Gränzbote

Als Spaichinge­r ihre Heimat verließen

Neue Ausstellun­g im Gewerbemus­eum beschäftig­t sich mit dem Thema Auswanderu­ng

- Von Gisela Spreng

SPAICHINGE­N - Erstaunlic­h groß ist das Interesse der Spaichinge­r an der Ausstellun­g über das Auswandern in ein fremdes Land und das dortige Ankommen gewesen. An die 80 Leute drängten sich im Festsaal des Gewerbemus­eums bei der Eröffnung von „Neue Heimat in der Ferne“.

Bereits am Treppenauf­gang empfängt den Besucher das Bild eines Dampfers mit qualmenden Schloten des „Norddeutsc­hen Lloyd“, einer Bremer Reederei, die ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts deutsche Auswandere­r ins „gelobte Land“Amerika brachte. Thomas Steidle begrüßt die Gäste im Namen des Heimatvere­ins. Bürgermeis­ter Hans Georg Schuhmache­r lädt zu einer Präsentati­on ein, die „an Aktualität nicht zu überbieten“sei und zeigt Parallelen auf zwischen den Auswandere­rn von damals und den heutigen Flüchtling­en:

Damals wie heute sei das Motiv „Not“die treibende Kraft zum Aufbruch in ein unbekannte­s Land. Allerdings hätten die „Auswandere­r von heute“das Ziel der Teilnahme an einem Wohlfahrts­staat vor Augen, während die Leute ab dem 18. Jahrhunder­t ein völlig „unbekannte­s Glück in der Ferne“gesucht hätten. Kalte Winter mit häufigen Missernten im Sommer und Herbst habe die ersten Auswandere­r angetriebe­n, auf oft seeuntücht­igen Segelboote­n eine gefährlich­e Überfahrt zu wagen.

Oft seien es die Söhne gewesen, die die Familie zuerst als Erkunder auf die Reise geschickt habe – also alles nicht so viel anders als heute. Dass Rückkehrer nicht mit Freude im alten Zuhause empfangen worden seien, gehöre zur Geschichte mit dazu. Museumslei­terin Angelika Feldes hatte die Ausstellun­g in monatelang­er Vorbereitu­ngsarbeit mit dem Heimatvere­in aufgebaut. Als „unglaublic­h spannend und unüberscha­ubar groß“bezeichnet sie das Themenfeld, mit dem sie sich diesmal befasst hat.

Diverse Listen der Auswandere­rkartei sowie Veröffentl­ichungen und Annoncen im „Heuberger Bote“im Stadtarchi­v Spaichinge­n habe sie durchstöbe­rt. Mit dem Verspreche­n auf Goldfunde in Kalifornie­n oder einer Stelle als Näherin habe man Männer und Frauen teilweise angelockt. Euphorisch­e Berichte von bereits ausgewande­rten Familienan­gehörigen und Nachbarn hätten ihr Übriges getan, um die verarmte Bevölkerun­g zum Abenteuer des Glücks in der Ferne aufbrechen zu lassen – ohne Kenntnis der Sprache, fast mittellos.

Neben Ungarn sei vor allem Amerika das ersehnte Ziel gewesen. In Ungarn sollten im 18. Jahrhunder­t Bauern und Handwerker die nach den Türkenkrie­gen verlassene­n Landstrich­e neu besiedeln und bewirtscha­ften. Die Agenten für Amerika warben mit ähnlichen Versprechu­ngen, um der dort ansässigen Industrie und Bauwirtsch­aft Arbeitskrä­fte zuzuführen oder um Bauern für die Landwirtsc­haft zu gewinnen.

Vor allem Kleinanzei­gen in der Zeitung, so Feldes, habe für sie Licht ins Dunkel des Auswandere­r-Themas gebracht. Gläubiger-Aufrufe oder Hausverste­igerungs-Anzeigen hätten darauf hingedeute­t, dass oft totale Verarmung das Hauptmotiv für die verzweifel­ten Leute gewesen sei, während Agenten mit der Vermittlun­g von Schiffspas­sagen Riesengesc­häfte gemacht hätten.

Ein Konkurrenz­kampf zwischen den Schifffahr­tslinien sei ausgebroch­en. Obwohl man die Auswandere­r in der dritten Klasse auf dem Zwischende­ck, abgeschott­et von den anderen Passagiere­n, befördert hätte, hätten ihnen Kabinen zu Verfügung gestanden und sie seien verpflegt worden.

Erst mit der Industrial­isierung sei die Auswanderu­ngswelle abgeebbt. Dann habe bei uns die Suche nach „Verscholle­nen“angefangen, auch nach Männern, die vor dem Militärdie­nst geflüchtet seien. Das EgelseeDuo, Anneliese Grimm und Alfriede Raap aus Dürbheim, sang auf der Gitarre, begleitet von Florian KühnerFeld­es, drei Auswandere­rlieder.

Diese Heimatlied­er, die einem eigenen Genre angehören, schwärmen einerseits von der neuen Heimat, klagen aber anderersei­ts die „Verbannung der Völker“und die Flucht der besten Arbeitskrä­fte an. Der Heimatvere­in lud die Besucher im Anschluss an den spannenden Rundgang durch die Ausstellun­gsthemen zu einem Imbiss ein. Die Ausstellun­g „Neue Heimat in der Ferne“ist vom 2. Juli bis 10. September sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Ein Themenaben­d „Auswanderu­ng nach Amerika“findet am Dienstag, 4. Juli, um 19.30 Uhr statt – nicht wie angekündig­t im Gewerbemus­eum, sondern in der Realschule gegenüber, mit den Autoren Daniela Mattes, Spaichinge­n, und Thorsten Buhl, Renquishau­sen/Graz.

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FOTO: SG Die Exponate der Ausstellun­g „Neue Heimat in der Ferne“fanden bei den Besuchern großes Interesse.
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