Bröckelndes Bekenntnis zum Freihandel
Kanzlerin Merkel wünscht sich Kooperation der Staaten, doch die haben eigene Interessen
HAMBURG - Kooperation statt nationale Alleingänge: Darauf sollen sich nach dem Willen der Kanzlerin die G20 bei ihrem Gipfeltreffen in Hamburg verständigen. Doch die Allianz für den Freihandel bröckelt. Nicht allein durch die USA.
Dass sie mit schwierigen Verhandlungen in den kommenden Tagen rechnet, daraus hat Angela Merkel (CDU) nie einen Hehl gemacht. Zu den schwierigsten Gesprächspartnern in Sachen Freihandel und Klimaschutz gehört zweifellos USPräsident Donald Trump. Seine Devise „America First“ist eine deutliche Abkehr vom globalisierten Handel hin zu nationalen Alleingängen. Die Absage an das Pariser Weltklimaabkommen oder die Importbeschränkungen für europäische Stahlhersteller sind wohl nur erste Schritte der neuen US-Administration.
Trump ist nicht der einzige Staatenlenker, der Wettbewerbern Handelshemmnisse auferlegt. Die chinesische Regierung plädiert zwar für mehr Freihandel und will auch Geschäfte für ausländische Investoren in China erleichtern. Diese Haltung wurde im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg bekräftigt. Zugleich sollen aber Importwaren die Anforderungen chinesischer Gesetze und Standards erfüllen. Investoren wird das vermutlich abschrecken.
Ohnehin ist zweifelhaft, ob die Auflagen erfüllt werden können. Experten sprechen von einem „ökonomischen Nationalismus“, den China betreibt. Chinesische Firmen sollen von der Globalisierung profitieren. Und China macht in Hamburg klar, dass es eine 19:1-Erklärung zum Klimaschutz ohne die USA nicht mittrage. Trump in die Schmuddelecke zu schieben – das Risiko will Peking nicht eingehen, braucht man den USPräsidenten doch dringend, um die Nordkorea-Krise einzudämmen.
Kritik an Sanktionen
Rechtzeitig vor seiner Ankunft in Hamburg hat der russische Präsident Wladimir Putin betont, wie wichtig der Freihandel für sein Land ist. Der Vorstoß hat vor allem politische Gründe. Zum einen macht Putin damit US-Präsident Trump eine klare Ansage. Zum anderen nutzt er die Gelegenheit, Kritik an den Sanktionen gegen Russland zu üben. Vermutlich wird er Zustimmung von europäischen Unternehmen bekommen. Denn die Sanktionen erschweren die Geschäfte mit Russland. Doch solange der Ukraine-Konflikt nicht gelöst ist, werden die EU-Handelsbeschränkungen aufrechterhalten.
Viele Barrieren gibt es auch beim Handel mit Indien. Wer etwa Neuwagen nach Indien exportiert, der muss mit heftigen Aufschlägen und Zöllen rechnen. Die EU drängt seit Jahren auf ein Freihandelsabkommen mit dem Schwellenland. Allerdings sieht die indische Regierung eine große Gefahr für die heimische Produktion durch ausländische Firmen. Auch dank der hohen Zölle haben Unternehmen aus dem Ausland häufig eigene Standorte in Indien aufgebaut. Die meisten Probleme gibt es vor allem in der Automobilbranche und in der Pharmaindustrie. Die Regierung besteht beispielsweise auf strengen Gesetzen für Nachahmermedikamente, sogenannte Generika.
In die Reihe der Blockierer reihen sich zudem immer wieder SaudiArabien, Brasilien, Südafrika ein. Wenn es um Steueroasen und Möglichkeiten der Steuervermeidung geht, taucht in vielen Studien auch Großbritannien auf. Mit dem Brexit wird es jedoch vermutlich kaum Änderungen bei dem Thema geben.
Wie gefährlich der Protektionismus zu werden droht, zeigen etliche Appelle der vergangenen Tage. Merkel nannte in ihrer Regierungserklärung zum G20-Gipfel keine Namen. Aber ihre Ansage war deutlich. „Wer glaubt, die Probleme dieser Welt mit Isolationismus und Protektionismus lösen zu können, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum“, sagte Merkel im Bundestag. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert die mächtigsten Industrieund Schwellenländer auf, den freien Handel zu unterstützen.
Wenn man gegeneinander arbeite, koste das Wohlstand, Jobs und Aufstiegschancen - überall auf der Welt, erklärte BDI-Präsident Dieter Kempf. Er hofft auf klare und verlässliche Regeln für die Wirtschaft. Die B20, der Wirtschaftsdialog der G20, haben sich bei ihrem eigenen Wirtschaftsgipfel ebenso auf diese Botschaft konzentriert. Mehr als 700 Mitglieder hat das Gremium. Unterstützt wird es von internationalen Organisationen wie der Weltbank, der OECD oder der Welthandelsorganisation (WTO).
Top-Ökonomen wie der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), Marcel Fratzscher, messen den G20 gerade in Krisenzeiten wie diesen, eine wichtige Bedeutung zu. Die Weltfinanzkrise 2007 und 2008 hat dies eindrücklich gezeigt. Ob die Staatenlenker diese Chancen nutzen, ist fraglich. Derzeit prallen zu viele unterschiedliche Interessen aufeinander. Einen gemeinsamen Nenner zu finden, wird in den kommenden Tagen noch viel Verhandlungsgeschick erfordern.