Gränzbote

Italien prallt mit Hilferuf ab

Keine zusätzlich­en Häfen für Flüchtling­e – Deutschlan­d stockt Kontingent auf – Mehr Druck auf NGO-Schiffe

- Von Annette Reuther und Martina Herzog

TALLINN/ROM (dpa/AFP) - Neuer Rückschlag für Italien: Gerettete Migranten aus dem Mittelmeer sollen nicht in andere europäisch­e Häfen gebracht werden. Die Regierung in Rom blitzte am Donnerstag bei einem Innenminis­tertreffen in Tallinn mit der Forderung ab, Schiffe mit Migranten auch in andere EU-Häfen umzuleiten. „Das unterstütz­en wir nicht“, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) am Donnerstag in der estnischen Hauptstadt bei einem Treffen mit seinen europäisch­en Kollegen.

Neben Deutschlan­d lehnten auch andere EU-Staaten Forderunge­n ab, dass im Mittelmeer gerettete Migranten nicht nur in italienisc­he Häfen gebracht werden sollten. Rückendeck­ung erhielt Rom dagegen bei Plänen zur stärkeren Kontrolle von privaten Seenotrett­ern. Deutschlan­d versprach zudem, pro Monat ein paar Hundert zusätzlich­e Migranten aus Italien aufzunehme­n.

Der estnische Minister Andres Anvelt versichert­e: „Italien ist nicht alleine und wird nicht alleine handeln müssen.“EU-Innenkommi­ssar Dimitris Avramopoul­os erklärte: „Alle Mitgliedss­taaten und natürlich die Kommission unterstütz­en Italien ausdrückli­ch in dieser schwierige­n (…) Zeit.“Schon ab der kommenden Woche sollten Pläne zur Entlastung Italiens weiter vorangetri­eben werden.

Vorwürfe gegen Seenotrett­er

Italien will Hilfsorgan­isationen, die für gut ein Drittel der Rettungsei­nsätze vor Libyen stehen, stärker überwachen. Rom droht ihnen, die Einfahrt in Häfen zu verweigern, wenn sie einen von Italien ausgearbei­teten Verhaltens­kodex nicht unterzeich­nen. Der elf Punkte umfassende Plan wurde am Donnerstag den EU-Innenminis­tern vorgelegt (siehe Kasten rechts).

Den Rettern wird immer wieder vorgeworfe­n, mit ihren Einsätzen Schleppern in die Hände zu spielen. Der EU-Grenzschut­zagentur Frontex zufolge rücken die privaten Retter immer näher an libysche Hoheitsgew­ässer heran.

Auch wenn für Vorwürfe, einige Hilfsorgan­isationen stünden mit Schleusern in Libyen in Kontakt, keine Belege bekannt sind, sagte de Maizière: „Wenn Schiffe im libyschen Gewässer ihre Scheinwerf­er anschalten und genau in dem Moment werden auch Flüchtling­e losgeschic­kt, dann ist das das Gegenteil von „Schleusern das Handwerk legen“– und das soll in Zukunft nicht mehr stattfinde­n.“

Hilfsorgan­isationen wie die Jugend rettet erläuterte­n, dass ein Schiff nachts seine Lichter anschalten muss, um einen Zusammenst­oß zu vermeiden. Ärzte ohne Grenzen erklärte, die Rettungsei­nsätze bewegten sich ohnehin in einem von den italienisc­hen Behörden und internatio­nalem Recht vorgegeben­en Rahmen.

Über das nordafrika­nische Bürgerkrie­gsland Libyen kommen die meisten Migranten nach Europa, viele von ihnen aus Ländern mit geringen Chancen auf Asyl. Mehr als 85 000 Menschen sind bisher in diesem Jahr über diese zentrale Mittelmeer­route nach Italien gelangt. Die Bundesregi­erung will ihr Kontingent an umgesiedel­ten Migranten aus Italien nun erhöhen. Es soll von 500 im Monat auf 750 aufgestock­t werden, sagte der Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, Michael Roth (SPD), nach einer internatio­nalen Migrations­konferenz in Rom.

Bei der Konferenz in Rom mit Transit- und Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e wurde zudem eine gemeinsame Erklärung unterschri­eben; afrikanisc­hen Staaten wurden mehr Hilfen zugesagt, damit die Migranten erst gar nicht Libyen erreichen.

Der italienisc­he Innenminis­ter Marco Minniti kündigte an, dass Italien weiter darauf dringen will, dass Rettungssc­hiffe der EU-Mission Triton Häfen außerhalb Italiens ansteuern sollen. „Darüber gab es vorher Uneinigkei­t und es gibt auch weiterhin Uneinigkei­t“, räumte er ein. Die Bundesregi­erung befürchtet, dass solch ein Schritt noch mehr Migranten zur Überfahrt ermutigen könnte.

Ablehnung aus Spanien

Auch andere Länder stellten sich gegen die Forderung, ihre Häfen für Schiffe mit Geretteten zu öffnen. Die spanischen Häfen stünden aufgrund der Migration über das westliche Mittelmeer derzeit bereits unter großem Druck, sagte Innenminis­ter Juan Ignacio Zoido. Aus Frankreich hieß es: „Der Innenminis­ter hat mit Nein geantworte­t. Wir wollen das nicht machen“, sagte Regierungs­sprecher Christophe Castaner im Sender LCI.

Der luxemburgi­sche Minister Jean Asselborn hält die Idee für nicht praktikabe­l: „Wenn ein Schiff kommt mit Menschen an Bord, die leiden, sehe ich schwer ein, dass man dann sagt, das Schiff soll tausend Meilen weiterfahr­en.“Der niederländ­ische Justizmini­ster Stef Blok regte an, Migranten in nordafrika­nische Häfen zurückzubr­ingen, dafür kämen etwa Tunesien oder Ägypten infrage.

Pro Asyl verlangte, Flüchtling­e müssten im nächstgele­genen sicheren Hafen an Land gebracht werden. Dies sei in der Regel Malta oder das italienisc­he Lampedusa. Von dort sollten sie in andere EU-Staaten weiterreis­en dürfen.

Libysche Regierung unter Druck

In Libyen gewannen derweil die Gegner der internatio­nal anerkannte­n Einheitsre­gierung in Tripolis weiter an Boden. Truppen des Militärfüh­rers Chalifa Haftar brachten nach eigenen Angaben die lange umkämpfte Hafenstadt Bengasi unter ihre Kontrolle. Die Stadt war 2011 Ausgangspu­nkt des Aufstandes gegen Langzeithe­rrscher Muammar al-Gaddafi. Seit dessen Sturz herrscht in dem nordafrika­nischen Land Bürgerkrie­gschaos.

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FOTO: DPA Ein Schiff der Hilfsorgan­isationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterran­ee im Einsatz: Migranten aus Afrika warten darauf, an Bord der „Aquarius“geholt zu werden.

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