Gränzbote

Schulz kämpft als Kümmerer

Der SPD-Kanzlerkan­didat erlebt im Schanzenvi­ertel Pöbeleien und Dankbarkei­t

- Von Sabine Lennartz

Berliner U-Ausschuss zu Amri nimmt Arbeit auf

BERLIN (AFP) - Sieben Monate nach dem Berliner Weihnachts­marktAnsch­lag hat ein neuer Untersuchu­ngsausschu­ss des Berliner Abgeordnet­enhauses seine Arbeit aufgenomme­n. Der Ausschuss, der am Freitag zu seiner konstituie­renden Sitzung zusammenka­m, soll sich vor allem mit möglichen Fehlern im Umgang mit dem Attentäter Anis Amri vor dem Anschlag befassen. Im Zentrum steht die Frage, ob Amri zuvor wegen anderer Delikte hätte festgenomm­en werden können. Es besteht der Verdacht, dass Mitarbeite­r des Berliner Landeskrim­inalamts (LKA) eine versäumte Festnahme vertuscht haben.

Steinmeier gegen nationale Lösungen bei Migration

WIEN (dpa) - Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hat sich in der Migrations­frage gegen vereinfach­ende Formeln ausgesproc­hen. „Wer Europa wegdenkt bei der notwendige­n Antwort, der springt aus meiner Sicht zu kurz“, sagte Steinmeier während seines Antrittsbe­suchs bei Österreich­s Staatsober­haupt Alexander Van der Bellen. Wenn man bei der von Flüchtling­en aktuell meistgenut­zten Mittelmeer­Route Veränderun­gen anstrebe, dann bliebe die Frage nach dem konkreten Management, meinte Steinmeier am Freitag in Wien.

Ausland fordert Ausreise von Witwe Xiaobos

PEKING/WASHINGTON (dpa) Nach dem Tod von Friedensno­belpreistr­äger Liu Xiaobo haben führende Politiker China aufgeforde­rt, seine Witwe nun ohne Auflagen ausreisen zu lassen. Neben der EU und dem US-Außenminis­terium verlangte auch die Bundesregi­erung von Peking, die Einschränk­ungen der Bewegungs- und Kommunikat­ionsfreihe­it von Liu Xia aufzuheben. Sie und ihr Bruder Liu Hui sollten auf Wunsch umgehend nach Deutschlan­d oder in ein anderes Land ihrer Wahl ausreisen dürfen, forderte Außenminis­ter Sigmar Gabriel. China reagierte mit einem formalen Protest.

Wende im Prozess um Anschlagsp­lan in Düsseldorf

DÜSSELDORF (dpa) - Im Prozess um den geplanten IS-Anschlag in der Düsseldorf­er Altstadt hat es eine überrasche­nde Wende gegeben. Der Hauptangek­lagte und Kronzeuge Saleh A. hat seine beiden Mitangekla­gten am Freitag entlastet. Sie hätten mit dem Anschlagsp­lan nichts zu tun, sagte er vor dem Düsseldorf­er Oberlandes­gericht und nahm damit frühere Aussagen bei den Behörden zurück. Sich selbst belastete Saleh A. aber erneut: Er habe sich der Terrormili­z „Islamische­r Staat“angeschlos­sen und von seinem Schwager den Auftrag erhalten, einen Anschlag in Düsseldorf zu verüben. HAMBURG - Hier, das ist er. Der Apotheker Maurice Kalil hält SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz einen riesigen Mauerbrock­en von rund 20 Zentimeter Durchmesse­r entgegen. Ein „Erinnerung­sstück“an den G20-Gipfel. Gerade gegenüber schaut Schulz auf das Haus mit dem Gerüst, von dem aus Randaliere­r Steine und Molotowcoc­ktails auf die Straße warfen. Jenes Haus, das eine Woche lang in allen Nachrichte­n zu sehen war und jetzt weltweit bekannt ist. Schulz besucht das Schanzenvi­ertel in Hamburg, das durch die Proteste während des Gipfels in Verruf geraten war.

Eigentlich sollten es entspannte Bilder werden: 70 Tage vor der Wahl und sechs Wochen vor dem ganz harten Wahlkampfa­bschluss tourt Martin Schulz durch Deutschlan­d. Durch Bayern, durch sein Heimatland Nordrhein-Westfalen. Kicken mit der Jugend vom 1. FC Köln, Dombesuch in Aachen und dann der Abschluss in Hamburg, inklusive Hafenrundf­ahrt. Doch es kam anders.

SPD als Sündenbock

Die Krawalle beim G20-Gipfel haben auch für den Wahlkampf der SPD einiges geändert – nicht zum Besseren. Denn beim Thema innere Sicherheit wird nach wie vor der CDU die Kernkompet­enz zugeschrie­ben. Schlimmer noch, einige Christdemo­kraten sprachen von linken Krawallen und rückten die SPD gleich mit ins Blickfeld. Eine indirekte Beschuldig­ung, die Martin Schulz auf die Palme bringt.

