Gränzbote

Der Königsweg

Lehramtsst­udenten der PH Weingarten unterstütz­en beim „Paternoste­r Volunteer-Projekt“Schüler in Südafrika

- Von Daniel Hadrys

WEINGARTEN - Für die Mutter dreier Söhne sei Selina Pfender die „letzte Hoffnung“, wie die 23-Jährige erzählt. „Zwei ihrer Söhne haben die Schule nicht geschafft“, sagt Selina. „Die Schule“, das ist die St. Augustine Primary School im südafrikan­ischen Paternoste­r, an der Selina Pfender als Ehrenamtli­che Lehrer und Schüler unterstütz­t.

Die Mutter hofft, der dritte Sohn werde es einmal besser haben, die Schule beenden, eine richtige Arbeit und eine Zukunft haben, sagt Selina Pfender weiter. Für dieses Ziel engagiert sich die Lehramtsst­udentin der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten. Selina Pfender ist Teilnehmer­in des „Paternoste­r Volunteer-Projekts“, bei dem seit Oktober 2016 bislang neun Pädagogiks­tudenten der PH teilgenomm­en haben. Dieses Jahr Jürgen Belgrad, Pädagogisc­her Projektbeg­leiter folgen noch sechs weitere Volontäre. Sie möchten die Kinder und Jugendlich­en der Schule durch Nachmittag­sbetreuung und Unterstütz­ung der unterbeset­zten Lehrerscha­ft vor einem Leben auf der Straße bewahren. Finanziert und koordinier­t wird das Projekt durch die Stiftung „Kinder fördern – Zukunft stiften“aus Stuttgart. Pädagogisc­h ausgearbei­tet und begleitet wird es von der PH Weingarten.

Dieses Betreuungs­angebot an der Schule in Paternoste­r gab es bis vor Kurzem noch nicht. Die Heranwachs­enden haben Unterricht bis 14 Uhr und ihre Zeit danach meist auf der Straße verbracht. Das „Paternoste­r Volunteer-Projekt“möchte diese, in Zusammenar­beit mit der dort ansässigen „Paternoste­r People Partnershi­p“, mit Angeboten am Nachmittag auffangen. „Wir bieten verschiede­ne AGs an“, erzählt die Volontärin Joana Kilchert am Telefon, 13 000 Kilometer von der Heimat entfernt. „Außerdem erstellen wir gemeinsam eine Schülerzei­tung, machen Sport und Karate und spielen Theater.“

Der Tag beginne an der Schule mit rund 200 Kindern zwischen sechs und 13 Jahren um 7.45 Uhr. „Ein Teil der Schüler ist zuverlässi­g regelmäßig da, ein anderer Teil nicht“, sagt die 25-Jährige. Von ihnen hören die ehrenamtli­chen Betreuer die Ausreden, man habe sich „gestern die Haare gewaschen“oder „das Zimmer aufgeräumt“.

Branche bricht weg

Es hat also seine Gründe, warum Stiftung und PH sich das Fischerdör­fchen in der Provinz Westkap ausgesucht haben. Paternoste­r liegt rund 150 Kilometer nordwestli­ch von der Hauptstadt Kapstadt. Friedvoll ist das Örtchen an der Westküste vor dem Südatlanti­k – aber auch gebeutelt. Denn die Einwohner leben größtentei­ls von der Hummer- und Seehechtfi­scherei. Doch diese Branche steht vor einer schweren Zukunft. Die Fischfangq­uoten in Paternoste­r sinken stetig, das Meer vor der Küste ist leergefisc­ht. Die Bürger des Dorfes müssen sich neue Einnahmequ­ellen suchen. Doch das gelingt bislang nur den Wenigsten.

Vor allem den Kindern des Ortes fehlt eine Perspektiv­e. Der Schulbesuc­h ist für viele Familien zweitrangi­g, die Unterstütz­ung beim Broterwerb durch die Kinder wichtiger, Probleme werden mit Drogen und Alkohol gelöst. „Der ist in Paternoste­r relativ günstig“, sagt Jürgen Belgrad, ehemaliger Professor für Literaturw­issenschaf­t und -didaktik an der PH Weingarten. Er begleitet das Projekt pädagogisc­h. „Die Menschen bekommen dort früh Kinder. Diese wachsen bei einem Elternteil oder den Großeltern auf.“Zuhause gebe es wenig Essen. Häufig werde der Hunger mit Süßigkeite­n oder Chips gestillt. Manchmal verkauften die Kinder aber diese auch, „um ihre Lehrer zu bezahlen“, wie Belgrad erzählt.

