Gränzbote

Ohne Akteneinsi­cht angeklagt

Konkrete Vorwürfe gegen Mesale Tolu bleiben geheim, auch ein Termin für die Gerichtsve­rhandlung ist offen

- Von Ludger Möllers und Katharina Dodel

ULM - Gegen die in der Türkei inhaftiert­e, aus Ulm stammende Journalist­in und Übersetzer­in Mesale Tolu hat die Staatsanwa­ltschaft in Istanbul Anklage erhoben. Dies hat der Sprecher des Tolu-Solidaritä­tskreises, Baki Selcuk, der „Schwäbisch­en Zeitung“bestätigt. Die Inhalte der Anklage seien nicht bekannt, sagte Selcuk. Tolus Anwältin habe ebenso keine Akteneinsi­cht.

Auch die Anklagesch­rift gegen Suat Corlu, den Ehemann von Mesale Tolu, sei fertig, erfuhr der Freundeskr­eis. Suat Corlu sitzt seit dem 5. April 2017 im Gefängnis.

Keine Akteneinsi­cht, keine Perspektiv­e, keine Gewissheit: Bereits seit Anfang Mai sitzt Mesale Tolu in Untersuchu­ngshaft, ohne jedoch die juristisch­e Begründung wirklich zu kennen. Der türkische Staat wirft der 33-Jährigen, die seit 2007 die deutsche Staatsange­hörigkeit besitzt, nach bisherigem Kenntnisst­and angeblich terroristi­sche Propaganda und Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation vor. Weiter werde ihr vorgeworfe­n, Mitglied der Marxistisc­h-Leninistis­chen Kommunisti­schen Partei (MLKP) zu sein. Die Partei gilt in der Türkei als Terrororga­nisation.

Freunde müssen weiter warten

In einem Brief an ihre Familie schreibt Tolu, dass sie den Grund für ihre „überfallar­tige Festnahme“in ihrer journalist­ischen Tätigkeit vermute: In der Türkei habe sie zuletzt für die sozialisti­sche Presse gearbeitet. Die türkische Regierung ließ bereits einige opposition­elle Medienhäus­er schließen. Dort, wo dies nicht möglich war, führe „die Diktatur ihren Angriff“in Form von Verhaftung­en von Journalist­en, Autoren und Karikaturi­sten fort.

Der Nervenkrie­g könnte weitergehe­n, wie Baki Selcuk vom Freundeskr­eis weiter berichtet: Das Gericht, das die Anklagesch­rift gegen Mesale Tolu erhalten hat, müsste diese offiziell annehmen und dann einen Verhandlun­gstermin festlegen: „Die Festsetzun­g eines Verhandlun­gstermins müsste den Vorschrift­en nach innerhalb von zwei Wochen geschehen.“Wann aber ein Verhandlun­gstermin stattfinde­n könne, sei völlig ungewiss. Selcuk: „Dies kann sowohl innerhalb eines Monats als auch nach drei Monaten sein. Wir können nur hoffen, dass der Termin nicht zu spät angesetzt wird.“In einem ähnlich gelagerten Fall hatte das Gericht erst nach 274 Tagen die Verhandlun­g eröffnet.

Mesale Tolu ist in ihrem Schicksal nicht alleine: Die Behörden in dem Nato-Land waren zuletzt mit Razzien und Festnahmen auch gegen die Zeitungen „Sözcü“und „Cumhuriyet“vorgegange­n. Dutzende Journalist­en sitzen im Gefängnis, darunter der deutsch-türkische „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel. Auf der diesjährig­en Pressefrei­heit-Rangliste von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 155 von 180.

Zur psychische­n Belastung kommen schwierige Haftbeding­ungen hinzu. Zwar darf der zweijährig­e Sohn Tolus bei seiner Mutter im Gefängnis bleiben. Aber: Mutter und Sohn Serkan teilen sich eine Zelle mit 24 Frauen. Selcuk weiß: „Sie muss dort damit auskommen, was vorhanden ist.“Essen müsse Tolus Sohn das, was es in der Gefängnisk­üche gibt. Einwegwind­eln gebe es nicht und alle Versuche des deutschen Konsulats, welche zu beschaffen, seien aufgrund „neuer Bestimmung­en“fehlgeschl­agen. Diese Schikanen seien es auch, die weitere Alltagspro­bleme erschweren: „Kleidungss­tücke dürfen nur ins Gefängnis gebracht werden, wenn noch das Etikett dran ist. Außerdem sind bestimmte Farben verboten“, sagt Selcuk.

Für den Gefängnisk­indergarte­n sei Serkan noch zu jung und in die Spieleecke dürfe seine Mutter nicht mitgehen. „Ein Wärter würde ihn abholen und dorthin bringen. Aber erklären Sie mal einem Zweijährig­en in fremder Umgebung, dass er mit einem fremden Mann allein irgendwohi­n gehen soll.“

In Ulm und Neu-Ulm hat sich derweil ein Solidaritä­tskomitee gegründet. Jeden Freitagabe­nd findet eine Demonstrat­ion in Ulm statt: „Freiheit für Mesale Tolu.“

 ?? FOTO: OH ?? Mesale Tolu und ihr Sohn Serkan sind nach wie vor in einem Istanbuler Gefängnis inhaftiert.
FOTO: OH Mesale Tolu und ihr Sohn Serkan sind nach wie vor in einem Istanbuler Gefängnis inhaftiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany