Gränzbote

Mit 65 ist nicht immer Schluss

Die Zahl der älteren Arbeitnehm­er hat sich in den vergangene­n zehn Jahren mehr als verdoppelt

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BERLIN (dpa) - Mit 65 plus ist das Arbeitsleb­en vorbei? Nicht immer: Die Zahl der Menschen, die jenseits des Rentenalte­rs arbeiten, hat sich in den vergangene­n zehn Jahren mehr als verdoppelt – von fünf Prozent im Jahr 2006 auf elf Prozent im Jahr 2016. Das geht aus aktuellen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s hervor. Die Hintergrün­de sind vielfältig.

Was bedeuten die Zahlen genau?

Jeder Zehnte zwischen 65 und 74 arbeitet noch. Die Destatis-Zahlen basieren allerdings auf einer Definition der Internatio­nal Labour Organizati­on (ILO). Erwerbstät­ig ist demnach schon, wer nur eine Stunde pro Woche für Geld arbeitet. Erfasst werden also auch Minijobber, Selbststän­dige oder Ehrenamtle­r, wenn ihre Tätigkeit vergütet wird.

Was sind die Gründe?

Die schrittwei­se Einführung der Rente mit 67, steigende Lebenserwa­rtung und bessere Gesundheit. „Ältere sind noch leistungsf­ähig und wollen auch noch was tun. Es muss nur entspreche­nde finanziell­e Anreize geben“, sagt Hilmar Schneider, Chef am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Früher sei das Gegenteil der Fall gewesen – da habe der Staat 55- bis 64-Jährige eher Richtung Vorruhesta­nd gedrängt. Erst mit der Arbeitsmar­ktreform 2005 sei damit Schluss gewesen, sagt Schneider. Seitdem sei die Erwerbstät­igenquote in dieser Altersgrup­pe stetig gestiegen, 2016 lag sie laut Eurostat bei knapp 69 Prozent. Und je mehr 55bis 64-Jährige arbeiten, desto mehr kommen auch für ein Weiterarbe­iten im Rentenalte­r infrage.

Warum arbeiten Arbeitnehm­er im Rentenalte­r weiter?

Natürlich geht es dabei auch ums Geld: Für 37 Prozent der Erwerbstät­igen zwischen 65 und 74 ist die Arbeit laut Destatis wichtigste Quelle des Lebensunte­rhalts. „Aus unserer Sicht belegen die Zahlen aber erneut, dass viele Menschen im Ruhestand arbeiten, weil sie mit ihrer Rente kaum über die Runden kommen“, sagt Ulrike Mascher, Präsidenti­n des Sozialverb­ands VdK Deutschlan­d. Finanziell­e Gründe oder die Angst vor Altersarmu­t können den anhaltende­n Trend allein aber noch nicht erklären, sagt Jürgen Deller, Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie an der Leuphana Universitä­t Lüneburg. „Für die meisten, die nach dem Rentenalte­r weiterarbe­iten, ist Arbeit einfach positiv besetzt.“Ihnen gehe es zum Beispiel darum, soziale Kontakte zu behalten oder sich weiter gebraucht zu fühlen.

Was haben Unternehme­n davon?

„Ältere Arbeitnehm­er haben ein riesiges Erfahrungs­wissen, das so schnell nicht zu ersetzen ist“, sagt Rudolf Kast, Chef des Demografie­Netzwerks und der Botschafte­r der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Angesichts des Fachkräfte­mangels könnten es sich viele Firmen nicht leisten, auf ältere Mitarbeite­r zu verzichten. Einen Mangel an Fachkräfte­n gibt es etwa im verarbeite­nden Gewerbe und im Maschinenb­au.

Was tun Unternehme­n, um Ältere zum Bleiben zu überreden?

Die Unternehme­n setzen vor allem auf flexible Arbeitszei­tmodelle und generell kürzere Arbeitszei­ten. Wichtig seien darüber hinaus Bildungsan­gebote, sagt Jürgen Deller, Professor für Wirtschaft­spsycholog­ie. „Da gibt es diverse Möglichkei­ten, etwa Fortbildun­gen oder Tandems mit jüngeren Mitarbeite­rn.“

Wie unterstütz­t die Politik das Weiterarbe­iten?

Seit Anfang 2017 gibt es das Gesetz zur Flexi-Rente für einen leichteren Übergang zwischen Arbeitsleb­en und Rente und für attraktive­res Weiterarbe­iten jenseits der Altersgren­ze. Weitere Anreize könnten nach der Bundestags­wahl hinzukomme­n: CDU und SPD wollen die Flexi-Rente prüfen und eventuell verbessern, die Grünen wollen Teilrenten ab 60 attraktive­r gestalten. Die AfD fordert Zuverdiens­tmöglichke­iten für Frührentne­r ohne Einschränk­ung der Bezüge. Und die FDP will ein festes Rentenalte­r ganz abschaffen – und damit auch längeres Arbeiten belohnen.

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FOTO: DPA Auch die Deutsche Post setzt auf ältere Beschäftig­te.

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