Die wahren Vogelkiller sind kaum bewusst
Verlust des Lebensraums, Stromleitungen, Katzen, Fensterscheiben sind Gründe
SPAICHINGEN/REGION - Die Diskussion um Windkraftanlagen in unserer Region – momentan vor allem in Balgheim – hat das Problem der Gefährdung seltener Tierarten durch Kollisionen mit den Anlagen angefacht. Aber sind Windkraftanlagen wirklich große Vogelkiller? Unsere Recherche hat ergeben: mit ziemlicher Sicherheit Nein. Denn die größte Bedrohung unserer Wasser-, Sing- und Greifvogelarten ist die Art, wie Landwirte im Rahmen der EUPolitik die Landschaft bewirtschaften müssen: Nämlich so, dass Blumen nicht mehr blühen und dann aussamen, Insekten, Kleintiere und Vögel keine Nahrung innerhalb der Nahrungskette finden. Kurz: Der größte Feind aller Tier- und Pflanzenarten ist die Verschlechterung des natürlichen Lebensraumes, vor allem durch die Landwirtschaft.
Der Vorsitzende des NABU Spaichingen-Heuberg, Oliver Burry, bestätigt das Problem. Inzwischen würden Wiesen drei- bis fünfmal gemäht, und ein Problem seien auch die zunehmenden monotonen Steingärten. Er plädiert dafür, wenigstens auf einer Fläche in den Gärten Blumen stehen zu lassen. Zum Beispiel ernähre sich der Stieglitz von den Samen des Löwenzahns. Auch die Unart, Wegränder früh zu mähen und dann gleich zu mulchen, habe zweifach negativen Effekt: durchs Abmähen selbst und durch die Düngung, die den Arten schade. Außerdem bedeuteten für die meist nachts ziehenden Vögel, dass sie durch die Überbeleuchtung von Wegen und Straßen ihren inneren Kompass gestört bekämen und einfach nicht mehr an den Zielorten ankämen.
Vögelkiller gibt es aber im ganz großen Stil auch andere: Bis zu 2,8 Millionen Vögel sterben nach einer Hochrechnung des Naturschutzbundes (NABU) durch Kollisionen mit Stromleitungen.
Und einer der schlimmsten Singvogel-Jäger ist des Deutschen liebste Samtpfote, die Hauskatze; geschätzt acht Millionen in Deutschland. Zwar hält der NABU-Vogelexperte Lars Lachmann die Hochrechnung von 200 Millionen getöteten Vögeln pro Jahr in Deutschland für zu hoch gegriffen. Aber eine Studie aus den USA zeigt die Dimension: Sie kommt laut NABU zu dem Ergebnis, dass in den USA zwischen 1,4 und 3,7 Milliarden Vögel und zwischen 6,9 und 20,7 kleine Säugetiere pro Jahr durch Katzen getötet werden. Dabei seien, so der NABU, vor allem verwilderte Katzen ein Problem, die die Vogelund Kleintierjagd zur Lebenserhaltung brauchen. Kastrationsprogramme seien daher nötig.
Es gibt noch viele weitere Bedrohungen für unsere heimischen Vogelarten, kleine Zugvögel werden millionenfach in Italien, auf den Mittelmeerinseln und in Ägypten mit hunderten Kilometer langen (illegalen) Netzen gefangen. Insgesamt gibt es aber noch viel zu wenige Studien, gerade auch zu Auswirkungen von Windkraftanlagen. Sicher nicht realistisch ist die Zahl von 41 getöteten Rotmilanen in Deutschland seit 1989, die bisherige Studien auflisten.
Immer wieder komme es auch vor, dass Greifvögel durch Jäger und Geflügelhalter vergiftet oder erschossen würden. Das sei allerdings vor allem in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Hostein und Bayern der Fall, ist beim „Komitee gegen den Vogelmord e.V.“nachzulesen.
Was gar nicht auf der Agenda vieler Vogelfreunde steht, ist die millionenfache Gefahr, denen Vögel durch Hindernisse wie Hochhäuser in Flugrouten oder durch Fensterscheiben ausgesetzt sind. In den USA sollen das bis zu einer Milliarde im Jahr sein. Leichter, transparenter – all das ist in der modernen Architektur chic. Dass nach Schätzungen des NABU in Europa täglich eine Viertelmillion Vögel an Scheiben zerschellen, ist kaum jemandem im Bewusstsein.
Dabei gibt es Möglichkeiten, Scheiben einigermaßen vogelsicher zu machen. Zum Beispiel durch spezielle Beschichtungen oder Streifen. Denn die Spiegelungen von Gras, Bäumen und Gebüsch gaukeln den Vögeln vor, kein Hindernis vor sich zu haben. Wenn Durchsicht möglich ist, versuchen Vögel, den kürzesten Weg zu wählen und knallen gegen die Scheiben. Etwa die Hälfte davon stirbt daran.
„Vogelschlag“kein Thema für Bauherren
Die Spaichinger Architektin Alice Haller, die eine Kindergruppe mitgegründet hat, die sich regelmäßig in Wald und Flur aufhält, also ein Herz für die Natur hat, berichtet Folgendes: Bei der Planung von Häusern oder Büro- und Geschäftsgebäuden spiele das Thema „Vogelschlag“bei den Bauherren so gut wie keine Rolle. Ihr selbst ist das Problem aber bekannt. Einen Artikel habe sie vor langer Zeit im Architektenblatt gelesen. Der handelte aber vor allem davon, dass etwa in Großstädten Bauwerke mitten in Flugrouten von Vogelschwärmen gestellt werden und dass diese Frage gar nicht mit berücksichtigt wird. Einen gewissen Schutz gebe es durch Vorhänge, die aber mehr und mehr außer Mode kämen.