Ullrich beklagt Ungerechtigkeit: „Jeder hat zweite Chance verdient“
Deutschlands einziger Tour-deFrance-Sieger Jan Ullrich fühlt sich 20 Jahre nach seinem Triumph bei der Frankreich-Rundfahrt von der deutschen Öffentlichkeit und den Medien ungerecht behandelt. „Die Deutschen schauen am liebsten
zurück. Ich bin seit mehr als zehn Jahren raus, und immer noch wird bei mir über Doping geredet“, sagte Ullrich in einem „Bild“-Interview. Er habe Fehler gemacht, er habe seine Strafe bekommen, dafür gebüßt, sagte Ullrich: „Jeder hat doch auch eine zweite Chance verdient.“Als Beispiel für die vermeintlich unverhältnismäßige Kritik nannte Ullrich die Kontroverse um seinen Posten als Sportlicher Leiter bei „Rund um Köln“, den er aufgrund der Debatte wieder aufgab. „Ich habe es sein lassen, obwohl sich die Leute so gefreut haben. Die Vergangenheit holt dich hier immer ein“, sagte Ullrich. „Deshalb werde ich auch nicht als TV-Experte einsteigen. Der Profiradsport ist für mich gegessen. Ich kümmere mich lieber um die Jedermann-Fahrer. Das macht mir Spaß“, ergänzte der 43-Jährige, der 2006 tief gefallen war, nachdem seine Verwicklung in den Skandal um Dopingarzt Eufemiano Fuentes bekannt wurde. Der Internationale Sportgerichtshof CAS sperrte ihn 2012 für zwei Jahre. Auch eine Funktionärslaufbahn komme für ihn niemals infrage, sagte Ullrich, der sich einen Seitenhieb gegen den Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer nicht verkneifen konnte. „Ich habe keine Ahnung, wie man das Amt gut ausübt. Präsident Rudolf Scharping übrigens auch nicht.“Ullrich veranstaltet inzwischen weltweite Radsport-Camps und ist an einer Firma für Höhenkammern beteiligt. Mit seiner Familie ist er nach Mallorca umgezogen. Zu den Feiern zum Tour-Start in Düsseldorf ist er nicht eingeladen worden. Er werde am zweiten Tag an der Strecke in Korschenbroich stehen. „Erstmals seit meinem Karriereende“, wie Ullrich betonte. Von den aktuellen Fahrern hatte es dazu ein wenig Kritik gegeben. „In der Öffentlichkeit sind da noch enttäuschte Gefühle. Als Mensch tut mir Ullrich leid, weiter ausgeschlossen zu sein. Aber er hätte mit seiner Vergangenheit anders umgehen sollen. Viele nehmen ihm übel, dass er sich nie klar zum Thema Doping positioniert hat“, sagte etwa Topsprinter Marcel Kittel. SunwebFahrer Simon Geschke findet die Ausladung „nicht gut“und meinte: „Ich weiß gar nicht, ob das große Geständnis noch nötig wäre. Jeder, der ein bisschen vom Radsport versteht, weiß doch, was damals war.“Ein umfassendes Doping-Geständnis hatte Ullrich nie abgelegt, das werde es auch nicht mehr geben. „Ich rede nicht mehr über Doping. Ich schaue nach vorne“, sagte Ullrich, der mit seinem früheren Rivalen und ebenfalls wegen Doping gesperrten Lance Armstrong noch flüchtig in Kontakt steht. „Ich melde mich bei ihm, wenn ich in den USA ein Radcamp veranstalte. Beim letzten Treffen dachte ich: Hui, du bist auch nicht jünger geworden.“Ullrich sei ein „bisschen stolz“, dass er mit seinem Sieg 1997 den Radsport-Boom in Deutschland mit ausgelöst habe. „Auch die aktuellen Fahrer wie André Greipel sagen: Ich habe angefangen, weil ich Jan Ullrich damals im TV gesehen habe.“Ein potenzieller zweiter deutscher Tour-Sieger ist nach Ullrichs Meinung dennoch nicht in Sicht. „Wir haben zwar richtig gute Fahrer. Leider keinen, der stark genug für den Gesamtsieg ist. Das Problem: Wir stecken zu wenig Geld und Intensität in die Nachwuchsförderung.“(dpa/SID)