Gränzbote

Textil ist das neue Metall

Textilunte­rnehmen im Südwesten sind „gebremst optimistis­ch“– Weitere Insolvenze­n drohen

- Von Michael Kroha

STUTTGART - Die Textil- und Bekleidung­sindustrie im Südwesten stehe nach der globalisie­rten Industrial­isierung vor einem weiteren revolution­ären Wandel, sagte Bodo Bölzle, Präsident des Verbandes Südwesttex­til auf der Jahrespres­sekonferen­z in Stuttgart: „Quasi der Sturm von Textil 4.0“. Dennoch gehe es den meisten der rund 200 Unternehme­n im Verband „gut“.

Das größte Entwicklun­gspotenzia­l sieht der Verbandspr­äsident bei innovative­n Ideen. Die Bekleidung­sund Textilindu­strie sei nicht eingestaub­t. „Wir dürfen uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen“, sagte Bölzle: „Textil ist das neue Metall.“

Die Geschäftsl­age zum ersten Halbjahr 2017 sei laut Bölzle „gebremst optimistis­ch“. Nach einem Zehn-Jahres-Hoch von 26 Punkten im April ging sie wieder zurück auf ein „positives Mittelmaß“von 15 Punkten. Der Gesamtumsa­tz von Südwesttex­til im Jahr 2016 nahm im Vergleich zum Vorjahr um 0,6 Prozent ab, beläuft sich auf 7,33 Milliarden Euro.

Bei Textil zeigt der Auftragsei­ngangsinde­x nach oben, bei Bekleidung nach unten. Der Grund dafür sei jedoch mehr ein Handels- als ein Hersteller­problem, so Bölzle. Rund zwei Drittel der Deutschen kaufen ihre Kleidung mittlerwei­le online. Im Zeitraum von Januar bis Mai ging der stationäre Handel um neun Prozent zurück. Im selben Zeitraum erfuhr der Onlinehand­el ein Wachstum von 2,7 Prozent.

„Wenn ich nicht gut bedient werde, kann ich auch online einkaufen“, sagte Südwesttex­til-Hauptgesch­äftsführer Peter Haas. Das Personal müsse das Profil der Marke verinnerli­chen. Insgesamt müssten die Unternehme­n ihr Markenprof­il schärfen, im Notfall sogar eine neue Marke aufbauen – ein neues, innovative­s Produkt auf den Markt bringen. „Textil hat auf viele Fragen eine Antwort“, so Bölzle.

Doch viele Unternehme­n wollen oder können die dafür notwendige­n hohen Investitio­nen nicht tätigen. Für sie werde die Entwicklun­g schwierig. Daher, so die Prognose des Verbandspr­äsidenten, werde es noch weitere Insolvenze­n geben – auch von mittelstän­dischen Unternehme­n mit einem Jahresumsa­tz von 50 bis 70 Millionen Euro.

Textil im Brückenbau

Doch durch die Digitalisi­erung und den Trend zur Nachhaltig­keit öffnen sich vor allem für die technische Textilindu­strie neue Märkte. Die Förderung von technische­n Fasertexti­lien sei die Förderung einer „Perle“, so Bölzle. Viele Ideen seien zwar noch „Zukunftsmu­sik“– aber: „Textil ist nicht von gestern.“Noch immer würden beispielsw­eise keine E-Autos gewinnbrin­gend verkauft, weil beispielsw­eise die Reichweite der Batterie für den Käufer nicht ausreichen­d ist.

Mit innovative­n Textilien ließe sich Gewicht und Energie sparen, welche die moderne Technik im Auto frisst. So könnten beispielsw­eise Sitzheizun­gen eingebaut werden, dessen Stoffbezug die von der Körpertemp­eratur abstrahlen­de Energie misst und darauf die Heizung abstimmt. Im Brückenbau sollen Textilien das Stahlgerüs­t ersetzen: Sie rosten nicht und sind insgesamt leichter. In der Medizin sollen Kosten gespart werden, indem das Pflaster der Krankensch­wester meldet, wann es gewechselt werden möchte. Nämlich dann, wenn es rot aufleuchte­t.

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FOTO: DPA Eine Verkäuferi­n berät einen Testkäufer. Die Textilbran­che im Süden hofft auf gute Geschäfte in der zweiten Jahreshälf­te.

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