Textil ist das neue Metall
Textilunternehmen im Südwesten sind „gebremst optimistisch“– Weitere Insolvenzen drohen
STUTTGART - Die Textil- und Bekleidungsindustrie im Südwesten stehe nach der globalisierten Industrialisierung vor einem weiteren revolutionären Wandel, sagte Bodo Bölzle, Präsident des Verbandes Südwesttextil auf der Jahrespressekonferenz in Stuttgart: „Quasi der Sturm von Textil 4.0“. Dennoch gehe es den meisten der rund 200 Unternehmen im Verband „gut“.
Das größte Entwicklungspotenzial sieht der Verbandspräsident bei innovativen Ideen. Die Bekleidungsund Textilindustrie sei nicht eingestaubt. „Wir dürfen uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen“, sagte Bölzle: „Textil ist das neue Metall.“
Die Geschäftslage zum ersten Halbjahr 2017 sei laut Bölzle „gebremst optimistisch“. Nach einem Zehn-Jahres-Hoch von 26 Punkten im April ging sie wieder zurück auf ein „positives Mittelmaß“von 15 Punkten. Der Gesamtumsatz von Südwesttextil im Jahr 2016 nahm im Vergleich zum Vorjahr um 0,6 Prozent ab, beläuft sich auf 7,33 Milliarden Euro.
Bei Textil zeigt der Auftragseingangsindex nach oben, bei Bekleidung nach unten. Der Grund dafür sei jedoch mehr ein Handels- als ein Herstellerproblem, so Bölzle. Rund zwei Drittel der Deutschen kaufen ihre Kleidung mittlerweile online. Im Zeitraum von Januar bis Mai ging der stationäre Handel um neun Prozent zurück. Im selben Zeitraum erfuhr der Onlinehandel ein Wachstum von 2,7 Prozent.
„Wenn ich nicht gut bedient werde, kann ich auch online einkaufen“, sagte Südwesttextil-Hauptgeschäftsführer Peter Haas. Das Personal müsse das Profil der Marke verinnerlichen. Insgesamt müssten die Unternehmen ihr Markenprofil schärfen, im Notfall sogar eine neue Marke aufbauen – ein neues, innovatives Produkt auf den Markt bringen. „Textil hat auf viele Fragen eine Antwort“, so Bölzle.
Doch viele Unternehmen wollen oder können die dafür notwendigen hohen Investitionen nicht tätigen. Für sie werde die Entwicklung schwierig. Daher, so die Prognose des Verbandspräsidenten, werde es noch weitere Insolvenzen geben – auch von mittelständischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 50 bis 70 Millionen Euro.
Textil im Brückenbau
Doch durch die Digitalisierung und den Trend zur Nachhaltigkeit öffnen sich vor allem für die technische Textilindustrie neue Märkte. Die Förderung von technischen Fasertextilien sei die Förderung einer „Perle“, so Bölzle. Viele Ideen seien zwar noch „Zukunftsmusik“– aber: „Textil ist nicht von gestern.“Noch immer würden beispielsweise keine E-Autos gewinnbringend verkauft, weil beispielsweise die Reichweite der Batterie für den Käufer nicht ausreichend ist.
Mit innovativen Textilien ließe sich Gewicht und Energie sparen, welche die moderne Technik im Auto frisst. So könnten beispielsweise Sitzheizungen eingebaut werden, dessen Stoffbezug die von der Körpertemperatur abstrahlende Energie misst und darauf die Heizung abstimmt. Im Brückenbau sollen Textilien das Stahlgerüst ersetzen: Sie rosten nicht und sind insgesamt leichter. In der Medizin sollen Kosten gespart werden, indem das Pflaster der Krankenschwester meldet, wann es gewechselt werden möchte. Nämlich dann, wenn es rot aufleuchtet.