„Gekochte Spaghetti“auf 300 Sachen beschleunigt
Redakteur Matthias Jansen testet Bogenschießen – Pfeil verformt sich nach Abschuss – Auf Rücken kommt es an
TUTTLINGEN - Das Ansehen von Karl-May-Filmen in der Kindheit: Mehr Vorkenntnisse über das Bogenschießen habe ich nicht, als ich mich auf den Weg zur Schützengesellschaft Schönblick 1820 Tuttlingen mache. Der Respekt vor der Sportart, die ich erstmals ausprobiere, ist groß. Meine Ansprüche gering: Wenigstens die Scheibe will ich treffen.
„Das ist kein Problem“, sagt Tina Lehmann, die seit elf Jahren mit dem Bogen schießt. „Das hat mein Sohn schon mit zweieinhalb Jahren geschafft.“Hilfreich ist das nicht, um das Blamagepotential zu senken. Schließlich stehen beim Training der Tuttlinger sogar Landes- und deutsche Meister neben mir.
Mein Trost ist, dass das Bogenschießen scheinbar eine Sportart für Menschen jeden Alters ist: vom Kind über den Jugendlichen bis zum Senior. Das älteste aktive Mitglied im Verein sei 88 Jahre gewesen, meint Lehmann. Zwar würden die Kinder von Bogenschützen deutlich früher anfangen, das ideale Alter sei aber zwischen acht und zehn Jahren, meint Klaus Rapp, Bogensportreferent bei der SG Schönblick. „Dann ist die Koordination schon ausgebildet.“
Rücken- und Schultermuskulatur ist wichtig
Schließlich wird nicht mit den Armen geschossen, erzählen die Schützen vor Beginn des Trainings. „Es kommt auf die Schulter- und Rückenmuskulatur an. Die Bereiche, die man tagsüber im Büro eigentlich nicht braucht“, sagt Lehmann. In diesem Moment fühle ich mich als Schreibtischtätiger noch weit weniger für das Bogenschießen geeignet. Mein Rücken tendiert momentan eher zur Ver- als zur „richtigen Anspannung“.
Einfach die Flinte, sprich den Bogen, ins Korn werfen, kommt aber nicht in Frage. Klaus Rapp, der zusammen mit seiner Frau Elke Rapp – Deutsche Meisterin von 1991 – als Bogensportlizenztrainer die Übungseinheiten leitet, nimmt sich meiner an. Wichtiger als Muskelpartien oder die Kraft sei das Gefühl, den eigenen Körper zu kennen, sagt er. Und das Fokussieren auf die Zielscheibe käme ohnehin von alleine. „Jeder hat doch den Willen zu treffen.“
Soweit bin ich aber noch nicht. Abseits der Ziele gibt es erst einmal theoretische Trockenübungen – mit Bogen, aber ohne Pfeil. Den Bogen hält Rapp locker in der linken Hand. „Das greifst du wie ein Bierglas. Da drückst du auch nicht zu.“Der sogenannte „Haltearm“wird ausgestreckt und seine rechte Hand zieht die Sehne nach hinten – bis zur Mitte des Gesichts, sodass Hand und Sehne am Kinn anliegen. Eine in sich geschlossene Haltung sei wichtig, sagt Klaus Rapp. „Der beste Schütze ist der Polizist, der den Verkehr regelt“, erklärt er und führt die richtige Haltung eines Schützen bildlich vor Augen. Obwohl der Ellenbogen des rechten Arms beim Spannen der Sehne angewinkelt ist, müssten der Oberkörper und die Arme des Bogenschützen ein „bündiges T“bilden. Ein häufiger Fehler sei, erklärt Lehmann, dass die Schultern nach oben wandern. Fehlversuche und Verspannungen wären die Folge.
Nach der ersten Einweisung will ich mich wieder am Schießstand einreihen. Einen Köcher mit sechs Pfeilen hat Klaus Rapp mir bereits umgeschnallt. Zuvor will er mir aber noch den passenden Schutz anlegen. „Woran erkennen sich Bogenschützen?“, fragt Rapp – ich muss wohl etwas ungläubig geschaut haben. „Am Fleck, der sich grün, blau, gelb und violett verfärbt“, sagt der Bogensportreferent – und hebt den linken Arm. Damit sich die zurückschnellende Sehne nicht eine Zeit lang auf der Haut verewigt, werden der linke Unterarm und die rechte Hand geschützt.
Bevor ich den ersten Pfeil zwischen Bogen und Sehne einspanne, geht Rapp mit mir noch die richtige Aufstellung durch. Lehrbuchmäßig anhand eines Vier-Phasen-Modells: Der Schütze steht mit geradem Rücken parallel zum Ziel. Danach wird die Sehne leicht an-, anschließend durchgezogen. In Phase vier wird „der Rücken nachgespannt“, sagt Rapp und dann lässt man die Sehne los. Das ist entscheidend. Der Pfeil wird nicht festgehalten. Mit dem Zeigefinger oberhalb sowie dem Mittelund Ringfinger unterhalb des Pfeiles wird die Sehne gezogen.
Bis zum ersten Volltreffer dauert es bei mir einige Zeit. Immerhin 20 von 36 möglichen Ringen schaffe ich in meinem besten Durchgang. Allerdings ziele ich auch nur auf die fünf Meter entfernte Scheibe. Die weiteren Scheiben auf dem Einschießplatz, die ab der Zehn-Meter-Scheibe in Abständen von zehn bis 70 Meter aufgestellt sind, bleiben für mich unerreicht. Als schwer empfinde ich es nicht, mit dem Bogen zu schießen. Das beständige Treffen ist das Schwierige. Kein Wunder: Schließlich gleicht der Pfeil nach dem Loslassen der Sehne auch einer auf 300 Stundenkilometer beschleunigten, gekochten Spaghetti, sagt Rapp. Durch die Kräfte würde sich das Material des Pfeils verformen und sich nach dem Abschuss links und rechts um den Bogen winden.
Großer Zulauf: SG verdoppelt Mitgliederzahlen
Wenigstens den mit Holzwolle ummantelten Block („Sieht aus wie Stroh, fault aber nicht so schnell und ist vollständig recyclebar“) habe ich immer getroffen. Die Pfeile kann ich aber erst holen, wenn alle Mitschützen ihre Pfeile abgeschossen haben. „Alles andere ist gefährlich“, sagt Rapp. Als Schusswaffe gilt der Bogen allerdings nicht – weil sich die Energie des Sehnenzugs, anders als bei einer Armbrust, nicht speichern lässt.
Brandgefährlich ist der Sport dennoch: Er macht Spaß. In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat die SG Schönblick großen Zulauf erhalten. Die Mitgliederzahl hat sich auf 60 verdoppelt. Wie bei mir wären Filme der Auslöser für die Bogen-Begeisterung gewesen. Nach dem Herrn der Ringe oder den Tributen von Panem hätten sich viele Kinogänger entschieden, das Bogenschießen zu erlernen. Bei einigen Schützen, die neben mir standen, sah das Schießen auch schon fast filmreif aus.