Deichdeppen in Pombeji
Vulkanausbruch, Lavastrom, Ascheregen und dann der Untergang einer blühenden antiken Stadt – wer als Zwölfjähriger in noch fernsehloser Zeit Edward Bulwer-Lyttons Roman „Die letzten Tage von Pompeji“verschlungen hat, ist für sein Leben geprägt. Gerade dieser Tage war das wieder zu spüren, als ein großes deutsches Online-Nachrichtenportal mit einem spektakulären Satelliten-Foto vom Vesuv in eine Geschichte über die immensen Gefahren einer neuen Eruption hineinzog. Aber so erhellend die Lektüre war, so sehr befremdete dann wieder einmal der folgende Rattenschwanz an Leser-Kommentaren, zu denen ja ausdrücklich aufgefordert wird. Dabei soll es hier jetzt nicht um den Inhalt gehen, sondern um die Form, also um Stil, Grammatik, Orthografie. Nur ein paar Stichproben? Da donnern
den Vesuv hinab, da wird das Baurecht strickt angewendet, da ist von Fotos die Rede, die der Mensch aus dem All schiessen kann, und da protzt einer mit seinem Englisch, ohne es richtig zu beherrschen:
No risc, no fun! Dass neben der korrekten deutschen Schreibweise von Pompeji auch die Versionen Pompei, Pombeji und Pomoei kursieren, verwundert dann schon nicht mehr. Und Kommas sind anscheinend ohnehin des Teufels.
Aber wer sondert solche Texte ab? Quacochicherichi, Ossifriese, Pixopax, Schlaueralsschlau, Mustermannfrau,
Klarafall oder Deichdepp heißen die Edelfedern. Und da sind wir beim Kern des Problems: Den ForumKommentatoren ist es in diesem Online-Portal freigestellt, sich Fantasienamen zu geben, also anonym zu bleiben. Quasi als Ermunterung, sich überhaupt zu äußern – und damit zum Renommee eines smarten Interaktionsmediums beizutragen, wohlgemerkt. Bei einem Zwang zur Nennung des vollen Namens würden wohl einige nicht in die Tasten greifen, weil sie wüssten, dass damit ihre Rechtschreibschwäche ans Tageslicht kommt. Auf Anfrage ist man ganz ehrlich: „Tipp-, Orthografie- oder Grammatikfehler verstoßen nicht gegen die Netiquette“. Will heißen: Beiträge werblichen, strafbaren, beleidigenden oder anderweitig inakzeptablen Inhalts werden zwar ausgesondert, aber bei der Form drückt man alle Augen zu. Was dann zur Folge hat, dass zwischen den meist sehr gut geschriebenen redaktionellen Texten und dem angehängten Wortmüll ein enormes Gefälle entsteht. Bei der Flut von Kommentaren aus dem Off wird ein Trimmen auf exakte sprachliche Form unmöglich. Gerne wird beschwichtigend auf die Geschwindigkeit der heutigen elektronischen Medien verwiesen. Sprich: Nicht aufregen, die Halbwertzeit von Geschriebenem wird eh immer kürzer! Kaum verfasst, schon wieder verschwunden! In postfaktischen Zeiten leben wir schon. Wollen wir jetzt noch postorthografische?