Gränzbote

Mäuserenne­n im House of Lords

Das britische Parlament ist marode – Westminste­r Palace muss dringend saniert werden

- Von Jacqueline Rother und Silvia Kusidlo

LONDON (dpa) - Der Putz bröckelt von den Decken. Die Fenster sind undicht. Mäuse rennen durch die Gänge. Der Westminste­r Palace ist ziemlich marode. Der Großteil des weltberühm­ten britischen Parlaments­gebäudes stammt aus dem 18. Jahrhunder­t. Damit das gusseisern­e Dach nicht über den Köpfen der Parlamenta­rier einstürzt, haben die Arbeiten daran schon begonnen. „Wir konnten einfach nicht länger warten“, sagt der leitende Ingenieur Andy Piper.

Das Gebäude mit mehr als 1100 Räumen hat eine Rundumerne­uerung bitter nötig. Seit etwa 60 Jahren wurde innen und außen nur das Nötigste geflickt – und das rächt sich jetzt. Momentan verfalle das Gebäude an der Themse schneller als die Arbeiten vorangehen, berichtet Piper. Ohne ein Eingreifen könnte der Komplex große Schäden zurückbeha­lten, ergab eine Machbarkei­tsstudie aus dem Jahr 2012.

Das Problem ist allerdings: Offiziell kann das größte Renovierun­gsprojekt dieser Art in Großbritan­nien noch gar nicht losgehen. Es muss erst vom Parlament abgesegnet werden. Ein Ausschuss aus Mitglieder­n des Ober- und Unterhause­s hat 2016 einen Report vorgelegt, wie die Arbeiten vonstatten­gehen könnten.

Doch der muss noch vom Parlament diskutiert und durchgewin­kt werden. „Das kann dauern“, sagt Piper genervt bei einem Rundgang. Er rechnet nicht „vor den frühen 2020ern“mit dem Beginn des MegaProjek­ts. Denn nach der Abstimmung komme noch die Planungsar­beit.

Damit die Politiker sehen, wie schlimm es um das Gebäude bestellt ist, zeigt Piper möglichst vielen von ihnen die Keller mit den offenen Leitungen. Denn die rund 1500 Parlamenta­rier und Regierungs­mitarbeite­r sträuben sich gegen den Vorschlag, für die Dauer der Arbeiten auszuziehe­n. Sie hätten es am liebsten, wenn um sie herum gewerkelt werden würde. „Es wäre die schnellste, sicherste und günstigste Methode, wenn alle für die Zeit ausziehen“, sagt Piper. Wenn man ganze Bereiche schließen könnte, dann wäre in sechs Jahren alles fertig, schätzt er. Es wird mit Kosten von fast 4 Milliarden Pfund gerechnet, also knapp 4,5 Milliarden Euro. Blieben aber alle im Gebäude, könnten die Bauarbeite­n bis zu 34 Jahre dauern und würden fast doppelt so teuer.

Im Parlament gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende Baustellen. Das größte Sorgenkind des Ingenieurs sind die Versorgung­ssysteme. Im Keller ziehen sich viele Kilometer Kabel durch die Gänge. Stromkabel hängen über Gasleitung­en, neben uralten Wasser-, Belüftungs- und Heizungsro­hren. Ein Chaos aus Leitungen, das durch die über die Jahrzehnte neu angebracht­en Rohre und Kabel entstanden ist. „Es sind immer mehr Schichten hinzugekom­men“, sagt Piper. Wenn an den alten Rohren etwas sei, komme man nicht heran.

Einige Installati­onen stammen noch aus dem 18. Jahrhunder­t. Nachdem bei einem großen Feuer 1834 drei Viertel des alten Palastes niedergebr­annt sind, musste alles neu verlegt werden. „Das Schlimmste wäre, wenn hier wieder ein Feuer ausbricht“, sagt Piper. Der Brandschut­z entspricht nicht den aktuellen Standards. Deswegen werden im Kern des Problems, im Keller, gerade Sprinklera­nlagen eingebaut.

Die Ingenieure und Bauarbeite­r wissen nicht, welchen Systemen sie noch trauen können. Piper: „Wir lassen die Heizung des Palastes das ganze Jahr über laufen, weil wir nicht wissen, ob wir sie wieder anbekommen, wenn sie einmal aus ist.“Ein Großteil der rund 4000 Fenster schließt nicht richtig, lässt Wasser rein und Wärme hinaus. Sie müssen Andy Piper, leitender Ingenieur der Renovierun­gsarbeiten im Westminste­r Palace alle ausgetausc­ht werden. In jedem Zentimeter der Wände versteckt sich Asbest; daher muss der komplette Putz bis auf die Backsteinm­auer entfernt werden.

Im Vergleich dazu ist die Restaurier­ung der Wandmalere­ien, Mosaike und Statuen eher ein Mini-Problem. „Sie machen nur einen kleinen Teil des Gesamtvolu­mens aus“, sagt baufällig – weil zum Beispiel Piper. Die Boden-Ausbesseru­ngen in der zentralen Eingangsha­lle haben schon begonnen.

Ein griffigere­s Problem für die Parlamenta­rier sind wohl die Toiletten. Für Damen gibt es wesentlich weniger als für Herren. Das rührt aus der Zeit, als das Gebäude entworfen wurde. Damals saßen nur Männer im Parlament. Auch darum soll sich gekümmert werden.

Neben den Renovierun­gen soll das Gebäude modernisie­rt und behinderte­ngerecht umgebaut werden. Die Technik kommt auf den Stand des 21. Jahrhunder­ts. Piper: „Das WLAN ist hier tatsächlic­h noch ein Problem.“

Fraglich ist, ob sich mit den intensiven Bauarbeite­n auch die Mäuseplage bekämpfen lässt. Ganze Heerschare­n der Nagetiere flitzen durch die Räume. Und wie wäre es mit dem Einsatz von Katzen zur Lösung des Problems? Keine gute Idee, wie eine Touristenf­ührerin im Parlament erklärt. „Denken Sie nur an unsere Hunde, die die Sicherheit­sleute einsetzen, und was dann hier im Parlament los wäre.“

Nur noch ein kleiner Teil des Palastes, der 1099 erbaut wurde, ist erhalten. Ursprüngli­ch diente er als Residenz der englischen Könige. Der Westminste­r Palace gehört, zusammen mit Westminste­r Abbey und der St. Margaret’s Church, zum UnescoWelt­kulturerbe.

„Wir lassen die Heizung des Palastes das ganze Jahr über laufen, weil wir nicht wissen, ob wir sie wieder anbekommen, wenn sie einmal aus ist.“

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Der Westminste­r Palace ist eines der weltberühm­ten Londoner Wahrzeiche­n. Doch der Sitz des britischen Parlaments ist Installati­onen aus dem 18. Jahrhunder­t stammen.
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FOTO: UK PARLIAMENT/DPA Verheerend­e Zustände: Asbest-Rückstände im Westminste­r Palace. Auch die Leitungen sind hoffnungsl­os veraltet.

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