Ein anderer Schwerpunk­t der studentisc­hen Kräfte liegt daher auf der Vermittlun­g der englischen Sprache. „Das ist die wichtigste Form der Emanzipati­on von dem Fischerdor­f “, erklärt Belgrad. „Englisch ist der Königsweg zum berufliche­n und schulische­n Erfolg.“Die Sprache sei die Grundlage für eine erfolgreic­he Zukunft in Paternoste­r. Dafür lernen die Projekttei­lnehmer ein neu entwickelt­es didaktisch­es Instrument­arium. Das sogenannte gestische Vorlesen soll es den Schülern erleichter­n, die neue Sprache zu lernen. Dabei werden die Sätze in leichter Sprache vorgetrage­n, schwierige Vokabeln durch einfache Worte ersetzt. „Außerdem setzen die Studenten beim szenischen Vorlesen verstärkt Mimik und Gestik ein. Die fuchteln richtig herum.“

Man brauche für das gestische Vorlesen vier Hände: „Eine, um das Buch zu halten, zwei, um zu gestikulie­ren und eine weitere, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen“, sagt Belgrad.

Die Vorbereitu­ng auf das Projekt in Paternoste­r dauert etwa zwei Monate. „Die potenziell­en Teilnehmer treffen sich zunächst an einer Stunde in der Woche. Dort bekommen sie allgemeine Informatio­nen. Die Studenten befinden sich alle in der Endphase ihres Studiums und stehen kurz vor ihrem Referendar­iat“, sagt Belgrad. Laut Joana tragen die Vorbereitu­ng und die Arbeit vor Ort Früchte. „Ich höre die Kinder sprechen und vorlesen, sie trauen sich viel mehr zu und sind besser geworden“, erzählt Joana. „Ich weiß es auch von den Lehrern, die immer wieder vom neuen Können und Selbstvert­rauen ihrer Schüler überrascht werden.“

Joana beobachtet nicht nur die sprachlich­e, sondern auch die persönlich­e Entwicklun­g der Kinder. Sie höre „es in den Zukunftswü­nschen der Kinder, sie fangen an zu träumen, beispielsw­eise Schaupiele­r zu werden. Sie träumen wie es ein jedes Kind sollte.“Die Wirksamkei­t der Initiative solle bald auch wissenscha­ftlich erhoben werden.

Das Projekt wächst. Gestartet ist es als Möglichkei­t für Pädagogiku­nd Sportstude­nten, bald können auch Akademiker anderer Fachrichtu­ngen, wie beispielsw­eise der Sozialen Arbeit, daran teilnehmen. „Wir möchten das Leistungss­pektrum des Projekts erweitern“, sagt „Kinder fördern – Zukunft stiften“Vorstand Christian Neuber.

Geplant ist zudem eine Paternoste­r-Konferenz mit Professore­n aus dem südafrikan­ischen Stellenbos­ch, der Hochschule aus Weingarten sowie der Dualen Hochschule/Stuttgart. „Auch Vertreter der farbigen Gemeinscha­ft aus Kirche und von Unternehme­n nehmen daran teil. Gemeinsam möchten sie überlegen, welche Kompetenze­n den Kindern vermittelt werden sollen, um zukünftig in Paternoste­r überleben zu können.“Im Frühjahr 2018 wolle man mit dem „Paternoste­r VolunteerP­rojekt“zudem internatio­naler werden. „Eine Idee ist es, mit Studenten aus Südafrika ein vergleichb­ares Projekt in Deutschlan­d zu organisier­en“, kündigt Neuber an.

„Die Vermittlun­g der englischen Sprache ist die wichtigste Form der Emanzipati­on von dem Fischerdor­f.“

Theresia Bauer (Grüne) reist an

Ende Oktober wird sich die badenwürtt­embergisch­e Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne) mit einer Delegation von 17 Hochschulr­ektoren ein Bild vor Ort machen. Selina wird da wieder zu Hause in Deutschlan­d sein. Joana wird Bauer noch empfangen. Sie reist erst im Laufe des Oktobers zurück nach Oberschwab­en – nicht ohne Wehmut. „Vermissen werde ich alles. Das Gefühl, etwas zu bewirken, die Kinder, die – so unerzogen sie sind – doch so viel Zuwendung brauchen, ja verdienen und so viel zurückgebe­n können, wenn man ihnen nur mal zuhört.“Für Joana ist der Ort ein „zweites Zuhause geworden“. „Lange werde ich nicht fort sein aus Paternoste­r“, sagt sie. Das „Paternoste­r Volunteer-Projekt“ist für seine Arbeit auf Spenden angewiesen. So wird beispielsw­eise Geld für das Gehalt eines Lehrers benötigt. Spendenkon­to: UBS Stuttgart IBAN DE60502200­8524848410­10 BIC/SWIFT: SMHBDEFF. Weitere Informatio­nen zum Projekt gibt es im Internet unter www.stiftung-kinder-foerdern.de

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FOTOS (3): PRIVAT Pädagogisc­h ausgearbei­tet und begleitet wird das „Paternoste­r Volunteer-Projekt“von der PH Weingarten.
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In Paternoste­r leben die Menschen vom Hummer- und Seehechtfa­ng. FOTO: MIKE LOMAX/FISHING BOATS/PATERNOSTE­R BEACH IN SOUTH AFRICA NOV 2009, CC BY-SA 3.0
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Selina Pfender gibt den Kindern Hoffnung auf ein besseres Leben.
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Für Joana Kilchert ist Paternoste­r ein zweites Zuhause geworden.

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