Kein Grund zum Feiern in Mossul
Mit Gesten der Verzweiflung soll die tief verschleierte Frau die anrückenden irakischen Soldaten um Hilfe gerufen haben. Sie könne nicht mehr laufen, hätte sie gebrüllt. Als ein junger Soldat die Frau in Sicherheit bringen wollte, brachte sie ihren Sprengstoffgürtel zur Explosion, tötete sich selbst, ihren Helfer sowie einige weitere Soldaten. Der Terroranschlag wurde am Sonntag von den irakischen Staatsmedien aus Mossul gemeldet. Ob er sich so zugetragen hat? Vieles spricht dafür.
Bis Sonntagvormittag kontrollierte die Terrormiliz „Islamischer Staat“nur noch einige Wohnblocks am Westufer des Tigris. Eine geordnete Evakuierung der Dschihadisten, wie im vergangenen Jahr in Aleppo, hatte die irakische Regierung kategorisch abgelehnt. Die verbliebenen ISTerroristen wussten, dass sie getötet werden. Ihr proklamiertes Ziel war es, auch die letzten Stunden der neunmonatigen Abwehrschlacht so blutig wie möglich zu gestalten.
Auch wenn die angreifenden irakischen Soldaten, Polizisten und Milizionäre den Fall der allerletzten ISBastionen am Westufer des Tigris ausgelassen feierten, gibt es nüchtern betrachtet keinen Grund zum Feiern. Darüber dürfte sich auch der irakische Ministerpräsident Haydar al-Abadi im Klaren sein, der am Sonntag in Mossul eintraf, um sich als „Sieger“zu feiern. Doch fast die Hälfte von West-Mossul ist zerstört. Ein amerikanischer General soll die von Bomben verwüstete Altstadt „mit Dresden“im 2. Weltkrieg verglichen haben. Die Kosten für den Wiederaufbau werden auf 100 Milliarden Dollar geschätzt.
Denn trotz der Befreiung wird der IS mit Kamikazeattacken versuchen, ein geordnetes Leben in Mossul zu verhindern. Auch ohne die Gefahr neuer Angriffe sind die Aufgaben gewaltig: 900 000 der zwei Millionen Einwohner haben Haus und Hof verloren. Wie langsam der Aufbau voran geht, zeigt sich im vor sechs Monaten befreiten Osten der Großstadt, wo die Strom – und Wasserversorgung nur mühsam wiederhergestellt wird. In den Schulen wird zwar wieder unterrichtet, auf ihre Gehälter warten die Lehrer bislang vergeblich.
Nicht nur sie stellen inzwischen die Kompetenz der schiitisch-dominierten irakischen Regierung infrage. Diese habe im Sommer 2014 Mossul den Dschihadisten überlassen und komme nun zurück, um die Stadt zu zerstören, empört sich ein Student der Universtität von Mossul. Tatsächlich waren vor drei Jahren fast 50 000 irakische Soldaten aus Mossul geflüchtet, nachdem vielleicht 3000 IS-Kämpfer in Mossul eingerückt waren. Die Angst vor den dschihadistischen Mörderbanden war gewaltig, reicht aber als Erklärung für die massenhafte Fahnenflucht nicht aus. Kriegsgerät im Werte von vier Milliarden Dollar fiel dem IS damals in die Hände.
Der Verlust seiner wichtigsten Basis in Mossul ist für den IS eine katastrophale Niederlage, bedeutet aber noch längst nicht das Ende der Terrororganisation. Ohne seinen Staat wird der IS unberechenbar. Die entwurzelten Terroristen könnten eine noch grössere Gefahr für die Weltsicherheit darstellen.