Ein Freiheitskämpfer und Aufklärer
Wegen seines Einsatzes für demokratische Reformen in China saß der verstorbene Bürgerrechtler Liu Xiaobo häufig im Gefängnis
PEKING - Der leere Stuhl von Oslo ist zum Symbol für Chinas bekanntesten Bürgerrechtler Liu Xiaobo geworden: Am Donnerstag ist Xiaobo im Alter von 61 Jahren an seiner Krebserkrankung gestorben.
Xiaobo erhielt als erster Bürger der Volksrepublik im Oktober 2010 den Friedensnobelpreis. Statt stolz zu sein, tobte Peking. Die Regierung hielt Liu seit Oktober 2008 eingesperrt und hatte ihn Ende 2009 zu elf Jahren Haft verurteilt – aus den gleichen Gründen, für den ihn Norwegens Nobel-Kommitee auszeichnete. Der einflussreiche Liu forderte die Demokratisierung Chinas und politische Reformen. Das machte ihn für die Partei zum potenziellen Staatsumstürzler, besonders, als er sein Freiheitsmanifest „Charta 08“verfasste in dem er 19 Forderungen nach Freiheitsrechten und nach dem Umbau Chinas zum „konföderierten Staatenbund im Rahmen einer demokratischen Verfassung“stellte.
Für Oslo war Liu dagegen ein Aufklärer im besten Sinne, der mit friedlichen Mitteln für den evolutionären Wandel Chinas zu rechtsstaatlichen Verhältnissen stritt. Von der Preisverleihung am 8. Oktober 2010 erfuhr Liu im Gefängnis. Peking ließ weder ihn noch seine Frau Liu Xia zur Entgegennahme des Preises nach Norwegen ausreisen. Am Ende stand ein leerer Stuhl auf der Bühne. Er wurde das Symbol für Liu.
Verfolgung nach Studentenprotest
Seine Verfolgung begann im Frühjahr 1989 mit den großen Studentendemonstrationen, die zum Tian’anmenMassaker des 4. Juni führten. Der damals 33-jährige Literaturdozent einer Pekinger Universität kehrte vorzeitig von seinem USA-Forschungsaufenthalt an der Columbia-Universität im April 1989 zurück. Er schloss sich einer Gruppe liberaler Intellektueller an, die mit den Demonstranten solidarisierten. Zugleich versuchten sie aber auch, auf die hitzköpfigen Studenten mäßigend einzuwirken, die den Tian’anmen-Platz besetzten und Hungerstreiks inszenierten.
Liu war in der Schicksalsnacht auf den 4. Juni unter ihnen, als die Volksbefreiungsarmee zur Räumung des Platzes durch die Innenstadt anrückte und um sich schoss. Er gehörte zu den vier Intellektuellen, die als Vermittler einen Abzug der Studenten mit der Armeeführung aushandeln konnten. Auf dem berühmten Platz floss – anders als auf den Zufahrtsstraßen – in der Nacht kein Blut. Am 6. Juni nahmen ihn Polizisten fest. Partei-Ideologen nannten ihn einen „geistigen Anstifter“. 20 Monate sperrten ihn die Behörden ein, ohne ihm strafrechtlich etwas zur Last legen zu können. Anfang 1991 war er frei, aber stigmatisiert. Für den Bürgerrechtler Liu war der 4. Juni der Wendepunkt. Immer wieder warnte er die Mächtigen, dass sie wegen Tian’anmen zur Verantwortung gezogen würden. Am 18. Mai 1995 wurde Xiaobo dafür als Unruhestifter mit acht Monaten Arrest bestraft. Am 8. Oktober 1996 steckten ihn die Behörden deswegen nach „administrativem Polizeirecht“für drei Jahre in Lagerhaft.
Das Internet wurde sein Medium. Über 1500 kritische Artikel, Aufrufe und Essays hat er vor seiner Festnahme 2008 veröffentlicht. Das Gericht zitierte sechs Berichte in seinem Urteil als Beweise für seine angeblichen Umsturzpläne.
Wegen seines Leberkrebs’ im Endstadium wurde Xiaobo in China vom Gefängnis in ein Krankenhaus im nordostchinesischen Shenyang verlegt. Der Forderung, Liu Xiaobo zur Behandlung ins Ausland reisen zu lassen, kam Peking jedoch bis zum Schluss nicht nach. Das Nobelkomitee hat den chinesischen Behörden deswegen am Donnerstag eine erhebliche Mitverantwortung am Tod Liu Xiaobos gegeben.