Vor einer Automatisierungswelle
Transportgewerbe im Wandel: Schenker erprobt mit MAN vernetzte Lkw auf A 9
BERLIN - Das Transportgewerbe rüstet sich für einen gewaltigen Wandel. Die Tochter der Deutschen Bahn, Schenker, erprobt mit MAN erstmals vernetzte Lkw im realen Autobahnverkehr. Die Digitalisierung der Branche verändert den Speditionsmarkt grundlegend.
Es war kalt an jenem Tag Ende Januar, an dem Vorstandschef Jochen Thewes die Führungskräfte der Spedition Schenker in die Dortmunder Kokerei Hansa beorderte. Frierend hörte sich die große Runde die Geschichten zweier Unternehmer an. Beide waren an den schnellen Veränderungen durch die Digitalisierung gescheitert, beides große Mittelständler. Genauso, wie auch die Kokerei nur noch ein Industriedenkmal vergangener Tage ist. Die Botschaft war klar: „Wenn wir in unserer Liga weiterspielen wollen, müssen wir uns verändern“, sagte Thewes.
Die Liga ist noch die erste. Schenker ist nach eigenen Angaben mit 68 000 Beschäftigten weltweit Nummer 3 bei Transporten zu Lande oder zu Wasser. Allein im europäischen Landverkehr befördert das Unternehmen täglich 20 000 Sendungen. 15 Milliarden Euro setzt die BahnTochter damit jährlich um und steuerte zum Gewinn des Bahnkonzerns rund 400 Millionen Euro bei.
Im Frühjahr 2018 geht es los
Die Branche steht vor einer Automatisierungswelle, wie ein Blick in deren heutige Arbeitswelt zeigt. Da bringen selbstfahrende Gabelstapler Paletten im Lager unter. Die Arbeiter bekommen die nötigen Frachtpapiere und Anweisungen auf eine Brille übertragen, damit sie mit beiden Händen zupacken können. Lkw werden papierlos per App zur nächsten Ladung gerufen. Bald sind auch die Brummis teilweise fahrerlos unterwegs.
Im kommenden Frühjahr geht es damit los. „Fahrerknappheit ist ein Problem, dass sich noch verstärken wird“, erläutert Thewes. 30 000 Transportunternehmen sind für Schenker unterwegs. Dazu kommen noch ein paar Tausend eigene Lkw, die geführt werden müssen. Autonome Lkw sollen das Problem lösen. Gemeinsam mit dem Hersteller MAN wird Schenker auf der A 9 in Bayern erstmals das sogenannte Platooning erproben. Dabei fahren miteinander vernetzte Brummis wie an eine Kette gereiht von allein. Der Fahrer muss nur bei Bedarf eingreifen können. Zunächst beschränkt sich der Versuch zwar nur auf je zwei miteinander kommunizierende Fahrzeuge. Am Ende könnten aber lange Reihen von Lkw entstehen, in denen nur im ersten und im letzten noch ein Fahrer sitzt.
„Mit dem Projekt Lkw-Platooning kommt die Technologie vom Labor auf die Straße“, sagt Verkehrsminister Alexander Dobrindt, der den Feldversuch mit zwei Millionen Euro fördert. Der Bund erhofft sich durch die Automatisierung einen besseren Verkehrsfluss und eine Entlastung von Fahrer und Umwelt. Das Fahren im Windschatten kann bis zu zehn Prozent des Kraftstoffbedarfs einsparen.
Bis zu drei Fahrten täglich – zunächst ohne Ladung – sind für das kommende Jahr im normalen Autobahnverkehr geplant. Mit im Boot dieses Forschungsprojektes ist noch die Fresenius-Hochschule. Die Forscher wollen herausfinden, wie die Fahrer die Neugestaltung ihres Arbeitsplatzes verkraften. „Es ist wichtig, von Beginn an die Menschen mitzunehmen“, erläutert Christian Haas, der Leiter des Instituts für komplexe Gesundheitsforschung an der Hochschule.
Ein selbstfahrender Lkw ist zum ersten Mal im Oktober 2015 über eine öffentliche Straße in Deutschland gerollt. Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard saß mit einer Ausnahmegenehmigung am Steuer, als der Mercedes Actros Future Truck weitgehend automatisch die Autobahn 8 bei Stuttgart befuhr. Als Beifahrer zeigte sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begeistert von der Pionierfahrt. Dies sei der „Aufbruch in ein neues Mobilitätszeitalter“, meinte er.
Ein Wettlauf mit der Zeit
Die Digitalisierung ist für Schenker ein Wettlauf mit der Zeit. „Schaffen wir es, die digitale Kompetenz aufzubauen oder schaffen es die Plattformen eher, eine Logistikompetenz zu erlangen“, beschreibt der Vorstand die Situation. Denn im Prinzip könnte jeder leicht Angebot und Nachfrage nach Transporten im Internet zusammenbringen und sich von Provisionen ernähren. Noch hilft Schenker die Erfahrung aus 140 Jahren Unternehmensgeschichte. Doch wie lange noch? Thewes hat mittlerweile 150 Netzexperten in der Essener Zentrale eingestellt, die sich allein um die digitalen Entwicklungen kümmern.
Die Essener wollen sich mit einer eigenen Plattform gegen die potenzielle Konkurrenz aus dem IT-Lager behaupten. Unter anderem hat Thewes sich dafür an der amerikanischen Online-Frachtschiffbörse Uship beteiligt und Schenker so den Zugang zum nötigen Know-how verschafft. Ende diesen Jahres soll bereits ein Viertel der täglichen Sendung in Europa über eine eigene Plattform abgewickelt werden. „Damit werden wir zugleich noch größere Frachtvolumen bewältigen und weiter wachsen“, hofft Thewes.
Derzeit ist es noch eine geschlossene Plattform. Teilnehmen können nur die Partnerunternehmen von Schenker, die sich hier ihre Fuhren abholen. Thewes denkt aber auch daran, das Angebot für alle Spediteure zu öffnen. Dann wäre Schenker so etwas wie der Uber des Schwerverkehrs. Und fast nebenbei eröffnet die Digitalisierung des Speditionsgeschäftes der Bahntochter noch eine weitere attraktive Ertragsquelle, die gewaltige Datensammlung, die dabei anfällt. Schenker weiß, was die Industriekunden wann brauchen, was deren Produkte wert sind und wann die Kapazitäten in den Werken erhöht oder verringert werden. Wie sich dies versilbern lässt, behält der Vorstandschef aber noch für sich.