angst vor den finanziellen Folgen. Wie können Eltern damit umgehen?
Für Eltern ist es vor allem oft beschämend, wenn ihr Kind in so einer Situation erwischt wird. Aber man muss sich bewusst machen: Es ist die Aktion eines Kindes oder Jugendlichen. Wichtig ist, nicht mit Panik zu reagieren, auch nicht mit Beschimpfungen. Das Kind wird sich vermutlich sowieso schuldig fühlen. Wichtig ist es, die Bedeutung des Handelns verstehbar zu machen und das Geschehen aus der Opferperspektive anzugucken. Der Jugendliche muss verstehen, dass das, was er getan hat, eine Konsequenz hat. Er muss den Zusammenhang sehen zwischen Konsequenz und Wiedergutmachung. Aber das Wichtigste ist, dass trotz dieser Situation das „rote Band“zwischen Eltern und Kind bestehen bleibt. Wer dabei Hilfe braucht, kann sich Unterstützung bei den Beratungsstellen suchen.
Die Verursacher haben einen Schaden angerichtet, der die Eltern, aber auch die Allgemeinheit trifft. Wie können Eltern angemessene Strafen auswählen?
Dass es eine Konsequenz haben muss, ist klar. Aber eine Bestrafung beseitigt nicht das unerwünschte Verhalten, sondern unterdrückt oder verzögert das Wiederauftreten. Strafen sorgen dafür, dass ein Kind alternative Handlungsweisen sucht. Und sie stellen eine Herausforderung zwischen Erzieher und Kind dar. Nicht fernsehen zu dürfen, steht für ein Kind oft nicht in Zusammenhang mit einer unguten Situation, sondern erscheint wie Willkür durch einen Erwachsenen. Deshalb ist es so wichtig, die Kinder zum Beispiel an der Reinigung zu beteiligen.