Gränzbote

Am Rande der Gesellscha­ft

- Von Ulrich Mendelin

Man stelle sich vor: Tausende Rechtsextr­emisten ziehen vermummt durch eine deutsche Stadt, randaliere­n, werfen Pflasterst­eine. Dass sie kommen würden, war bekannt. Händler hängen Solidaritä­tsplakate in ihre Schaufenst­er, nicht weil sie tatsächlic­h derselben Meinung wären wie die Vermummten, sondern weil sie Angst um ihre Fenstersch­eiben haben, vielleicht auch Angst vor Brandsätze­n. Und die Deutsche Bahn hat Sonderzüge eingesetzt, um die Radikalen an den Ort des Geschehens zu bringen.

Undenkbar in Deutschlan­d? Erfreulich­erweise ja – aber nur, weil es in dem Gedankensp­iel um Rechtsextr­eme geht. Für Linksextre­me gelten andere Regeln.

Dabei herrscht, ebenso wie am äußersten rechten Rand, auch am äußersten linken Rand der Gesellscha­ft ein eher taktisches Verhältnis zur Frage, ob Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzu­ng von Zielen sei. Von Intoleranz, ja Hass gegenüber jenen, die eine abweichend­e Meinung vertreten, ganz zu schweigen.

All das ist eigentlich hinlänglic­h bekannt. Es ist nachzulese­n in jedem Verfassung­sschutzber­icht, und wer praktische Anschauung­sbeispiele sucht, muss nur an einem 1. Mai nach Berlin-Kreuzberg fahren. Gewalt gegen Menschen, gegen Polizisten nämlich, gehört dort zur Folklore.

Dass es links wie rechts außen einen Bodensatz an Unbelehrba­ren gibt, damit kann ein Staat umgehen. Bedenklich­er ist die mehr oder weniger heimliche Zustimmung, die die Vermummten bei einem gewissen Teil jener Menschen genießen, die sich als kritische Zivilgesel­lschaft begreifen. Wenn der Organisato­r einer Demonstrat­ion sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht kategorisc­h von Gewalt distanzier­en mag, dann müssten vor allem jene aufschreie­n, die friedlich demonstrie­ren wollen – und die von den Krawallmac­hern vereinnahm­t werden, weil Steinewerf­er und Brandstift­er den Protest delegitimi­eren.

Dabei ist friedliche­r Protest richtig und wichtig. Doch die Ziele der Mehrheit der Anti-G20-Demonstran­ten sind den Vermummten ganz offensicht­lich völlig egal. u.mendelin@schwaebisc­he.de

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