Der Königsweg
Lehramtsstudenten der PH Weingarten unterstützen beim „Paternoster Volunteer-Projekt“Schüler in Südafrika
WEINGARTEN - Für die Mutter dreier Söhne sei Selina Pfender die „letzte Hoffnung“, wie die 23-Jährige erzählt. „Zwei ihrer Söhne haben die Schule nicht geschafft“, sagt Selina. „Die Schule“, das ist die St. Augustine Primary School im südafrikanischen Paternoster, an der Selina Pfender als Ehrenamtliche Lehrer und Schüler unterstützt.
Die Mutter hofft, der dritte Sohn werde es einmal besser haben, die Schule beenden, eine richtige Arbeit und eine Zukunft haben, sagt Selina Pfender weiter. Für dieses Ziel engagiert sich die Lehramtsstudentin der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Selina Pfender ist Teilnehmerin des „Paternoster Volunteer-Projekts“, bei dem seit Oktober 2016 bislang neun Pädagogikstudenten der PH teilgenommen haben. Dieses Jahr Jürgen Belgrad, Pädagogischer Projektbegleiter folgen noch sechs weitere Volontäre. Sie möchten die Kinder und Jugendlichen der Schule durch Nachmittagsbetreuung und Unterstützung der unterbesetzten Lehrerschaft vor einem Leben auf der Straße bewahren. Finanziert und koordiniert wird das Projekt durch die Stiftung „Kinder fördern – Zukunft stiften“aus Stuttgart. Pädagogisch ausgearbeitet und begleitet wird es von der PH Weingarten.
Dieses Betreuungsangebot an der Schule in Paternoster gab es bis vor Kurzem noch nicht. Die Heranwachsenden haben Unterricht bis 14 Uhr und ihre Zeit danach meist auf der Straße verbracht. Das „Paternoster Volunteer-Projekt“möchte diese, in Zusammenarbeit mit der dort ansässigen „Paternoster People Partnership“, mit Angeboten am Nachmittag auffangen. „Wir bieten verschiedene AGs an“, erzählt die Volontärin Joana Kilchert am Telefon, 13 000 Kilometer von der Heimat entfernt. „Außerdem erstellen wir gemeinsam eine Schülerzeitung, machen Sport und Karate und spielen Theater.“
Der Tag beginne an der Schule mit rund 200 Kindern zwischen sechs und 13 Jahren um 7.45 Uhr. „Ein Teil der Schüler ist zuverlässig regelmäßig da, ein anderer Teil nicht“, sagt die 25-Jährige. Von ihnen hören die ehrenamtlichen Betreuer die Ausreden, man habe sich „gestern die Haare gewaschen“oder „das Zimmer aufgeräumt“.
Branche bricht weg
Es hat also seine Gründe, warum Stiftung und PH sich das Fischerdörfchen in der Provinz Westkap ausgesucht haben. Paternoster liegt rund 150 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Kapstadt. Friedvoll ist das Örtchen an der Westküste vor dem Südatlantik – aber auch gebeutelt. Denn die Einwohner leben größtenteils von der Hummer- und Seehechtfischerei. Doch diese Branche steht vor einer schweren Zukunft. Die Fischfangquoten in Paternoster sinken stetig, das Meer vor der Küste ist leergefischt. Die Bürger des Dorfes müssen sich neue Einnahmequellen suchen. Doch das gelingt bislang nur den Wenigsten.
Vor allem den Kindern des Ortes fehlt eine Perspektive. Der Schulbesuch ist für viele Familien zweitrangig, die Unterstützung beim Broterwerb durch die Kinder wichtiger, Probleme werden mit Drogen und Alkohol gelöst. „Der ist in Paternoster relativ günstig“, sagt Jürgen Belgrad, ehemaliger Professor für Literaturwissenschaft und -didaktik an der PH Weingarten. Er begleitet das Projekt pädagogisch. „Die Menschen bekommen dort früh Kinder. Diese wachsen bei einem Elternteil oder den Großeltern auf.“Zuhause gebe es wenig Essen. Häufig werde der Hunger mit Süßigkeiten oder Chips gestillt. Manchmal verkauften die Kinder aber diese auch, „um ihre Lehrer zu bezahlen“, wie Belgrad erzählt.
