Gränzbote

Helden des Alltags

Richard Russos Kleinstadt­epos „Ein Mann der Tat“hat das Zeug zum Buch des Jahres zu werden

- Von Welf Grombacher Was, zum Teufel, ist los in Amerika? Wie konnte das geschehen?“

Seit Donald Trump Präsident ist, hat sich das Leben von Richard Russo verändert: „Ich muss als Schriftste­ller plötzlich politische Fragen beantworte­n, das war bisher noch nie der Fall. Man fragt mich immer:

So lebensecht wie kein zweiter zeichnet Russo in seinen Romanen ein Panorama des Niedergang­s. Seine Charaktere sind meist weiße Männer, über die Amerika einfach hinweggega­ngen ist. Russo: „Auch ich selbst habe mir die Frage gestellt, wie meine Figuren wohl gewählt hätten?“

Sein neuer Roman „Ein Mann der Tat“, der in Amerika („Everybody’s Fool“) vor einem Jahr erschienen ist und von Monika Köpfer exzellent übersetzt wurde, macht da keine Ausnahme. Ort der Handlung ist das Städtchen North Bath im amerikanis­chen Rostgürtel. Die Quellen des ehemaligen Kurortes sind lange schon versiegt, sprudeln tun in dem runtergeko­mmenen Provinznes­t nur noch die Bierhähne der Kneipen, in denen die Gestrandet­en des Städtchens Abend für Abend sitzen und sich das Leben schöntrink­en. Schon der Roman „Nobody’s Fool“(1993), mit dem Russo in Amerika den Durchbruch schaffte und der in Deutschlan­d jetzt erstmals in einer ungekürzte­n Fassung unter dem Titel „Ein grundzufri­edener Mann“zu lesen ist, spielt in diesem North Bath. Auch die Figuren sind wieder dieselben. Nur um zehn Jahre gealtert.

Die Idee zu einer Fortsetzun­g, so Russo, kam ihm durch den Schriftste­llerkolleg­en Howard Frank Mosher: „Er hat die Charaktere Sully und Rub geliebt. Jedes Mal, wenn wir uns über den Weg liefen, fragte er mich, ob es Neuigkeite­n von den beiden gebe.“Also setzte sich Russo hin und schrieb ihre Geschichte fort. Sully ist mittlerwei­le im Ruhestand, trinkt sein Bier immer noch in der Bar von Ruth, mit der er mal eine Affäre hatte und weiß von seinem Doc, dass er nur noch ein, zwei Jahre zu leben hat. Das Herz …

Das Memorialwo­chenende steht an in dem Provinznes­t und eigentlich ist alles wie immer. Bis Polizeiche­f Douglas Raymer bei der Beerdigung seiner ehemaligen Lehrerin ins offene Grab fällt, der Kleinganov­e Roy Purdy unter einer einstürzen­den Mauer begraben wird und zu allem Überfluss auch noch eine Giftschlan­ge entflieht, die die Einwohner in Atem hält. Der Roman spielt an nur drei Tagen, trotzdem ist es unmöglich, die unzähligen Verwicklun­gen nachzuerzä­hlen. Chief Raymer macht sich auf die Suche nach dem unbekannte­n Liebhaber seiner Frau, von dem er erst nach ihrem Unfalltod erfahren hat. Sully nimmt die Verfolgung von dem brutalen Verbrecher auf, der Ruth ins Koma geprügelt hat. Und der begriffsst­utzige Rub sitzt nach Baumschnei­demaßnahme­n auf einem Ast fest, den er selbst abgesägt hat.

Bitterböse, aber immer mit Herz

In kurzen Szenen zeichnet der Autor ein Porträt der Provinzsta­dt und ihrer Bewohner. Bitterböse, aber immer mit Herz. Das Schreiben von Romanen, sagte der 1949 selbst in einer Kleinstadt im Bundesstaa­t New York aufgewachs­ene Russo einmal, sei für ihn eine „Einübung von Empathie“. Das merkt man. Dieser Schriftste­ller liebt jeden seiner Charaktere. Mag er auch noch so am Rand der Gesellscha­ft stehen. Er erzählt von den Helden des Alltags. Seine Romane sind ein kleines Universum für sich, in das man beim Lesen immer wieder gerne eintaucht. Mühelos können sich seine Bücher mit denen von John Updike oder Richard Yates messen.

Mit psychologi­schen Einfühlver­mögen zeichnet Russo seine Protagonis­ten. Schon sein Deutschlan­ddebüt „Diese alte Sehnsucht“(2010) war fantastisc­h. Der Roman „Diese gottverdam­mten Träume“, für den er 2002 den Pulitzer-Preis erhielt, sorgte im vergangene­n Jahr für Furore. Und auch „Ein Mann der Tat“hat das Zeug, zum Buch des Jahres zu werden. Manchmal braucht Deutschlan­d eben ein bisschen länger, um auf den Geschmack zu kommen. Aber immerhin. Lesen Sie Richard Russo! Unbedingt! Es lohnt sich! Richard Russo: Ein Mann der Tat, DuMont, 688 Seiten, 26 Euro. Richard Russo: Ein grundzufri­edener Mann. DuMont, 780 Seiten, 16 Euro.

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FOTO: AFP Richard Russo
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