Gränzbote

Elektro-Streit in Daimlers Stammwerk

Schwierige Zukunftspl­anung sorgt in Untertürkh­eim für Verunsiche­rung

- Von Nico Esch und Jan Petermann

STUTTGART (dpa) - Wenn es um die Zukunft von Daimlers Stammsitz geht, findet Frank Deiß drastische Worte. „Das ist so eine Gratwander­ung zwischen Erzeugen von Paranoia und Verabreich­en von Beruhigung­spille“, sagt der Fabrikchef. Ausgerechn­et hier – im Nervenzent­rum des Oberklasse-Autobauers in Stuttgart-Untertürkh­eim – lässt sich beobachten, dass der Weg in die Ära der Elektromob­ilität auch für finanziell gut aufgestell­te Großkonzer­ne nicht leicht ist.

Deiß leitet das Werk, einen Standort mit rund 19 000 Beschäftig­ten und mehr als 100 Jahren Geschichte im Autobau. Gefertigt werden unter anderem Motoren und Getriebe – und genau darum machen sich die Leute hier deutlich mehr Sorgen als ihre Kollegen an anderen Orten.

Was soll aus ihnen werden, wenn das Elektroaut­o immer mehr an Bedeutung gewinnt und der Verbrennun­gsmotor womöglich irgendwann ausgedient hat? Seit Wochen verhandeln Betriebsra­t und Unternehme­n über konkrete Pläne für Untertürkh­eim, werden sich aber nicht einig.

Für die Beschäftig­ten kann die EMobilität Segen und Fluch zugleich sein. Denn einerseits soll sie die Zukunft der Branche angesichts immer strikterer Klimaschut­zvorgaben und der Dauerdebat­te um den Diesel sichern. Anderersei­ts benötigen Elektroaut­os ganz andere Teile als Verbrenner, und insgesamt dürfte das Volumen an Arbeit sinken.

Das Auto der Zukunft fährt elektrisch – das ist ziemlich sicher. Aber viel mehr lässt sich heute eben kaum sagen. Dafür sind entscheide­nde Faktoren zu schwer abzusehen. Im Auftrag des Magazins „Stern“nach den Gründen für die bisher mangelnde Nachfrage befragt, nennt eine jeweils große Mehrheit der Bundesbürg­er die kurzen Reichweite­n, die hohen Preise und die geringe Zahl von Ladestatio­nen.

Von „extrem vielen Unsicherhe­itsfaktore­n“spricht Willi Diez, der Leiter des Instituts für Automobilw­irtschaft in Geislingen. Inzwischen beteiligen sich mehrere Unternehme­n auch aus der Energiewir­tschaft am Ausbau des noch dünnen Ladenetzes. Das Hauptprobl­em, so Diez, sei aber die Frage, wie viele reine EAutos künftig verkauft werden und wie viele der diversen Mischforme­n, die weiter auch einen Verbrenner an Bord haben. Entspreche­nd müsste die Produktion ausgericht­et sein, mit Konsequenz­en für die Arbeitsplä­tze.

„Da stochert jeder ein bisschen im Nebel“, sagt der Experte und ergänzt mit Blick auf die von Betriebsrä­ten geforderte­n Zusagen: „Ich verstehe jeden Hersteller, dass er keine Garantien gibt.“Diez glaubt auch, dass übermäßige Eile nicht nötig ist. Der Wandel komme – aber noch nicht jetzt. „Wir reden da eher über 2030 als über 2020.“

Ein Viertel Elektro bis 2025

Daimler rechnet mit einem Anteil von 15 bis 25 Prozent an Elektro- und Hybrid-Autos bis 2025. VW und BMW planen mit ähnlichen Zahlen. Die Konkurrent­en müssen auch ähnliche Investitio­nen stemmen – und die Folgen des Umbruchs auf die Jobs in der Produktion mitbedenke­n.

Wenn die Entwicklun­g so weitergehe wie prognostiz­iert, rechnet Deiß vor, würde das im Fall Daimler mitnichten das schnelle Aus für Benziner oder Diesel bedeuten. 2025 würden dann sogar mehr konvention­elle Motoren gebaut als heute. Das wäre die „Beruhigung­spille“– die der Betriebsra­t aber nicht schlucken will.

Dass Untertürkh­eim seinen Daimler-internen Status als führendes Werk auch im Elektro-Zeitalter behalten soll, dürfte den Arbeitnehm­ern naturgemäß gefallen. Bei der Frage, welche Antriebsko­mponenten dort letztlich gebaut werden sollen, waren die Ansichten zuletzt aber sehr verschiede­n.

Das Unternehme­n will eine Batteriefe­rtigung aufbauen. Im sächsische­n Kamenz gibt es so eine schon – und in China soll bis 2020 eine weitere hinzukomme­n. In Untertürkh­eim wäre das deutlich teurer. Daher soll die Belegschaf­t einen Teil der Weiterbild­ung in ihrer Freizeit absolviere­n. Betriebsra­t Wolfgang Nieke lehnt das ab und besteht darauf, dass auch die elektrisch­en Antriebssy­steme, die die Motorkraft auf die Achsen bringen, in Untertürkh­eim gefertigt werden. Zudem sei der große Rahmen für die E-Offensive noch gar nicht abgesteckt – erst dann jedoch könne man über Details reden.

Bei Volkswagen ist der Balanceakt ähnlich heikel: Milliarden-Sparkurs und das Ziel schlankere­r Prozesse hier, Milliarden-Ausgaben für die neue Technik dort – der mühsam errungene „Zukunftspa­kt“soll beides unter einen Hut bringen. Neben der beschlosse­nen Forschung an Batterieze­llen hat das Motorenwer­k Salzgitter Chancen auf eine Zellfertig­ung. Betriebsra­tschef Bernd Osterloh plant einen „größeren dreistelli­gen Millionenb­etrag“für Qualifikat­ion ein.

Auch BMW pumpt hohe Summen in weitere Elektromod­elle, wobei deren Gewinnspan­ne noch zulegen muss. Bei Ausstattun­gsvariante­n wird dafür gekürzt.

In Stuttgart lässt der Betriebsra­t nach den jüngsten Verhandlun­gen immerhin eine Annäherung durchblick­en. Zwar werde weiter intensiv verhandelt, aber man bewege sich nun in einem „Lösungskor­ridor“, heißt es. Und vor allem: Vorerst sagt der Betriebsra­t nicht wieder die Überstunde­n am Samstag ab. Das hatte zuletzt zweimal dazu geführt, dass die Frühschich­t an den E-Klasse-Bändern in Sindelfing­en ausfällt. Dort werden die Teile aus Untertürkh­eim gebraucht.

Die E-Mobilität hat Schattense­iten – die IG Metall, in der Branche stark verwurzelt, hat das erkannt. Die Zahl der Jobs dürfte sinken, dafür gebe es Chancen für speziell Qualifizie­rte. Das Ganze habe aber Grenzen, wusste Daimler-Betriebsra­tschef Michael Brecht schon Ende 2016: „Nicht jeder, der Ingenieur ist, kann auch Apps schreiben.“

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FOTO: DPA Ein Mitarbeite­r von Mercedes-Benz überwacht im Werk in Bremen wie ein Computer per Roboterarm eine Batterie in eine C-Klasse einsetzt. Die Elektromob­ilität schürt im Daimler-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkh­eim einige Ängste. Der Kampf um die...

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