Ein anderer Schwerpunkt der studentischen Kräfte liegt daher auf der Vermittlung der englischen Sprache. „Das ist die wichtigste Form der Emanzipation von dem Fischerdorf “, erklärt Belgrad. „Englisch ist der Königsweg zum beruflichen und schulischen Erfolg.“Die Sprache sei die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft in Paternoster. Dafür lernen die Projektteilnehmer ein neu entwickeltes didaktisches Instrumentarium. Das sogenannte gestische Vorlesen soll es den Schülern erleichtern, die neue Sprache zu lernen. Dabei werden die Sätze in leichter Sprache vorgetragen, schwierige Vokabeln durch einfache Worte ersetzt. „Außerdem setzen die Studenten beim szenischen Vorlesen verstärkt Mimik und Gestik ein. Die fuchteln richtig herum.“
Man brauche für das gestische Vorlesen vier Hände: „Eine, um das Buch zu halten, zwei, um zu gestikulieren und eine weitere, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen“, sagt Belgrad.
Die Vorbereitung auf das Projekt in Paternoster dauert etwa zwei Monate. „Die potenziellen Teilnehmer treffen sich zunächst an einer Stunde in der Woche. Dort bekommen sie allgemeine Informationen. Die Studenten befinden sich alle in der Endphase ihres Studiums und stehen kurz vor ihrem Referendariat“, sagt Belgrad. Laut Joana tragen die Vorbereitung und die Arbeit vor Ort Früchte. „Ich höre die Kinder sprechen und vorlesen, sie trauen sich viel mehr zu und sind besser geworden“, erzählt Joana. „Ich weiß es auch von den Lehrern, die immer wieder vom neuen Können und Selbstvertrauen ihrer Schüler überrascht werden.“
Joana beobachtet nicht nur die sprachliche, sondern auch die persönliche Entwicklung der Kinder. Sie höre „es in den Zukunftswünschen der Kinder, sie fangen an zu träumen, beispielsweise Schaupieler zu werden. Sie träumen wie es ein jedes Kind sollte.“Die Wirksamkeit der Initiative solle bald auch wissenschaftlich erhoben werden.
Das Projekt wächst. Gestartet ist es als Möglichkeit für Pädagogikund Sportstudenten, bald können auch Akademiker anderer Fachrichtungen, wie beispielsweise der Sozialen Arbeit, daran teilnehmen. „Wir möchten das Leistungsspektrum des Projekts erweitern“, sagt „Kinder fördern – Zukunft stiften“Vorstand Christian Neuber.
Geplant ist zudem eine Paternoster-Konferenz mit Professoren aus dem südafrikanischen Stellenbosch, der Hochschule aus Weingarten sowie der Dualen Hochschule/Stuttgart. „Auch Vertreter der farbigen Gemeinschaft aus Kirche und von Unternehmen nehmen daran teil. Gemeinsam möchten sie überlegen, welche Kompetenzen den Kindern vermittelt werden sollen, um zukünftig in Paternoster überleben zu können.“Im Frühjahr 2018 wolle man mit dem „Paternoster VolunteerProjekt“zudem internationaler werden. „Eine Idee ist es, mit Studenten aus Südafrika ein vergleichbares Projekt in Deutschland zu organisieren“, kündigt Neuber an.
„Die Vermittlung der englischen Sprache ist die wichtigste Form der Emanzipation von dem Fischerdorf.“
Theresia Bauer (Grüne) reist an
Ende Oktober wird sich die badenwürttembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) mit einer Delegation von 17 Hochschulrektoren ein Bild vor Ort machen. Selina wird da wieder zu Hause in Deutschland sein. Joana wird Bauer noch empfangen. Sie reist erst im Laufe des Oktobers zurück nach Oberschwaben – nicht ohne Wehmut. „Vermissen werde ich alles. Das Gefühl, etwas zu bewirken, die Kinder, die – so unerzogen sie sind – doch so viel Zuwendung brauchen, ja verdienen und so viel zurückgeben können, wenn man ihnen nur mal zuhört.“Für Joana ist der Ort ein „zweites Zuhause geworden“. „Lange werde ich nicht fort sein aus Paternoster“, sagt sie. Das „Paternoster Volunteer-Projekt“ist für seine Arbeit auf Spenden angewiesen. So wird beispielsweise Geld für das Gehalt eines Lehrers benötigt. Spendenkonto: UBS Stuttgart IBAN DE60502200852484841010 BIC/SWIFT: SMHBDEFF. Weitere Informationen zum Projekt gibt es im Internet unter www.stiftung-kinder-foerdern.de