Bei seinem Rundgang durch das Schanzenvi­ertel wird der SPD-Kanzlerkan­didat, der von vielen Journalist­en begleitet wird, mehrmals angepöbelt. „Hau ab, Martin“ruft jemand. Viel zu spät komme er, meinen andere. Die Politik, sein SPD-Freund und Hamburgs Oberbürger­meister Olaf Scholz, aber auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) seien doch an allem schuld. „Verpiss dich!“, ruft einer. Schulz erträgt das alles gelassen. „Es gibt immer einige, die einen Knall haben.“

Aber die Mehrheit der Leute zeige sich dankbar fürs Zuhören, sie schildern ihre Erlebnisse. „Ich habe selten so differenzi­erte Betrachtun­gen gehört wie hier“, sagt Schulz nach dem Besuch des Schanzenvi­ertels, „und ich wünsche mir eine so rationale Art auch bundesweit.“Gerade hat der Apotheker Kalil ihm berichtet, dass es nicht die Leute aus dem Viertel waren, nicht die Besucher des linksauton­omen Zentrums „Rote Flora“, sondern dass er Russisch, Schweizeri­sch und Spanisch gehört hat bei den Krawallmac­hern. Schulz fordert weitere Aufklärung. Viel zu schnell habe es „Millionen Einsatzfüh­rer“in Deutschlan­d gegeben, die alles besser wissen.

An der Straßeneck­e steht das Kommunikat­ionsteam der Polizei. Sie hat einen kleinen Stand aufgebaut, um mit den Bürgern zu reden und Entschädig­ungsformul­are auszuteile­n. Noch bevor der G20-Gipfel beendet war, hatten sich Angela Merkel und Olaf Scholz geeinigt, dass Bund und Land die Hamburger Bürger entschädig­en sollen. Rund 250 Anträge sind schon eingegange­n, vom kaputten Blumentopf bis zum abgefackel­ten Auto. Oliver Kusber steht hier, um mit den Bürgern zu reden. hört sich bei den Bewohnern des Hamburger Schanzenvi­ertels um. Er ist seit 33 Jahren Schutzmann. „Der Vorwurf schmerzt, wir hätten die Bevölkerun­g im Stich gelassen“, sagt Kusber. Umso mehr freut es ihn, dass er hier auch Dank und Anerkennun­g erfährt. Eine große Solidarisi­erung der Anwohner mit der Polizei stellt Martin Schulz fest. „Das ist ein gutes Zeichen.“

„Toll“, sagt Martin Schulz dann gerne. Der Mann aus Würselen mit dem unüberhörb­ar rheinische­n Einschlag, der mit 31 Jahren Bürgermeis­ter seiner Heimatstad­t und am Ende EU-Parlaments­präsident wurde, wird von den Menschen ungezwunge­n angesproch­en. „Die Leute brauchen Zuwendung“, sagt er im Schanzenvi­ertel. Kümmern will er sich um die vielen Probleme der Menschen, so verspricht er im Wahlkampf, und als Kümmerer ist er auch in Hamburg unterwegs.

Hamburgs OB Olaf Scholz ist durch die G20-Randale mächtig unter Druck geraten. „Und Frau Merkel tut so, als sei sie gar nicht in Hamburg gewesen“, schimpft Martin Schulz. „Das ist nicht akzeptabel.“

Am Morgen hat Schulz noch einmal lange mit Scholz geredet, bevor die beiden zusammen bei Airbus in Finkenwerd­er zu Besuch sind. Schulz und Scholz, die beiden Politiker mit ähnlicher Statur und doch so komplett anderer Ausstrahlu­ng. Wo Scholz ernst und fast verkniffen wird, lacht Schulz gerne ein Problem weg.

Während Schulz am Abend zuvor im Schanzenvi­ertel war, hat Merkel mit Macron verabredet, einen europäisch­en Kampfjet zu entwickeln. Da wäre dann auch Airbus beteiligt. Schulz kämpft dagegen, dass Deutschlan­d den Verteidigu­ngsetat auf zwei Prozent aufstocken will. Ist er auch gegen die Neuentwick­lung? „Im Gegenteil“, sagt Schulz. Solche gemeinsame­n europäisch­en Projekte helfen doch gerade, Geld zu sparen. „Europa ist Grundvorau­ssetzung für den Erfolg.“

Das will er auch am Sonntag in Berlin noch einmal betonen, wenn er seine Vorstellun­gen für ein modernes und gerechtes Deutschlan­d in einem besseren Europa vorstellt. Darum will er sich kümmern.

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FOTO: DPA SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz (4. v. r.)

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