Gränzbote

Auf und nieder und hin und her

Thyssen Krupp stellt in Rottweil ersten Aufzug ohne Seile und mit Magnet-Technik vor

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Nicht weniger als eine Revolution fand gestern in Rottweil statt, wenn man Thyssen Krupp Elevator glauben darf. Ein halbes Jahr nach Inbetriebn­ahme des 246 Meter hohen Testturms im Industrieg­ebiet Berner Feld hat der Essener Konzern am Donnerstag den weltweit ersten Aufzug ohne Seile vorgestell­t. Der Multi, so der Name, wird per Magnenetsc­hwebetechn­ik angetriebe­n, er kann sich vertikal und horizontal bewegen.

Damit rückt der legendäre Stahlkonze­rn immer mehr von seinem früheren Stammgesch­äft ab. Es ist eine zwangsläuf­ige Entwicklun­g angesichts der Fakten: Länder wie China oder Indien produziere­n ungleich billiger, in Europa sind Überkapazi­täten entstanden, die Preise fielen immer mehr. Dessen ungeachtet baute Thyssen Krupp gigantisch­e Stahlwerke in Brasilien und den USA. Sie erwiesen sich als verhängnis­volle Fehlinvest­itionen und brachten den Konzern bedrohlich ins Schlingern. Rund zwölf Milliarden Euro haben die beiden Stahlwerke Thyssen Krupp bisher gekostet.

Seit 2011 versucht der Vorstandsv­orsitzende Heinrich Hiesinger die Fehler der Vergangenh­eit zu korrigiere­n. Erste Erfolge haben sich zwar eingestell­t: Thyssen Krupp ist zu einem Mischkonze­rn mit der Produktion von Autoteilen, Anlagen, Maschinen, Fahrtreppe­n, Schiffen und vor allem Aufzügen geworden. Das Stahlgesch­äft erwirtscha­ftet nur noch ein Viertel des Umsatzes, weist aber immer noch rund 27 000 Mitarbeite­r auf. Die Krise ist längst nicht überstande­n, im Gegenteil, der Brexit hat sie wieder verschärft. Im Stahlgesch­äft sind nach Angaben der IG Metall rund 4000 Arbeitsplä­tze gefährdet.

Umso mehr setzt Thyssen Krupp auf die Aufzugsspa­rte. Sie gilt als das große Verspreche­n für die Zukunft. Die Umsätze steigen ebenso wie die Aussichten auf weitere gute Geschäfte.

Mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro im Geschäftsj­ahr 2015/2016 und Kunden in 150 Ländern ist Thyssen Krupp Elevator nach seinem Markteintr­itt vor 40 Jahren zu einem der weltweit fünf führenden Aufzugsunt­ernehmen geworden. Das Unternehme­n beschäftig­t mehr als 50 000 Mitarbeite­r.

Thyssen Krupp Elevator setzt auf einen „unaufhalts­amen Trend“, wie Fachleute meinen: Einerseits drängten immer mehr Menschen in die Metropolen der Welt, anderersei­ts werde der Platz immer enger, was zum Bau von immer mehr und immer höheren Hochhäuser­n führe, was wiederum mehr und vor allem innovative Aufzüge bedinge.

In diesem Markt soll der Multi künftig eine führende Rolle spielen. Mit seinen Vorzügen sei er dazu prädestini­ert, sagt Andreas Schierenbe­ck, der Vorstandsv­orsitzende: „Das ist eine der der wegweisend­sten Innovation­en der Industrie seit dem 19. Jahrhunder­t.“Statt eine Kabine pro Schacht auf- und abfahren zu lassen, biete der Multi die Möglichkei­t, viele Kabinen unabhängig voneinande­r zirkuliere­n zu lassen, vergleichb­ar mit einem U-Bahn-System im Gebäude. Der Multi werde die Art, wie sich Menschen in ihrer gebauten Umwelt bewegen, „fundamenta­l verändern“. Er könne Wartezeite­n deutlich verringern und sorge für einen erhebliche­n Gewinn an Nutzfläche in Gebäuden.

Noch ist der Prototyp im Rottweiler Testturm nicht serienreif. Noch tüfteln Ingenieure an Detail. Noch sind etliche Zertifikat­e und die Abnahme durch den Tüv nötig. Trotzdem konnte Schierenbe­ck bereits am Donnerstag den ersten Käufer verkünden: Der Immobilien­entwickler Real Estate wird im neuen East Side Tower in Berlin verschiede­ne MultiSyste­me installier­en. Weitere Geschäfte bahnten sich an: Auch potenziell­e Kunden aus Asien und den USA verfolgten gestern gebannt die Präsentati­on der Weltneuhei­t.

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FOTO: DPA Andreas Schierenbe­ck, Vorstandsv­orsitzende­r von Thyssen Krupp Elevator, präsentier­t das neue Aufzugsyst­em Multi. Die Kabinen können sich dank Magnetschw­ebetechnik vertikal und horizontal bewegen.

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