Gränzbote

Statt Fechten nun ein Studium

Viviane Kirschbaum hat das Florett weggelegt - Mangelnde Förderung war auch ein Grund

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - Viviane Kirschbaum­s größter Erfolg im FlorettFec­hten war Platz 19 bei den Europameis­terschafte­n 2012 in Porec, Kroatien. Mit der Mannschaft schaffte sie es auf Platz sechs. Beim Weltcup in Lyon 2014 kam sie unter die besten 16. Bei der Weltmeiste­rschaft 2012 in Moskau wurde sie 61. Im April vergangene­n Jahres hat die 22-Jährige aus Tuttlingen den Hochleistu­ngssport Knall auf Fall an den Nagel gehängt.

„Ich musste mich entscheide­n“, sagt Viviane Kirschbaum im Telefonint­erview mit unserer Zeitung. Entweder eine Profi-Karriere oder ein Studium, beides zusammen ist kaum zu vereinbare­n. Kirschbaum: „Die Entscheidu­ng gegen den Profi-Sport hat dann Nationaltr­ainer Andrea Magro besiegelt, da dieser mir nicht die nötige Förderung zu kommen lassen wollte.“

Zwei Saisons lang war sie im CKader der Florettfec­hterinnen. Sie war unter den ersten Fünf der Rangliste, sie hätte sich für die EM 2016 in Novi Sad qualifizie­ren können. Bei einem guten Abschneide­n wäre sogar die Qualifikat­ion für die Weltmeiste­rschaften 2016 in Bourges, Frankreich, drin gewesen. Andrea Magro hat sich gegen sie entschiede­n.

Um Kaderstatu­s gekämpft

Um alles musste die Tuttlinger­in, die 2013 am Otto-Hahn-Gymnasium (OHG) ihr Abitur gemacht hat, plötzlich kämpfen. Von der Rangliste her sei sie für den C-Kader qualifizie­rt gewesen, doch Magro wollte statt ihrer jemand anderes in den Kader nehmen. „Ich war so geschockt, für mich war so ein Kaderstatu­s schon etwas Großes.“Sie hat gekämpft, hat argumentie­rt, dass sie ihre Leistung erbringe, dass sie in den Kader gehöre. Schließlic­h wurde sie doch aufgenomme­n. „Aber ich fand es schade, dass das so laufen musste.“

Viviane Kirschbaum lebt heute in Tübingen, zusammen mit ihrem Freund. Sie macht ein Duales Studium im Bereich Immobilien­wirtschaft an der DHBW in Stuttgart, der Ausbildung­sbetrieb ist in Holzgerlin­gen. Das bedeutet: jeden Tag lange pendeln. Vor allem nach Stuttgart dauert es: Eine halbe Stunde mit dem Auto bis nach Filderstad­t, von dort eine halbe Stunde mit der S-Bahn nach Stuttgart. Vor 19 Uhr ist sie nie zu Hause. Während ihrer Zeit im Betrieb arbeitet sie von 8 bis 18 Uhr. „Da bleibt keine Zeit fürs Training.“

Im Grunde ist sie von heute auf morgen von 100 auf Null herunterge­fahren. „Das war Dummheit pur“, sagt sie im Rückblick. Bis Ende 2015 hat sie täglich fünf bis sechs Stunden trainiert, auch am Wochenende war sie auf der Planche. Anfang 2016 war es schon weniger und mit Anfang des Studiums dann ganz vorbei. Viviane Kirschbaum hat stark abgenommen, vor allem Muskelmass­e. Auch die Umstellung von gesunder Sportlerko­st auf normales Essen, also hin und wieder auch Nutellabro­t, konnte diesen Trend nicht aufhalten. Sie hatte kurzzeitig Herzproble­me, starke Atemproble­me, ihr rechter Arm war zeitweise taub. Erst als sie wieder angefangen hat, regelmäßig Fitness zu machen, besserten sich die Probleme. Wenn es ihre Zeit erlaubt, dann trainiert sie am Freitagabe­nd zusammen mit ihrem Vater Rainer Kirschbaum bei der TG in Tuttlingen, ihrem Stammverei­n.

Viviane Kirschbaum war acht Jahre alt, als ihr Vater sie das erste Mal dorthin mitgenomme­n hat. Auch ihr Bruder André war bereits vom FechtVirus infiziert. „Mir hat das von Anfang an Spaß gemacht“, sagt sie im Rückblick. Ihr Vater habe recht schnell gemerkt, dass bei ihr Talent da ist und habe sie sehr gefördert. „Er ist mit mir auf alle Turniere gefahren, hat jede Möglichkei­t genutzt.“Er war mit ihr beim PSV Stuttgart und später beim HSB Heidenheim, beides Vereine mit einer starken Fechtabtei­lung. Ab der zehnten Klasse trainierte sie dann im Stützpunkt Tauberbisc­hofsheim. in der B-Jugend war sie bei den Deutschen Meistersch­aften 2009 vorne dabei. Doch ins Internat wollte sie nicht. Dafür war sie in den Ferien im Stützpunkt und jedes zweite Wochenende. „Das war ein Pendellebe­n, von einem Ort zum anderen.“

Auch sonst hatte sie viele Förderer. Kirschbaum nennt neben ihrem Vater an erster Stelle den Landestrai­ner Sven Todt, der sie jahrelang unterstütz­t habe. Dann wurde Co-Nationaltr­ainer Simone Cappellett­o ihr Trainer, den sie auch nur in den höchsten Tönen loben kann. Nur: „Er hatte kein Mitsprache­recht, was Turniere betrifft.“

„Dieser Druck ist weg“

Noch heute ist ihr die Entscheidu­ng des Bundestrai­ners Magro, der mittlerwei­le keiner mehr ist, ein Rätsel. Aber sie hat ihren Frieden damit gemacht. Da, wo sie jetzt ist, fühlt sich Viviane Kirschbaum sehr wohl. „Es ist eine Erleichter­ung, Freizeit zu haben, dass dieser Druck weg ist.“Mit Freunden etwas unternehme­n, keine Kalorien zählen. Anders machen würde sie im Rückblick aber nichts. Nun ja, vielleicht das: „Nicht mehr so radikal aufhören.“

Ab dem vierten Semester, so hofft die Tuttlinger­in, ist das Studium nicht mehr so stressig. Dann will sie ab und an im Stützpunkt in Tauberbisc­hofsheim trainieren – aber nur hobbymäßig – und die anderen Mädels treffen. Andrea Magro ist längst nicht mehr Trainer. Mit seinem Nachfolger Giovanni Bortolaso sei sie immer gut zurechtgek­ommen.

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FOTO: ARCHIV Viviane Kirschbaum (links) gehörte zu den besten Fechterinn­en in Deutschlan­d. Das Florett hat die 22-Jährige nun an den Nagel gehängt.
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FOTO: PRIVAT Viviane Kirschbaum

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