Am Rande der Gesellschaft
Man stelle sich vor: Tausende Rechtsextremisten ziehen vermummt durch eine deutsche Stadt, randalieren, werfen Pflastersteine. Dass sie kommen würden, war bekannt. Händler hängen Solidaritätsplakate in ihre Schaufenster, nicht weil sie tatsächlich derselben Meinung wären wie die Vermummten, sondern weil sie Angst um ihre Fensterscheiben haben, vielleicht auch Angst vor Brandsätzen. Und die Deutsche Bahn hat Sonderzüge eingesetzt, um die Radikalen an den Ort des Geschehens zu bringen.
Undenkbar in Deutschland? Erfreulicherweise ja – aber nur, weil es in dem Gedankenspiel um Rechtsextreme geht. Für Linksextreme gelten andere Regeln.
Dabei herrscht, ebenso wie am äußersten rechten Rand, auch am äußersten linken Rand der Gesellschaft ein eher taktisches Verhältnis zur Frage, ob Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung von Zielen sei. Von Intoleranz, ja Hass gegenüber jenen, die eine abweichende Meinung vertreten, ganz zu schweigen.
All das ist eigentlich hinlänglich bekannt. Es ist nachzulesen in jedem Verfassungsschutzbericht, und wer praktische Anschauungsbeispiele sucht, muss nur an einem 1. Mai nach Berlin-Kreuzberg fahren. Gewalt gegen Menschen, gegen Polizisten nämlich, gehört dort zur Folklore.
Dass es links wie rechts außen einen Bodensatz an Unbelehrbaren gibt, damit kann ein Staat umgehen. Bedenklicher ist die mehr oder weniger heimliche Zustimmung, die die Vermummten bei einem gewissen Teil jener Menschen genießen, die sich als kritische Zivilgesellschaft begreifen. Wenn der Organisator einer Demonstration sich auch auf mehrfache Nachfrage nicht kategorisch von Gewalt distanzieren mag, dann müssten vor allem jene aufschreien, die friedlich demonstrieren wollen – und die von den Krawallmachern vereinnahmt werden, weil Steinewerfer und Brandstifter den Protest delegitimieren.
Dabei ist friedlicher Protest richtig und wichtig. Doch die Ziele der Mehrheit der Anti-G20-Demonstranten sind den Vermummten ganz offensichtlich völlig egal. u.mendelin@schwaebische.de