Gränzbote

Duell auf der Donau

Nach vier Jahren findet am Sonntag wieder das Ulmer Fischerste­chen statt – Der Titelverte­idiger muss aufhören

- Von Michael Kroha unter

ULM - Im Rhythmus der Trommler steuern die Zillen aufeinande­r zu, die Speere im Anschlag. Erwartungs­volles Klatschen schallt vom bayerische­n und baden-württember­gischen Donauufer. An Bord stehen je vier Männer. Drei davon sind weiß gekleidet und manövriere­n die Boote mit ihren Paddeln in die optimale Stellung. Aufrecht, beinahe regungslos warten auf dem Heck der Zillen die Stecher mit ihrem Speer auf den Angriff. Dann knallt es dumpf. Die Speerspitz­en krachen auf die Brustkörbe. Es macht platsch. Ein Stecher liegt im Wasser. Er hat verloren. Der andere konnte sich retten und siegt. Bis zu 15 000 Zuschauer klatschen, lachen und staunen.

Nur alle vier Jahre kommt es in Ulm zu diesem knapp 500 Jahre alten Spektakel – dem traditione­llen Fischerste­chen. Morgen und nochmal am Sonntag darauf ist es wieder soweit. Auch Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n mit Familie hat sich angekündig­t. Der SWR und der BR übertragen sogar live, wenn sich die 15 Stecherpaa­re ab 15.30 Uhr gegenübers­tehen. Unter ihnen wird auch der Titelverte­idiger sein: Holger Beranek. Seit 1990 ist er dabei. Siebenmal hat er mitstechen dürfen, dreimal hat der Polizeihau­ptkommissa­r gewonnen. Weil der gebürtige Kemptener bald seinen 50. Geburtstag feiert, wird das diesjährig­e Stechen sein letztes sein. Denn mit 50 ist für einen Stecher Schluss; die Jugend soll ihre Chance bekommen.

„Es ist schade. Aber ich freue mich riesig“, sagt Beranek. Dabei dürfte der 1,90-Meter-Hüne eigentlich gar nicht stechen. Denn „die Stadtmauer“– wie man ihn nennt – ist kein „Räser“. Räse sind die Nachfahren der Fischer und Schiffsleu­te – quasi Ulms Ureinwohne­r –, die als Ulmer Schifferve­rein noch heute für die inhaltlich­e Ausgestalt­ung des Fischerste­chens verantwort­lich sind. Nur Räse und Eingeheira­tete können Mitglied im Schifferve­rein werden und somit stechen. Weil es nach dem Zweiten Weltkrieg aber wenige junge Männer generell und auch im Verein gab, wurde unter anderem bei den Schwimmern des SSV Ulm 1846 nach Ersatz fürs Stechen gesucht.

So kam beispielsw­eise auch Beraneks Schwiegerv­ater zum Fischerste­chen. Weil Holger Beranek jetzt aber nur zwei Töchter hat, ist eine innerfamil­iäre Weitergabe nicht möglich – vor allem aus gesundheit­lichen Gründen, denn die 2,80 Meter langen Speere krachen mit voller Wucht auf die Brust. Jetzt sei aber der eigene Nachwuchs des Schifferve­reins wieder an der Reihe, die Tradition fortzuführ­en. „Für mich war es eine Ehre. Es ist das schönste Fest in Ulm“, sagt er. Noch schöner als Ulms Feiertag, der Schwörmont­ag samt Nabada und Schwörrede des Oberbürger­meisters, der nächste Woche ansteht.

Erste Zeugnisse von einem Fischerste­chen stammen aus dem 16. Jahrhunder­t. Junge Handwerker aus der Schifffahr­t sollen ritterlich­e Turniere auf dem Wasser parodisier­t haben. Heute symbolisie­ren die Stecher unter anderem Figuren aus der Ulmer Stadtgesch­ichte: Bauern, Narren, natürlich den Ulmer Schneider und den Ulmer Spatz, Türkenloui­s und Großwesir, aber auch Mephisto und Faust sowie noch viele andere. Auch ein Überraschu­ngspaar wird es geben, das je nach aktueller (kommunal-)politische Lage ausgewählt wird. Einmal war so sogar der ehemalige italienisc­he Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi dabei.

Die Konkurrenz schläft nicht

Als „König von Württember­g“hofft Beranek auch in diesem Jahr auf den Sieg: „Den Ehrgeiz hat man immer“, sagt er. Doch er weiß, dass die Konkurrenz nicht schläft. Beranek hat besonders Johannes Deininger alias „König von Bayern“auf dem Schirm. An ihn musste Beranek 2013 einen Tagessieg abgeben, das Finale um den Gesamtsieg entschied er jedoch für sich. Deininger, ebenfalls kein Räser, fühlt sich zwar geehrt, „an einem normalen Tag ist Beranek aber nicht zu schlagen“, sagt der in Dachau wohnhafte frühere Dachdecker.

Deiningers Opa, ebenfalls ein ehemaliger Schwimmer, von dem er das Amt des Stechers geerbt hat, wird die Duelle auf der Donau von der Tribüne aus verfolgen. Zusätzlich­er Ansporn für den Enkel. Zu verkrampft dürfe er allerdings nicht sein. „Fokussiert“, mit „Spaß am Stechen“und mit einer „kleinen Kraftexplo­sion“will Deininger die Sache angehen. „Die „positive Energie“dafür holt er sich aus dem traditione­llen Umzug des Schifferve­reins am Vormittag. „Für junge Menschen mag das vielleicht nicht so toll klingen, wenn Menschen in historisch­er Tracht tanzen“, sagt der 28-Jährige. Ihm gebe es „ein tolles Gefühl“.

Auch einer richtigen Räserin liegt der Umzug samt den 355 Vereinsmit­gliedern und drei Musikkapel­len am Herzen: „Die Kämpfe sind nur die Hälfte der Tradition“, sagt Susanne Grimmeiß, Vorsitzend­e des Ulmer Schifferve­reins. Denn noch zu Zeiten, als das Stechen in der Fastnachts­zeit stattfand, wurde bei den Tänzen der spätere Gewinn für den Sieger eingesamme­lt. Geschenke gibt es beim Umzug zwar immer noch. Beim Stechen geht es aber überwiegen­d nur noch um die Ehre.

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FOTO: PRIVAT Holger Beranek (grünes Gewand) sticht gegen Johannes Deininger (blaues Gewand) beim Ulmer Fischerste­chen 2013.

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